Morddrohungen, Waffenfunde, Sympathien für die "Reichsbürger"-Bewegungen, antisemitische und rassistische Chatgruppen liefern zahlreiche Belege für rechtsextreme Haltungen und Handlungen bei Polizisten. Fakt ist, dass sich im Jahr 2019 rechtsextreme Fälle in deutschen Polizeibehörden häuften. In mehreren Bundesländern werden Disziplinarverfahren gegen Extremisten im Staatsdienst geführt. Im Juni 2019 warnte der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bundespolizist Jörg Radek, bei vielen Polizisten sei "etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt".
Einer Auflistung des "Deutschlandfunks" zufolge, der eine Anfrage bei den 16 Innenministerien und beim Bundesinnenministerium vorausging, gibt es an die 200 Fälle rechtsextremer Betätigung von Polizeikräften in der Bundesrepublik. Die Angaben beziehen sich auf unterschiedliche Zeiträume seit 2013. Zu den erfassten und gemeldeten Fällen zählen sehr bekannt gewordene wie die Versendung von Drohbriefen an eine türkischstämmige Rechtsanwältin in Hessen, aber auch das Zeigen und Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen.
Das baden-württembergische Innenministerium teilte dem "Deutschlandfunk" mit, dass ihm für das Jahr 2019 "sechs Fälle" bekannt seien, in denen aufgrund des Verdachts auf rechtsextreme Äußerungen disziplinarrechtliche Vorermittlungen geführt wurden. Drei Fälle hätten sich konkretisiert, in einem vierten habe ein Beamter auf Widerruf seine Entlassung beantragt.
In der vergangenen Woche, am 12. Februar 2020, gab die Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen bekannt, dass sie sieben Beamte in Ausbildung wegen demokratiefeindlichen Verhaltens suspendiert hat. Die angehenden Polizeibeamten, die sich im Institutsbereich Ausbildung in Lahr (Ortenaukreis) seit Anfang September 2019 in der Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst befanden, hatten sich demnach in einer geschlossenen App-Gruppe über Inhalte mit nationalsozialistischem, antisemitischem und frauenfeindlichem Gedankengut ausgetauscht.
Nach einer Razzia am 14. Februar 2020 sitzen aktuell zwölf mutmaßliche Rechtsterroristen in Untersuchungshaft, die im Verdacht stehen, Anschläge in Moscheen und gegen Politiker vorbereitet zu haben. Wie die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet, wurde daraufhin ein Verwaltungsmitarbeiter der Polizei in Nordrhein-Westfalen suspendiert. Er steht im Verdacht, zum Unterstützerkreis der Terrorzelle zu gehören. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) versprach daraufhin gegenüber der SZ ein "entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsextreme auch bei der Polizei", wie die Zeitung meldet.
Handlungsbedarf besteht. Kontext dokumentiert ausgewählte Fälle mit Polizisten in extrem rechten Zusammenhängen, die im vergangenen Jahr bekannt wurden. Vertiefende Informationen sind jeweils verlinkt.
Freunde von Verfassungsfeinden
Allein in Hessen ist in den vergangenen fünf Jahren gegen 40 Polizisten wegen des Verdachts auf Straftaten mit potenziell "rechtsextremistischem Hintergrund" ermittelt worden. Bislang wurden fünf Polizisten aus dem Dienst entlassen. Mehr als ein Dutzend der Verfahren wurde bereits eingestellt. Bei den restlichen Fällen laufen die Ermittlungen noch.
Bundesweit gibt es rund zwei Dutzend Fälle, in denen sich bei Polizisten ein "Reichsbürger"-Verdacht bestätigte. Mindestens 15 weitere Verdachtsfälle werden noch geprüft, so Recherchen der "Frankfurter Rundschau". Baden-Württemberg gibt zwei Fälle an. "In einem Fall haben sich die Vorwürfe nicht erhärtet, weshalb das Disziplinarverfahren eingestellt wurde. Im zweiten Fall wurde eine Kürzung des Ruhegehalts um 20 Prozent für zwei Jahre verfügt", sagte ein Sprecher in Stuttgart.
