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Landtagswahl Baden-Württemberg

Klima, Klima, Klima

Landtagswahl Baden-Württemberg: Klima, Klima, Klima
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Das hätte doch mal was: Alle, die so gern eine Regierung wollen mit den Grünen, verständigen sich vorab auf einen ehrlichen Kampf gegen die Erderwärmung. Sie verzichten auf die üblichen Totschlagargumente zur Abwehr konkreter Pläne und anerkennen, dass engagierter Umweltschutz Aufgabe aller ist.

Baden-Württemberg verantwortet nicht mehr als 0,2 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Unter AktivistInnen der Klimaliste wird schon allein die Erwähnung dieses unbestreitbaren Faktums umgedeutet zum Versuch, die Menschheitsfrage insgesamt zu relativieren. Mindestens genauso schräg ist jedoch, wenn SozialdemokratInnen aus der Beton-Fraktion, vor allem aber Liberale und CDUler diesen Umstand – bisher – immer und immer wieder ins Feld führen, um die Möglichkeiten Baden-Württembergs kleinzureden. Und immer mittendrin die Grünen, die sich nach beiden Seiten verteidigen, mit auf den ersten Blick durchaus widersprüchlichen Argumenten.

Tatsächlich sind die gesetzgeberischen Möglichkeiten eines Bundeslandes im föderalen Deutschland und im gemeinsamen Europa gering. Zugleich muss in einer der prosperierendsten Regionen der Welt die Devise "Wer, wenn nicht wir?" gelten, um die sich alle möglichen Koalitionspartner versammeln könnten, ohne sich in Prestige- und Markenkern-Überlegungen zu verlieren. Der Erkenntnis aus dem grünen Wahlprogramm, das Land sei "einer der führenden Innovationsstandorte der Welt", kann sich keiner der potenziellen PartnerInnen verschließen, denn auch in den Wahlprogrammen der anderen stehen deutlich mehr als nur warme Worte.

"Gerade nach der Corona-Krise brauchen wir einen Neustart. Wir müssen in den Umbau zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft investieren", heißt es bei der SPD, weshalb "das Setzen auf überholte Technologien und Strukturen die Umweltkrise verschärft, die Ziele des Pariser Abkommens in weite Ferne rückt und unsere Wettbewerbsfähigkeit mindert".

Überhaupt, Paris. "Wir Freie Demokraten stehen zu den vertraglich zugesicherten Klimazielen von Paris", tönt sogar die FDP zum großen Ganzen und nennt im Besonderen etwa das Ziel, "dass der Transfer klimafreundlicher Technologien ins Ausland gefördert wird, um weltweit Treibhausgasemissionen zu mindern".

Geht: aus Erfahrung lernen

Akkurat der nächste Satz im FDP-Papier unterstreicht die Sprengkraft, die in vielen Details stecken wird: "Das ineffiziente und bürokratische Erneuerbare-Wärme-Gesetz Baden-Württemberg (EWärmeG) wollen wir abschaffen, da es sich als Sanierungsbremse erwiesen hat." Im Vergleich zeigt sich zugleich das Potenzial zur Einigung, wenn erst einmal die verbale Abrüstung geschafft sein sollte. Die SPD will das Gesetz nicht abschaffen, sondern novellieren – maßgeblich erfunden wurde es einst vom Waiblinger Genossen Hermann Scheer. Und die Grünen wollen die Wärmewende voranbringen, auch entlang der bereits beschlossenen Vorgaben beispielsweise zur Wärmeplanung, die für große Kreisstädte und Stadtkreise bereits gilt. Sie soll weiter ausgedehnt werden mit dem Ziel Klimaneutralität.

Die CDU könnte damit winken, sich über bisher gemeinsam Erreichtes deutlich hinauszubewegen. Potenzial ist vorhaben. So berichtet der scheidende Umweltminister Franz Untersteller, wie sich seine CDU-Kollegin Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut zunächst nicht überzeugen lassen wollte von der Umstellung der Eigentumsförderung auf den weniger klimaschädlichen Effizienzhausstandard 55. Sie war auch nicht für weitere Mittel für ein Effizienzhaus 40. Die L-Bank würde auf den Mitteln sitzen bleiben, argumentierte Hoffmeister-Kraut, bis sie sich irgendwann doch erweichen ließ. Ein Jahr später hatte sie im Kabinett eine auch für sie überraschende Zwischenbilanz zu präsentieren, wie hochbegehrt die Förderungen sind.

Überhaupt diese Schwarzen: In Heilbronn pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass sich Landeschef Thomas Strobl, nachdem er mit einem unterdurchschnittlichen Ergebnis den Einzug in den Landtag verpasst hat, noch einmal umorientieren will: zurück nach Berlin, in die Bundespolitik. Dort könnte er glänzen, mit einem neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag, in dem alte Beschlüsse des Landesverbandes entstaubt zur Anwendung kommen. Schon in den 1980er-Jahren war ausgerechnet die Südwest-CDU ihrer Zeit voraus mit ihrer "Grünen Charta Baden Württemberg", und die ist ganz im Sinne jener 29 Bundestagsabgeordneten der Union, die vor wenigen Tagen einen Forderungskatalog vorgelegt haben, der vor einer "neuen Regulationskultur" nicht zurückschreckt. Wie ein Einladungsschreiben an die Grünen liest sich die trickreiche Umdeutung des Begriffs "Verbote" in "clevere Regeln".

