KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Visionen statt Wohnen

Visionen statt Wohnen
|

Datum:

Schwarze und Grüne feiern ihn, für die Linken ist er eine Reizfigur: Michael Föll, Stuttgarts Finanzbürgermeister mit CDU-Parteibuch. Kontext hat ihn vor seinem Wechsel ins Kultusministerium besucht, um mit ihm auch darüber zu reden, wofür er mitverantwortlich war: den nicht immer sozialen Wohnungsbau.

Michael Föll , 53, begann seinen Aufstieg auf der Stuttgarter Karriereleiter oben auf der Waldau, als Funktionär beim Verein TuS Eislauf. Für den TuS holte er zwei Mal den Deutschen Jugendmeistertitel. Später stand er für ihn vor Gericht, als Vereinsvorsitzender, als es um sexuellen Missbrauch und Gewalt gegen junge SportlerInnen durch einen Trainer ging. Föll hatte seine Sportlerkarriere damals längst auf Eis gelegt und die politische bei der CDU begonnen. 1985 ließ er sich in den Stadtrat und 1992 an die Spitze der Jungen Union wählen. 1998 wurde er Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion, 2004 Erster Bürgermeister, 2006 Landtagsabgeordneter. Letzteres war zu viel, zwei Jahre später gab er das Mandat zurück. Seither ist er nur Bürgermeister, hat rund zehn Aufsichtsratsposten und Zeit, sich im Kuratorium des Vereins ProChrist zu engagieren. (sw)

Eine seltsame Situation ist das in Stuttgart, für einen, der aus Mannheim kommt. Da schwimmt die Landeshauptstadt im Geld, Großkonzerne sind hier ansässig, die Gewerbesteuern in einer Höhe zahlen, dass andere Gemeinden vor Neid erblassen. Doch die Mannheimer, eigentlich arm wie Kirchenmäuse und verschuldet wie keine andere Großstadt im Südwesten, stellen ihrer Bevölkerung, bei halb so vielen Einwohnern, 19 000 preisgünstige Sozialwohnungen bereit – beinahe 5000 mehr als Stuttgart, wo die Wohnungsnot inzwischen bei jedem zweiten Gespräch das Hauptthema ist. Wie kann das sein?

Zum einen wächst Stuttgart. Das knappe Angebot wird weiter strapaziert durch mehr Leute, die gerne in die Stadt ziehen würden. Zum anderen erhöht sich der Druck auf Mieter dadurch, dass sich die Kommunalpolitik, freundlich ausgedrückt, in den vergangenen Jahren sehr unwillig zeigte, ins Marktgeschehen einzugreifen, und den Profitinteressen großer Investoren und Immobilienunternehmen einen sozialen Gegenpol entgegenzusetzen. Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware.

Nun fällt die Förderung von solchen Dächern über dem Kopf nicht in den Beritt von Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne), sondern ins Finanzressort. Dem sitzt seit 2004 der Erste Bürgermeister Michael Föll vor, der vor kurzem überraschend seinen Wechsel ins Kultusministerium bekannt gegeben hat, wo er im kommenden März der Amtschef unter Ministerin Susanne Eisenmann (CDU) sein wird.

Verkauft, was nicht genug Reibach abwarf?

Föll empfängt in einem großzügig zugeschnitten Büro, dem zweitgrößten im Rathaus und mit schönem Blick auf den Marktplatz. Der Unionspolitiker ist im Umgang höflich und charmant, aus den Grünen, die einmal politische Gegner waren, hat er Freunde gemacht. Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Andreas Winter, Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, betonen unisono, dass der Weggang ein Verlust für die Stadt sei. Da fällt es nicht so sehr ins Gewicht, wenn der Linke Tom Adler meint, keiner von beiden habe "wirksame Konzepte für Mieterschutz und gegen Spekulation" gehabt. Stattdessen habe Föll wie der Chef einer Privatfirma agiert und kommunales Eigentum verkauft, sobald es nicht mehr genügend Reibach abgeworfen habe.

Falsch, antwortet Föll. "Mein Augenmerk galt stets einem ordentlichen Haushalt" und sein größter Erfolg sei es, seinem Nachfolger "bei den Stadtfinanzen geordnete Verhältnisse zu übergeben". Und er habe als Erster Bürgermeister die Vision einer schuldenfreien Stadt verfolgt.

Das ist ihm gelungen, und dabei handelt es sich um ein Alleinstellungsmerkmal unter den Großstädten im Süden der Republik. Dem Finanzbürgermeister bringt das, besonders in konservativen Kreisen, viel Anerkennung ein. Noch zu Beginn der 1990er Jahre lag Stuttgarts Schuldenstand deutlich über einer Milliarde Euro, bei Fölls Amtsantritt 2004 waren es gut 500 Millionen. Das ist allerdings nur die eine Seite Stuttgarts: Während die Stadtkasse blendend dasteht, ist jeder zehnte Bürger überschuldet, also nicht mehr in der Lage, ausstehende Rechnungen aus eigenen Mitteln zu begleichen. Zu den größten Sorgen für Menschen mit geringem Einkommen – auch für solche, die keine Schulden haben – gehören die rapide steigenden Mietpreise, die in Stuttgart seit 2004 beinahe um 60 Prozent in die Höhe geschnellt sind.