Verbeamtete Reichsbürger in Nordrhein-Westfalen: In Paderborn musste ein 45-jähriger Polizist seine Waffe abgeben und wurde vom Dienst suspendiert. Der Streifenpolizist soll den "Reichsbürgern" nahestehen. Insgesamt stehen in NRW fünf Polizisten unter dem Verdacht, zu den "Reichsbürgern" zu gehören. Gegen sie laufen Disziplinarverfahren. Zwei von ihnen sind bereits im Ruhestand, zwei andere sind vom Dienst suspendiert. Bei dem fünften Beamten hat die betroffene Behörde erfolglos auf Entlassung geklagt. Das Disziplinarverfahren wird fortgesetzt.
Höcke-Fan als Gruppenführer in Göppingen, Baden-Württemberg: Simon Dennenmoser, als Polizist Gruppenführer beim Göppinger Polizeipräsidium, war Ende 2016 wegen diverser rechtsextremer Facebook-Posts unter einem Tarnnamen negativ aufgefallen. Unter anderem bedauerte der damalige JA-Kreisvorsitzende, heute AfD-Kreisvorsitzender, dass "wir in Deutschland keine Demokratie haben" und verbreitete Material der Identitären Bewegung. Zudem gab er sich als Anhänger des extrem rechten "Flügels" rund um den Faschisten Björn Höcke zu erkennen. Im Fazit des im Juli abgeschlossenen Disziplinarverfahren des Göppinger Polizeipräsidiums heißt es: "Das Präsidium sieht es als erwiesen an, dass ein Dienstvergehen vorliegt und hat das ausdrücklich festgestellt."
Protest gegen den Arbeitgeber: Die Berliner Polizei prüft nach Informationen des RBB den Fall eines Polizeibeamten, der sich bei einer Demonstration volksverhetzend geäußert haben soll. Demnach hat der Polizist bei einer Protestkundgebung vor dem Landeskriminalamt am 20. Juni eine viertelstündige Rede gehalten. Darin soll der langjährige Beamte etwa die Rolle des NSU verharmlost haben. Außerdem habe der Polizist wahrheitswidrig behauptet, 99 Prozent der Straftaten in Deutschland würden von Ausländern begangen.
Politisch motivierte Kriminalität
Linke Aktivisten in Berlin bedroht: Ein Berliner Polizist hat Drohbriefe mit persönlichen Daten an Personen geschickt, die der linken Szene in Berlin zugerechnet werden. Darin drohte er, die Daten an Rechtsextreme weiterzuleiten. Inzwischen hat der Beamte gestanden, die Briefe im Dezember 2017 verschickt zu haben und hat einen Strafbefehl über 3 500 Euro akzeptiert.
Statt extremistische Aufschriften zu entfernten, malt die Brandenburger Bereitschaftspolizei welche dazu: Gegen neun Beamte der in Cottbus stationierten Brandenburger Bereitschaftspolizei, die im November am Großeinsatz gegen Aktionen des Klimaschutz-Bündnisses "Ende Gelände" in der Lausitz beteiligt waren, läuft ein Disziplinarverfahren. Sie hatten ein Selfie gepostet, das die Polizistengruppe vor einem riesigen Wandgemälde mit der Aufschrift "Stoppt Ende Gelände" zeigte, geschmückt mit einem Krebs – dem Wappentier der Stadt Cottbus, das auch von rechtsextremen und identitären Gruppen als Symbol verwendet wird. Später hieß es, die Beamten, die Order hatten, die Wand zu übermalen, hätten neben dem Krebs auch die Initialen "DC" zurückgelassen, das Kürzel der rechtsextremen Gruppierung "Defend Cottbus".
Informationen für Neonazis in Dieburg, Hessen: Das Amtsgericht Dieburg in Südhessen hat im März einen Polizisten zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er vertrauliche Daten an eine Bekannte mit Verbindungen in die Neonazi-Szene weitergegeben hat.
