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Fotoausstellung "Ihr fehlt mir!!!"

Die Wunden eines unsichtbaren Tsunamis

Fotoausstellung "Ihr fehlt mir!!!": Die Wunden eines unsichtbaren Tsunamis
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 Fotos: Gustavo Alàbiso 

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Datum:

Alle haben diese Situationen erlebt, alle waren dabei. Und dennoch strahlen die Bilder eine faszinierende Absurdität aus: Der Fotograf Gustavo Alàbiso hat Lockdowns und die Auswirkungen der Corona-Pandemie fotografiert. Jetzt stellt er seine Fotos im Regierungspräsidium Karlsruhe aus.

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"Ihr fehlt mir!!!" hatte die Wirtin in Karlsruhe auf eine Tafel geschrieben. Das war im ersten Lockdown 2020. Gustavo Alàbiso hat die Tafel der Gastronomin fotografiert und seiner Dokumentation der Corona-Zeit diesen Titel gegeben: "Ihr fehlt mir", mit drei Ausrufezeichen – ein Gefühl, das bis Anfang 2020 nur kannte, wer sehr weit weg lebte von seinen Lieben.

Von März bis Juni 2020 hat der Karlsruher Fotograf die Auswirkungen des ersten Lockdowns fotografiert. Diese totale Veränderung einer Gesellschaft, die in immer neuen Höchstgeschwindigkeiten durch die Zeit raste, in der alles möglich war und schnell verfügbar, zu einer in völliger Stille. In völligem Stillstand. Weltweit. Was sonst eng vernetzt und grenzenlos gewesen ist, war plötzlich abgeschottet und abgesagt. "Dieses historische Ereignis musste ich fotografieren. Wenn plötzlich alles zu ist, Schulen, Fabriken, Grenzen! Wenn sich so plötzlich alles verändert auf eine Art und Weise, die wir bisher nicht kannten", sagt er und noch immer hört man die Faszination in seiner Stimme.

Seine Bilder zeigen Spielplätze mit Absperrband, Menschen im Homeoffice, LehrerInnen und SchülerInnen vor dem PC, ein volles Autokino, in dem die Menschen getrennt und dennoch gemeinsam einen Film schauen, eine leere Flughafen-Abflughalle an einem Samstag, an dem normalerweise Hochbetrieb herrscht, ein leeres Museum, das seine Bilder verhüllt, damit kein Licht sie angreift, bewacht von Sicherheitspersonal, das auch ohne BesucherInnen seine Runden dreht.

"Mit dieser Zeit fertig zu werden, war eine Herausforderung für uns alle", sagt Alàbiso und erzählt, wie sich das Gefühl der Bedrohlichkeit, vor allem der finanziellen für einen freien Fotografen wie ihn, irgendwann vermischte mit der Lust an einer neuen Sichtweise und einem neuen, anders gearteten Denken. Wie er selbst sich in diesem Prozess veränderte, weg vom "mach ich mal irgendwann" zu einem ruhigen und starken Fokus auf das, was er wirklich tun möchte.

Alàbiso hat vor allem in Karlsruhe fotografiert, in den Grenzen seiner Heimatstadt, einem Mikro- und Makrokosmos zugleich, denn wie dort war es fast überall. Dass es in Karlsruhe sogar eine FFP2-Masken-Produktion gibt, habe ihn allerdings schon überrascht. Fotografieren durfte er nur ausgewählte Motive. "Da scheint es großen Konkurrenzdruck zu geben."

Im zweiten Lockdown ab November 2020 hat er die Menschen fotografiert, die in der Pandemie leben und arbeiten. "Die Atmosphäre in der Stadt war bedrückend, grau und nass, unwirklich schwer", schreibt Alàbiso in einem Text zu seiner Dokumentation. Über Facebook suchte er Menschen, die Weihnachten anders feiern als sonst, und fand unter anderem eine Frau. "Ich habe sie hinter der Fensterscheibe ihrer Wohnung fotografiert, ihre Sehnsucht ist greifbar, es war der 24. Dezember 2020."

Später beschäftigten ihn ganz andere Fragen: Wie sieht das Coronavirus aus? Wie lässt er sich darstellen? Wie funktioniert ein digitales Rockkonzert? Ein Testlabor? Und welche Arbeit macht die Bundeswehr eigentlich?

Und letztlich, mit dem Blick von heute zurück, stellt er in einem Abstract zu seiner Dokumentation fest: "Genauso wie die Politik, und viele andere Menschen habe auch ich den Epidemiolog*innen, ähnlich wie der mythologischen Figur der Kassandra, nicht geglaubt und gehofft, die Epidemie sei bald vorbei. Aber auch wenn auf einmal alles vorbei wäre, wären die Wunden des unsichtbaren Tsunamis tief."


Die Ausstellung sollte eigentlich von 10. bis 21. Januar 2022 im Regierungspräsidium Karlsruhe stattfinden. Alles war bereit, alles aufgebaut, die Wände weiß, die Bilder ausgewählt. Dann wurde sie – abgesagt. Ironie der Geschichte sozusagen. Nun hängt sie, bereit für BesucherInnen, und ist ab heute, 23. Februar, bis zum 11. März zu sehen. Von Baden-TV gibt es eine kurze Doku darüber.


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