Auf den Wohnungsbau kommt Föll von sich aus zu sprechen. Das sei eine der "zentralen Herausforderungen", die sein Nachfolger bewältigen müsse. Allerdings sagt er: "Wir haben ja bei der SWSG, unserem kommunalen Wohnungsunternehmen, schon die Trendumkehr geschafft." Denn: "Dieses Jahr erreichen wir zum ersten Mal das Ziel, 300 neue Sozialmietwohnungen bauen zu lassen. Und das werden wir auch in den kommenden Jahren hinkriegen." Weil aber Sozialmietwohnungen nur über einen befristeten Zeitraum günstig vermietet werden, entfallen jedes Jahr etwa 400 bis 450 alte Wohneinheiten aus der Preisbindung. Föll widerspricht jedoch der Aussage, dass die Gesamtbilanz negativ sei: "Nein. Wir haben bei der SWSG durchaus auch Belegungsrechte, die über die Normalbindungszeiträume hinausgehen."

Preiswerter Wohnraum ist Mangelware

Wie schwierig es ist, der Entwicklung am Wohnungsmarkt als Stadt etwas entgegenzusetzen, zeigt sich am Privatisierungswahn. Das eindrucksvollste Beispiel, das Stuttgart betrifft, stammt hier allerdings nicht aus der Stadt-, sondern aus der Landespolitik, und zwar unter grün-roter Regierung. <link https: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.lbbw-aufsichtsrat-lbbw-aufsichtsrat-entscheidet-fuer-patrizia.2bc700b0-9663-452e-b5de-a8c705872ec6.html external-link-new-window>Föll selbst war seinerzeit sogar ein Kritiker der Entscheidung ("Heute hat das Geld über die Vernunft gesiegt"). Im Jahr 2012 verkaufte die Landesbank Baden-Württemberg fast 20 000 preisgünstige Mietwohnungen in öffentlicher Hand für 1,44 Milliarden Euro an den Investor Patrizia. Der wiederum schob sie bereits 2015 weiter, für 1,9 Milliarden Euro an die Deutsche Annington, die heute Vonovia heißt. In Stuttgart sind davon etwa 4000 Wohnungen betroffen – was etwa 12 Jahren Sozialem Wohnungsbau der Kommune entspricht. Bei dem in Aussicht gestellten Tempo, solange die aus der Preisbindung entfallenden Wohnungen gänzlich ausgeblendet werden. Die Vonovia-Aktie übrigens stieg im vergangenen Jahr um 33,9 Prozent.

Was den Aktionär freut, ist gesamtgesellschaftlich gesehen unsozial. Städtische Grundstücke böten die Möglichkeit, Flächen in Eigenregie zu gestalten und vergleichsweise günstig zu bebauen. Stuttgart hat allerdings, mit Föll als Finanzbürgermeister und unter Billigung einer Gemeinderatsmehrheit, in den vergangenen Jahren zahlreiche Grundstücke veräußert, ohne dass hier nennenswert preiswerter Wohnraum entstanden wäre. Laut dem Ersten Bürgermeister war das dennoch der richtige Weg. Schließlich seien die Grundstücke entwickelt worden, entweder für Wohnungsbau, oder sie hätten der Entwicklung von Unternehmen und Gewerbe gedient. "Es macht ja auch keinen Sinn, dass wir als Stadt Grundstücke haben, die wir dann nicht entwickeln."

Markus Müller allerdings, Vorsitzender der Architektenkammer in Baden-Württemberg und CDU-Mitglied, sagte 2015 <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft nicht-die-investoren-machen-stadt-3224.html external-link-new-window>in einem Kontext-Interview über die Situation in Stuttgart: "Das Wichtigste sind die Grundstücke, über die eine Stadt verfügt. Wenn ein Kämmerer sagt, Hauptsache, ich habe einen ausgeglichenen Haushalt, dann verkaufe ich eben noch ein paar Grundstücke an den Meistbietenden, dann hat er Wesentliches seines Jobs nicht verstanden."

Nach einer kurzen Pause fragt der Stuttgarter Kämmerer: "Was soll mir das Zitat jetzt sagen?" Er wisse nicht, was Herr Müller damit gemeint hat. "Wir haben nie Grundstücke unter dem Gesichtspunkt veräußert, den Haushalt auszugleichen." Er halte es für einen ganz normalen Vorgang, städtische Grundstücke zu verkaufen, genauso wie als Stadt Flächen zu erwerben völlig normal sei. In der Gesamtbilanz sieht das so aus: Wenn man An- und Verkäufe gegenüberstellt, hat die Stadt in der Amtszeit des Finanzbürgermeisters mit ihren Einnahmen ein Plus von gut 450 Millionen Euro gemacht. "In dieser Bilanz fehlt ja noch eines", betont dieser. Sprich der Batzen, den die Stadt 2001, also wenige Jahre bevor Föll Bürgermeister wurde, für die Grundstücke gelöhnt hat, die durch S 21 frei werden sollen. Dafür hat die Stadt gut 459 Millionen Euro ausgegeben. Vor diesem Hintergrund habe man "letztlich eine ausgewogene Bilanz".