Volksverhetzung ohne Konsequenzen in Sachsen: Im Dezember 2019 wurde bekannt, dass ein Disziplinarverfahren gegen den sächsischen Polizeihauptmeister Roland G. eingestellt wurde. Im September 2017 hatte das Amtsgericht Dresden den Polizisten wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er auf Facebook Hass gegen Geflüchtete geschürt hatte. Der Beamte teilte auf seinem öffentlich einsehbaren Profil einen Beitrag, in dem es hieß, "in schwer bewaffneten Horden werden die art- und wesensfremden Ausländer (in der Mehrzahl muslimischen Glaubens) aus ihren Ghettos ausbrechen, die Kontrolle über europäische Großstädte übernehmen und auf bestialische Weise alles ausplündern". Berufsrechtliche Konsequenzen folgten für den Polizeihauptmeister keine – er ist weiter im Polizeidienst tätig.
Rassistischer Angriff auf Geflüchteten in Baden-Württemberg: In einer Berufungsverhandlung am Landgericht Augsburg im März wurden zwei Polizeibeamte des Polizeireviers Giengen verurteilt, nachdem sie im September 2016 einen Geflüchteten aus Senegal rassistisch beleidigt und körperlich angegeriffen hatten. Ein 43-jähriger Polizeibeamter wurde zu einer elf-monatigen Haftstrafe, auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, sowie Zahlung von 3 000 Euro verurteilt. Der 41-Jährige muss 9 000 Euro zahlen.
Waffenbeschaffung für Verschwörungstheoretiker
Staatsgefährdende Gewalttat in Mecklenburg-Vorpommern geplant: Sechs Mal sind Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten sieben Jahren mit rechtsextremen Vorfällen behördlich aufgefallen. In allen Fällen seien Disziplinar- und in der Hälfte der Vorwürfe zusätzlich auch Strafverfahren gegen die Beamten eingeleitet worden, teilte das Innenministerium im Februar mit. In den drei Fällen geht es demnach um mutmaßliche Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll-, Sprengstoff- und Waffengesetz, Volksverhetzung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Kein Beamter ist aber bislang aus dem Dienst entfernt worden.
Munition für die Prepper-Szene: Im Juni 2019 wurden in Mecklenburg-Vorpommern drei aktive und ein pensioniertes Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Mecklenburg-Vorpommern festgenommen. Sie sollen von 2012 an Munition aus Beständen des LKA entwendet haben und einem weiteren Beschuldigten mit Kontakt zur Prepper-Szene übergeben sowie Listen mit den Namen bestimmter Politiker angelegt haben. 14 Objekte, Wohnräume und Arbeitsplätze der Polizisten wurden unter anderem in Rostock und Güstrow durchsucht. Die Durchsuchungen und Festnahmen stehen im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Gruppe "Nordkreuz" in Mecklenburg-Vorpommern, die seit Sommer 2017 beim Generalbundesanwalt laufen.
Illegaler Waffenbesitz dokumentiert: Das Landgericht Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern hat Marko G., einen früheren Scharfschützen beim Spezialeinsatzkommando (SEK) Mecklenburg-Vorpommern, kurz vor Weihnachten zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Bei dem Fall ging es unter anderem um den illegalen Besitz einer Maschinenpistole und 1500 Schuss Kriegswaffen-Munition sowie um die unsachgemäße Lagerung weiterer Waffen, Munition und Sprengmittel. Es ging aber auch um die Prepper-Gang "Nordkreuz", in der Marko G. eine führende Rolle innehatte.
Offene NS-Bezüge
Im Oktober 2019 bestätigte das Bundeskriminalamt dem "Spiegel", dass drei Kommissarsanwärter mit rechtsextremen Sprüchen aufgefallen seien. Gegen einen Anwärter, der sich bei einer computergestützten Lehrübung den Namen "Holocaust=fake" gegeben habe, laufe eine Entlassungsverfahren. Ein zweiter Anwärter, der sich den Namen "Hitler" gegeben habe, sei gemaßregelt worden. Ein weiterer Anwärter, der als "NateHigger" an der Übung teilnahm, konnte nicht identifiziert werden.
