Unser Foto des Jahres ist eigentlich recht unspektakulär. Ein Pärchen vespert auf einer Wiese in der Sonne und betrachtet den Bodensee. Wären da nicht diese weißen Streifen, die jemand auf das Gras gesprüht hat. Akkurat wurde die Wiese für ihre Besucherinnen und Besucher in coronagerechte Stücke aufgeteilt. Das Paar aus Cottbus macht gerade Urlaub und sitzt jeden Tag im selben Viereck. So hat sich eines der prägenden Charakteristiken dieser Pandemie, die Begegnung mit anderen Menschen via Kästchen, aus dem Netz in die Realität verlagert. Ob sich die Aerosole wohl an die Absperrungen halten und nur auf den weißen Linien zu Boden sinken?
In dieser letzten Schaubühne im alten Jahr haben unsere Fotografen Joachim E. Röttgers und Jens Volle eine kleine Auswahl ihrer besten Bilder der vergangenen zwölf Monate zusammengestellt. Armin Laschet, der mit herausguckender Zungenspitze einer Demonstrantin ihre Trillerpfeife in die Hosentasche steckt. Frauen, die am Internationalen Frauentag in einer Wolke aus rosarotem Nebel gegen das Patriarchat kämpfen. Der besetzte Altdorfer Wald mit seinen Baumhäusern in strahlendem Sonnenschein. Die CDU am Wahlabend zur Bundestagswahl, fotografiert im Moment ihrer größten Niederlage. Und eine Familie im Moment ihres größten Glücks: Der junge Sayid trifft am Stuttgarter Flughafen nach sieben Jahren seine Mutter Zahra wieder, die aus Somalia geflüchtet ist. Noch trennt sie eine Scheibe, bald werden sie sich in den Armen liegen, so innig, dass jeder aufgesprühte Begrenzungsstreifen sinnlos wäre. 2021 war eben doch auch ein Jahr der realen Begegnungen.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!