Hans-Ulrich Rülke ist doch noch für Überraschungen gut. Fast eine Stunde präsentiert sich der Fraktionschef und Spitzenkandidat den Delegierten zum Dreikönigs-Parteitag, der diesmal verkleinert und teildigital in der Fellbacher Schwabenlandhalle stattfindet. In Robert-Habeck-Manier wandert der einstige Studienrat auf und ab vor dem neuen Flowerpower-Design samt dem kühnen Selbstlob "Der Impuls fürs Land". Und weil der nicht mehr von den harten Bänken der Opposition aus gegeben werden soll, sondern am Kabinettstisch in der Villa Reitzenstein, ändert der 59-Jährige sogar die schon so lange antrainierte Tonlage: keine Frontalangriffe auf die Grünen mehr, keine Verbalattacken gegen Winfried Kretschmann persönlich.
Die HauptgegnerInnen in den verbleibenden neun Wahlkampfwochen sind ausgemacht. Landeschef Michael Theurer nennt die CDU in seiner Begrüßungsrede schnörkellos "einen Totalausfall". Die Meta-Botschaft ist klar: Mit diesen Schwarzen wollen auch wir nicht regieren. Die Umfragen geben es ohnehin nicht her. Außerdem wollen weder die Sozialdemokraten, noch die früher mal so verlässlichen liberalen Freunde der Union Susanne Eisenmann zur Ministerpräsidentin machen. Bleiben ergo nur die Grünen, und weil das nach menschlichem Ermessen zahlenmäßig nicht reichen wird beim Urnengang im März, will die FDP notfalls sogar noch die SPD-Kröte schlucken als Dritte im Bunde.
Lieber Grün-Rot-Gelb als mit der CDU
Theurer, der Vorsitzende mit Erfahrung als OB, im Landtag, im Europaparlament und jetzt im Bundestag, hatte vor Monaten sogar schon mal laut über eine Kleine Koalition nachgedacht, für die die Farbkombination der brasilianischen Flagge stünde: Grün-Gelb. Auch davon allerdings sind die ProtagonistInnen beim Blick auf die Demoskopie weit entfernt. Also muss die SPD mit ins Boot. Das Problem: Ein Regierungskahn mit drei so unterschiedlichen Passagieren an Bord träte zwar eine historische Reise an, denn erst zum zweiten Mal in der Geschichte Baden-Württembergs wäre die CDU nicht mit von der Partie (ein Debakel für sie am Beginn dieses Superwahljahrs). Aber es gehört kein ProphetInnenmut dazu, der Insassenschar eine turbulente Zeit zwischen Klippen und Stürmen vorherzusagen.
Die Spitzen-Liberalen machen daraus in Fellbach kein Hehl: Der Vorrat an Schnittmengen ist für Grün-Rot-Gelb ziemlich übersichtlich. In der Innen- und Sicherheitspolitik fiele die Einigung nicht schwer, etwa wenn es um die jüngste, von Innenminister Thomas Strobl durchgedrückte Verschärfung des Polizeigesetzes geht mit dem Einsatz von Bodycams selbst in Privaträumen. Einigen könnte sich das Trio gewiss auf allgemeine Bekenntnisse zur Bedeutung von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung, vermutlich sogar auf ein neues gleichnamiges Ministerium. In den Wahlprüfsteinen der FDP stehen so inhaltsschwere Sätze wie: "In Baden-Württemberg muss jede Stadt und jedes Dorf eine leistungsfähige digitale Infrastruktur erhalten." Oder "Wir machen eine Politik, welche die Arbeitsplätze in der heimischen Automobil- und Zulieferindustrie erhält."
In der Bildung Rolle rückwärts
Beschlossen ist vom Kleinen Parteitag jedoch auch ganz anderes. Darunter ein Bekenntnis zum Verbrennungsmotor, das bei Koalitionsverhandlungen mit den Grünen für reichlich Ärger sorgen würde. Vor allem aber hat die FDP in heiklen Fragen der Bildungspolitik die Latte extrem hoch gelegt. Allgemein mit dem Verlangen nach einem "vielgliedrigen, differenzierten Schulsystem" und sehr konkret mit der Wahlfreiheit zwischen acht- oder neunjährigem Weg zum Abitur. Als wäre die Durchsetzung der ersten beiden Punkte nicht schon schwer genug, will die FDP sogar die verbindliche Grundschulempfehlung zurückgeholt sehen. Die war unter dem Beifall nicht nur der Lehrergewerkschaft GEW oder von Elternvertretungen, sondern vieler Fachleute 2011 nach dem Machtwechsel abgeschafft worden. Jetzt verlangt Rülke die Korrektur, weil es nach Klasse vier "Fingerzeige" geben soll, ob Kinder eher für eine akademische oder eine handwerkliche Laufbahn geeignet sind. Dem können und werden Grüne und SPD nicht zustimmen.
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