Nazi-Devotionalien in Kirtorf, Hessen: Bereits 2018 häuften sich Berichte über rechtsextreme Akitivitäten in der hessischen Polizei. Vor dem Hintergrund der Ermittlungen ist im Januar 2019 die Wohnung eines 44-jährigen Polizisten in Kirtorf (Vogelsbergkreis) zum zweiten Mal durchsucht worden. Er und sein 35-jährier Bruder – ebenfalls Polizist, allerdings in unterschiedlichen Präsidien – sollen mit rechtsextremen Äußerungen aufgefallen sein. Im Zuge der Durchsuchungen wurden verschiedene NS-Devotionalien aufgefunden.
Tannenbaum mit Hakenkreuz-Kugeln in Hamburg: Seit 2015 hat es in Hamburg mindestens vier Vorfälle wegen rechtsextremer Umtriebe bei der Polizei gegeben. Das geht aus einer Senatsantwort im Januar auf eine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider hervor, die im Januar 2019 öffentlich wurde. Demnach entließ die Hamburger Polizei im März 2018 einen Angestellten, der auf einer Anti-Merkel-Kundgebung als Redner aufgetreten war. In einem weiteren Fall hat ein Angestellter im Polizeidienst in Chat-Gruppen Bilder von einem Tannenbaum mit Hakenkreuz-Kugeln verschickt.
Hitler-Gruß in Rosenheim, Bayern: Wegen rechtsextremer Straftaten haben die bayerischen Behörden 2018 gegen drei Polizisten ermittelt. Einer der Tatverdächtigen war Landespolizist, die zwei anderen waren Beamte der Bundespolizei. Im September 2018 wurden zwei Bundespolizisten von ihrem Dienst suspendiert, weil sie in einem Rosenheimer Lokal fremdenfeindliche Parolen gerufen und den Hitlergruß gezeigt haben sollen. Die Polizei ermittelte gegen die Kollegen wegen Verdachts auf Volksverhetzung, so Medienangaben vom Februar.
Selfie mit Wehrmachtsmütze in Eutin, Schleswig-Holstein: Im Juni hat die Staatsanwaltschaft Lübeck Ermittlungen gegen einen 20-jährigen Polizeianwärter der Polizeischule Eutin eingeleitet. Der Beschuldigte hatte sich auf einem Foto mit Hakenkreuz-Binde und Wehrmachtsmütze dargestellt. Der fristlos entlassene Polizeischüler soll in WhatsApp-Gruppen Juden ein "verfluchtes wurzelloses Volk" genannt haben.
Holocaust-Leugnung in Dresden: Am Rande eines Protests gegen einen Stand der AfD in der Äußeren Neustadt von Dresden soll ein Polizist Zweifel daran geäußert haben, dass während der NS-Diktatur sechs Millionen Juden ermordet worden sind.
Antisemitische Chats in Frankfurt, Hessen: Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sechs mittlerweile entlassene hessische Polizeianwärter, die während ihrer Ausbildung über eine WhatsApp-Gruppe antisemitische und rassistische Botschaften ausgetauscht haben sollen. So sollen sie ein Foto herumgeschickt haben, das Juden in einem Deportationszug zeigt. Dazu steht: "Genieß das Leben in vollen Zügen."
Beförderung trotz Sieg-Heil-Rufen: Drei Berliner Polizeischüler, die wegen rechtsextremer Äußerungen bei einem Basketballspiel in erster Instanz zu Geldstrafen verurteilt wurden, sind noch vor Ende des Verfahrens in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden. Das Amtsgericht Tiergarten hatte das Trio wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. "Sieg-Heil-Rufe von Polizeischülern – trotzdem befödert worden", titelt die taz.
5 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 27.10.2023Einzelfälle seien es, um dann diese abgedroschene Phrase zu verwenden:
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