Manche waren früher schon weiter

Die SPD wiederum kann sich – über Sonntagsreden hinaus – an den oft zitierten Altvorderen Erhard Eppler und Hermann Scheer orientieren. Oder simpler, aber zu Herzen gehend an der dritten Strophe der Parteitagshymne "Wann wir schreiten Seit' an Seit'". In der werden seit vielen Jahrzehnten und aufs Schönste das Saatengrün und die vollen Hände von Mutter Erde besungen, so dass statt der Industriearbeiterschaft unversehens auch einmal Naturfreunde als Erzväter und -mütter der Bewegung im wohlverdienten Rampenlicht stehen. Die Liberalen schließlich lassen seit Jahren kein Dreikönigstreffen ohne den Verweis darauf verstreichen, dass der erste Umweltminister der Republik einer der Ihren war: Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher mit seiner berühmten Abteilung "U" und der Überzeugung, dass Umweltschutz ein Bürgerrecht ist, "nicht mehr und nicht weniger".

O-Ton Genscher 1970 im Deutschen Bundestag: "Nichts Geringeres als die Würde des Menschen wird durch die Zerstörung und Schädigung seiner Umwelt angetastet." Denn die Menschenwürde sei getroffen, wenn der Mensch zum "wehrlosen Objekt seiner Umwelt" werde. Er verlangte von Partei und Gesellschaft, eine Vorreiterrolle zu übernehmen, gerade der "ökonomischen Potenziale" wegen. Als erste beschlossen die Liberalen in ihren "Freiburger Thesen" 1971 umfangreiche umweltpolitische Grundsätze. "Wer für die Freiheit der Menschen eintritt, muss erkennen: Ohne frische Luft und reines Wasser, ohne intakte Böden und stabiles Klima werden die menschlichen Lebenschancen eingeschränkt. Umweltschutz ist daher ein genuin liberales Anliegen", schreibt selbst Christian Lindner, sich auf die 50 Jahre alten programmatischen Wurzeln beziehend. Vielleicht sollten die Grünen dem FDP-Chefverhandler Hans-Ulrich Rülke eine Originalfassung plakativ sichtbar auf den Sondierungsgesprächsgabentisch legen.

Und ein Exemplar der Kretschmann-Rede vom Sindelfinger Parteitag 2019 ("Mit Zukunft haben wir Erfahrung") gleich dazu: Es gehe nicht mehr darum, Ökologie und Ökonomie zusammenführen zu wollen, "sondern wir müssen beweisen, dass es funktioniert". In Baden-Württemberg lebten elf Millionen Menschen, allein in China und Indien seien es zweieinhalb Milliarden, die auf mehr Wohlstand hofften, "und es ist unsere Aufgabe zu zeigen, dass man in Wohlstand leben kann, ohne die Erde zu zerstören".

Trau, schau, wem

Am Dienstag bei der ersten Sitzung der größten grünen Fraktion aller Zeiten, die angesichts der Abstandsregeln und dennoch symbolträchtig den ganzen Plenarsaal des Landtags füllte, ging es erst einmal nicht um die nächsten Jahre, sondern um die Vergangenheit. Der Ministerpräsident höchstpersönlich hatte zwei Karten des Landes zum Vergleich dabei: die CDU-eingefärbte politischen Landschaft 2011 mit 60 CDU-Direktmandaten und die umgefärbte von 2021 mit 58 Direktmandaten der eigenen Partei. Die will dank dieser neuen Stärke und der Erfüllung des Wahlversprechens "Wir wachsen über uns hinaus" schon in den nächsten Tagen erreichen, dass die Sondierungsgespräche schnell Fahrt aufnehmen. Eine zufällige Blitz-Umfrage unter neuen und alten Abgeordneten förderte jedenfalls ein überraschendes Ergebnis zutage. Sogar erklärte Grün-Schwarz-BefürworterInnen früherer Tage neigen zur Ampel-Koalition nach dem allgemeinen Tenor: "Der CDU ist nicht zu trauen."

Kretschmann aber ebenso wenig, twittern AnhängerInnen der Klimaliste. "Glaube, Hoffnung und Gespräche mit der Industrie sind schön. Aber das Klima braucht vor allem Handeln – und einen Ministerpräsidenten, der Vorreiter ist und nicht Steigbügelhalter der Wirtschaft", heißt es in einer ersten Stellungnahme zum Wahlergebnis, kombiniert mit dem Versprechen, die Koalitionsverhandlungen "kritisch zu begleiten". Immerhin einer twittert wenigstens applaudierende Hände dafür, wie der Ministerpräsident die drei wichtigsten Themen der Legislaturperiode beschreibt: erstens Klima, zweitens Klima, drittens Klima. Und diese Agenda will er abarbeiten – mit wem auch immer.


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2 Kommentare verfügbar

  • Kurt Werner
    am 17.03.2021
    Antworten
    Der Anteil Baden-Würtembergs von 0,2 Prozent an den globalen CO2-Emissionen erscheint vernachlässigbar gering. Deutschland liegt bei 2 Prozent. Die Anteile kleinrechnen ist aber nicht zielführend. Für BW bedeutet diese Betrachtung dass für 99,8 Prozent keine Verantwortung besteht, aber eben für die…
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