Die ist ihm wichtig. In seiner Rede zum städtischen Doppelhaushalt bekundete er, den Ratsmitgliedern für jeden Antrag dankbar zu sein, den sie nicht gestellt haben. Sonst "stünden wir nicht vor der Chance, einen genehmigungsfähigen Haushalt ohne Auflagen zu bekommen". Das klingt nach harten Zeiten, beinahe nach einem bevorstehenden Bankrott. Schließlich erwirtschaftete die Stadt jedoch 2017 einen Überschuss von 382,7 Millionen Euro, 100 Mal mehr als eingeplant.

Bockelharte Wand im Doppelpack

Föll begründet diese Diskrepanz damit, ein Haushalt werde "vernünftigerweise immer unter dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip gemacht", und nur so funktioniere "er dann im Vollzug auch tatsächlich". Also lieber vorher schlechter schätzen als zu gut. "Große Zuwächse sind nicht immer absehbar", sagt er. Und: "Ich sitze ja nicht mit einer Glaskugel da. In der Stadtkämmerei schätzen wir das sorgfältig, nach dem Wissensstand, den wir zu diesem Zeitpunkt haben." Aktuell zeigt er sich optimistisch und prognostiziert auch für 2018 einen Überschuss.

Und dieses Wachsen sei wichtig, sagt Föll, steigende Steuereinnahmen sogar notwendig, um Sparmaßnahmen zu vermeiden. Seine Begründung: Ein großer Block im Haushalt seien, mit über 600 Millionen Euro pro Jahr, die Personalkosten, hinzu kämen beispielsweise Zuschüsse an freie Träger wie Kitas. Und, so der Christdemokrat: "Die Löhne sollen steigen." In diesem Jahr um circa drei Prozent, da gebe es auch Tarifverträge. Zudem würden Heizkosten und Strompreise selten sinken. "Wenn also die Einnahmen nur stabil bleiben, aber die Ausgaben steigen, dann geht eine Lücke auf."

Nachfolger nominiert

Michael Föll wird das Amt des Ersten Bürgermeisters, in dessen Zuständigkeit bislang die Finanzen, Wirtschaft und Beteiligungen fallen, noch bis Ende Februar 2019 ausüben. Am vergangenen Dienstag hat die CDU Stuttgart nun ihre Pläne für die Nachfolge publik gemacht. Der Titel des Ersten Bürgermeisters soll demnach auf den Juristen Fabian Mayer übertragen werden, der seit 2016 Stuttgarter Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung, Recht und Kultur ist. Neuer Bürgermeister für Wirtschaft, Finanzen und Beteiligungen soll mit dem bisherigen CDU-Stadtrat und Verwaltungswirt Thomas Fuhrmann besetzt werden. Da der Posten per Proporz vergeben wird und die CDU größte Gemeinderatsfraktion ist, gilt die Wahl als Formalität. (min)

Nun wechselt der 53-Jährige ins Kultusministerium, was er damit begründet, dass er sich gegen eine dritte Amtszeit entschieden habe und noch einmal eine neue Herausforderung suche. Dass er kein Bildungspolitiker ist, betrachtet er nicht als Hindernis, das sei für einen Amtschef auch nicht "per se das Erforderliche". Schließlich müsse er "keinen Lehrplan für Chemie in der zehnten Klasse" entwickeln, dafür gebe es Fachabteilungen und Institute. Ein Amtschef habe dafür zu sorgen, dass das Ministerium "möglichst rund und mit hohem Takt läuft".

Also hätte es auch jedes andere Ministerium werden können? "Theoretisch schon", sagt er nach einer kurzen Pause, "praktisch nicht." Als größtes Ministerium, sowohl beim Budget als auch bei der Zahl der Stellen, habe das Kultusministerium einen "besonderen Reiz", ebenso wie seine Chefin Susanne Eisenmann. Die ihren Job couragiert und mit "großem Gestaltungswillen" mache, und an der Seite einer solchen Ministerin zu arbeiten sei "immer spannend". Zumindest letzteres dürfte, die Hemdsärmeligkeit der Ministerin zugrunde legend, sehr real sein. Im Doppelpack, vermuten Kenner, werde hier eine bockelharte Wand stehen.

Zum Schluss noch die Frage, ob er einmal selbst Minister werden möchte? Diese Spekulationen hätten ihn bereits die letzten zwanzig Jahre immer wieder begleitet, sagt er, und es sei kein Teil seiner Lebensplanung. "Ich finde, man kann auch ohne Ministerposten ein glücklicher Mensch sein", sagt er lächelnd.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Charlotte Rath
    am 21.11.2018
    Antworten
    Nur gut, dass Herr Schredle nicht nach dem Zustand der städtischen Schulen fragte. Deren Substanz wurde unter Herrn Föll kaputtgespart. Wozu brauchen Schülerinnen und Schüler auch Toiletten zur Vorbereitung aufs Berufsleben? Und solange ein Rektor bei Regen damit beschäftigt war, Eimer auf den…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!