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Stuttgart 21

Versenkte Kosten, künftige Kosten

Stuttgart 21: Versenkte Kosten, künftige Kosten
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Wie viel ein möglicher Gäubahntunnel und andere Stuttgart-21-Ergänzungsprojekte kosten werden, ist noch völlig unklar. Jetzt sind aber immerhin ein paar Posten dokumentiert, die die Stadt Stuttgart bereits für S 21 ausgegeben hat.

Waren das noch Zeiten, als das Projekt Stuttgart 21 die Landeshauptstadt angeblich gar nichts kosten sollte. Die finanzielle Last würde vollumfänglich durch den Verkauf der frei werdenden Grundstücksflächen refinanziert, erzählte der damalige OB Manfred Rommel noch Mitte der 1990er all denen, die es glauben wollten, und das waren viele. Nicht wenige werden gehofft haben, da werde vielleicht sogar ein Plus herauskommen.

Solche Träume von Wolkenkuckucksheimen mögen mittlerweile längst passé sein. Zumindest die Summe, die die Stadt gemäß der Finanzierungsvereinbarung offiziell zahlen muss, sieht im Vergleich zu den Anteilen der anderen Projektpartner aber immer noch vergleichsweise überschaubar aus: 292 Millionen, gegenüber 930 Millionen, die etwa das Land Baden-Württemberg übernimmt. Und dazu kommt noch ein Drittel der 339 Millionen, die der Flughafen Stuttgart beisteuert, da er zu einem Drittel von der Stadt getragen wird – also noch 113 Millionen zusätzlich.

Dass das nicht die ganze Wahrheit ist, hat Kontext schon mehrfach dargelegt (zum Beispiel hier). So kommt die Stadt durch versteckte beziehungsweise De-facto-Projektkosten schon in die Nähe von zwei Milliarden Euro. Würde man den vom damaligen OB Wolfgang Schuster (CDU) vorangetriebenen Kauf des irgendwann einmal frei werdenden Gleisvorfelds im Jahr 2001 als das werten, was es eigentlich war, ein Darlehen an die Bahn, dann hätte sich mit der dafür üblichen Verzinsung der Betrag für das Grundstücksgeschäft bis 2020 auf rund 1,2 Milliarden Euro erhöht. Dazu kommt ein ganzes Bündel zusätzlicher Kosten, die die Stadt wegen Stuttgart 21 schultert. Etwa für die Verlagerung der Stadtbahn-Haltestelle Staatsgalerie (ca. 40 Millionen Euro) oder für die Verlagerung von Schulen (ca. zehn Millionen).

Neben diesen De-Facto-Kosten, die in keiner offiziellen Rechnung auftauchen, gibt es aber auch eine Reihe ganz offizieller Kosten der Stadt in Zusammenhang mit Stuttgart 21. Die Fraktionsgemeinschaft FrAktion im Stuttgarter Gemeinderat hat dazu im Februar 2020 eine Anfrage gestellt und nun, fast ein Jahr später, die Antwort der Stadt bekommen, unterschrieben vom Ersten Bürgermeister Fabian Mayer.

Der dickste Batzen ist dabei schon vom Grundprinzip her ein dicker Hund: Eigentlich hätte die Bahn der Stadt Stuttgart ab dem 1. November 2011 Verzugszinsen zahlen müssen, falls bis dahin die Grundstücke des Gleisvorfelds noch nicht frei und bebaubar sind – was sie bekanntlich noch viele Jahre lang nicht sein werden. In bemerkenswerter Mildtätigkeit hatte der Gemeinderat aber 2007 beschlossen, der Bahn diese Kosten bis zum 31. Dezember 2020 zu erlassen, also auf die Strafzinsen zu verzichten. Dadurch entgingen der Stadt, so die jetzt erfolgte Auskunft, fast 140 Millionen Euro.

Seit diesem Jahr müsste die Bahn nun eigentlich Verzugszinsen zahlen. Ob sie dies auch tatsächlich tut und wie hoch genau die jährlichen Beträge sein werden, war auf Kontext-Anfrage aber vor Redaktionsschluss nicht zu erfahren – "bei einer so sensiblen Thematik" sei es nicht möglich, so kurzfristig zu antworten, teilt die Pressestelle des Stuttgarter Rathauses mit.

Personal 25 Millionen, PR acht Millionen

Ein weiterer großer Posten sind die Personalkosten, die Stuttgart in Zusammenhang mit Stuttgart 21 trägt. Die belaufen sich nach Auskunft der Stadt auf rund 25 Millionen Euro seit 1997 – "überschlägig gerechnet". Es sei allerdings davon auszugehen, ist in der Antwort zu lesen, dass die tatsächlichen Personalkosten niedriger liegen, da beispielsweise unklar sei, ob die Stellen nach wie vor allein für S-21-Aufgaben genutzt würden. 28,6 Stellen wurden extra für S 21 neu geschaffen, sechs umgewidmet.

8,15 Millionen Euro hat die Stadt zudem bislang für S-21-Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. Der weitaus größte Teil davon für die Ausstellung im Turmforum, den Infoladen Prag und den ab 2019 neu gebauten Infoturm – seit 1997 kamen hier rund 7,85 Millionen zusammen. Die weiteren Posten sind Aufwendungen für die S-21-Schlichtungsgespräche (135.000 Euro), das Bürgerinformationssystem BISS 21 (115.000) und Informationsveranstaltungen (50.000).

Für Rechtsberatung im Zusammenhang mit Stuttgart 21 hat die Stadt bislang rund 677.000 Euro ausgegeben, als zusätzlicher Extraposten aufgeführt werden die bisher angefallenen Kosten, die beim Rechtsstreit mit der Bahn um die Übernahme von S-21-Mehrkosten bislang anfielen: rund 132.000 Euro.

Es kommt also einiges zusammen – und das ist noch längst nicht alles. Die Antwort auf die Frage nach den Mehrkosten für die Stadt "bei den Folgemaßnahmen von Stuttgart 21 (wie etwa dem Neubau der U-Bahn-Haltestelle Staatsgalerie, Masse-Feder-Systemen, Verlängerung der Unterfahrung des Gebhard-Müller-Platzes (…)), die durch die Bauzeitverzögerungen des Gesamtprojekts entstanden sind", die umgeht Bürgermeister Mayer gewitzt: Dies lasse sich "nicht beantworten, da keine vergleichbaren Zahlen zum ursprünglich geplanten Ausführungszeitraum vorliegen."

Gäubahntunnel: wird wohl sauteuer

Von präzisen Zahlen kann man in anderen Bereichen in Zusammenhang mit Stuttgart 21 nur träumen. Etwa bei der neuen Idee eines Gäubahntunnels, die Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) im vergangenen Jahr aus dem Hut gezaubert hat. Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung dafür liegt, obwohl ursprünglich für Anfang Januar angekündigt, immer noch nicht vor, geschweige denn eine detaillierte Planung. Doch die vage Tunnelidee hat trotzdem schon einige sehr konkrete Folgen gezeitigt: Die fortwährende Propagierung von Bilgers neuem Lieblingsprojekt und die überaus wohlwollende Resonanz bei vielen Landes- und Lokalpolitikern haben dazu geführt, dass Stuttgarts Regierungspräsident Wolfgang Reimer am 9. Februar erklärte, das laufende Planfeststellungsverfahren zum Flughafenanschluss der Gäubahn auf den Fildern (der so genannte PFA 1.3b) werde auf Eis gelegt. Denn dies könne so nicht fortgeführt werden, mit häppchenweise kommenden Informationen zu einer Alternativplanung, so Reimer. Auch wenn das Regierungspräsidium zwei Tage später erklärte, dass das Genehmigungsverfahren doch nicht gestoppt sei, sondern weiterlaufe, drängt sich der Eindruck auf, um die Zukunft von Abschnitt 1.3b stehe es nicht zum Besten. Dass die bisherigen – und tatsächlich miserablen – Anschlusspläne kurz vor der Entsorgung stehen, vermuten so manche, nicht nur aus Kreisen der S-21-Gegner.

Das ist insofern einigermaßen kurios, weil Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) noch wenige Tage zuvor, am 4. Februar, in einem sehr eilig anberaumten Pressegespräch mit Nachdruck betont hatte, was er schon bei der S-21-Lenkungskreissitzung im vergangenen Oktober gesagt hatte: dass dieser Tunnel momentan nicht mehr als eine planerische Fiktion sei, einen Gäubahnanschluss auf den Fildern in noch weitere Ferne rücken würde als sowieso schon, und dass er zudem ein kompliziertes Aufschnüren und Neuverhandeln der S-21-Finanzierung erfordern würde. Fünf Tage später dann der vorläufige Stopp, der im Grunde die Kontext-Interpretation vom Juli 2020 bestätigte: dass der Tunnelvorschlag vor allem ein Eingeständnis des schon jahrelang absehbaren krachenden Scheiterns der bisherigen Filderplanung aufzeigt.

Was der Tunnelspaß kosten soll, ist mangels Wirtschaftlichkeitsberechnung einstweilen unklar. Bisherige Schätzungen waberten um einen Betrag von rund einer Milliarde Euro. Es dürfte weit mehr als doppelt so viel werden, hat der Münchner Verkehrsexperte Karlheinz Rößler ausgerechnet, auch wenn man sich für seine genaue Prognose noch ein paar Tage gedulden muss. Für eine neue Studie hat Rößler nicht nur den Gäubahntunnel, sondern auch andere Ergänzungsprojekte, die in der Diskussion sind, unter die Lupe genommen; so den Nordzulauf zum Hauptbahnhof, die so genannte P-Option und die Gäubahnzuführung zu einem möglichen Ergänzungs-Kopfbahnhof. Anhand bereits realisierter, vergleichbarer Tunnelprojekte hat er deren Kosten kalkuliert und auch die beim Bau verursachten CO2-Emissionen errechnet. Vorgestellt werden soll die Studie am kommenden Montag.

 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes fehlte der Hinweis, dass das Regierungspräsidium einen Stopp des Genehmigungsverfahrens für PFA 1.3b verneinte, nachdem die Äußerungen von Regierungspräsident Wolfgang Reimer dies nahegelegt hatten. Dies haben wir mittlerweile ergänzt.


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3 Kommentare verfügbar

  • a dabei
    am 18.02.2021
    Antworten
    Tja die Nebenkosten: Hundert Jahre lang wurde das Abwasser über einen Kanal geleitet, der das Bahngelände des künftigen S21-Abstellbahnhofs in Untertürkheim querte. Weil das aber nun die Bahn bei ihren Bauarbeiten störte, hat sie den bis 2022 terminierten Durchleitungs-Vertrag gekündigt. Deshalb…
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