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Kurtzgeschichten

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Die neue Landtagsvizepräsidentin gehört zur Kategorie Aufsteigerin mit Feigenblatt-Funktion: Sabine Kurtz soll als Frau in der Union demonstrieren, wie überflüssig Quoten sind. Ihr Verhältnis zur homophoben "Demo für alle" wirft Fragen auf.

Das Eis wird ganz schön dünn. Mit der "Demo für alle" habe sie überhaupt nichts zu tun, sagt Sabine Kurtz dieser Tage im<link https: www.swp.de suedwesten landespolitik interview-mit-sabine-kurtz-25435962.html external-link-new-window> Interview mit der "Südwestpresse". Und sie berichtet dort, der Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand habe ihr vorgeworfen, sich "an eine Ärztin mit irgendwelchen Behandlungsmethoden für Homosexuelle zu halten". Sie kenne aber weder diese Ärztin noch deren Methoden: "Warum soll ich mich dann distanzieren?"

Gründe gäbe es genügend. Denn der Unfug, den "diese Ärztin" namens Christl Vonholdt verzapft, ist derart haarsträubend, dass Kurtz nicht vergessen haben kann, wie sich ihre Wege mindestens einmal gekreuzt haben. Vonholdt, die Homosexualität für eine heilbare Krankheit hält, sollte im Winter 2014 zusammen mit Kurtz auf einem Podium über die neuen grün-roten Bildungspläne diskutieren. Nach einem wochenlangen Tauziehen ist die Veranstaltung abgesagt worden. Allerdings nicht, weil sich die CDU-Abgeordnete Sabine Kurtz, in ihrer Fraktion Sprecherin für frühkindliche Bildung, nicht mit Vondholdt abgeben wollte. Die 56-jährige Mutter von drei Kindern erklärte damals <link https: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.sexuelle-akzeptanz-im-bildungsplan-debatte-ueber-homosexualitaet-spitzt-sich-zu-page1.57c6f42d-74c5-46f5-8b3d-68a55234ecc0.html external-link-new-window>gegenüber der "Stuttgarter Zeitung", dass sie generell auch mit Personen diskutiere, die nicht ihrer Meinung seien. Und dass die Veranstaltung nur abgesagt worden sei, weil die Organisatoren angesichts Hunderter Anmeldungen "räumlich und logistisch überfordert" gewesen seien.

Doch Vonholdt ist nicht nur eine Person mit kontroversen Meinungen, sondern ein besonderes Kaliber. Nach "langjährigen, intensiven Forschungen" sei sie zu der Erkenntnis gelangt, dass "homosexuelle Empfindungen der Versuch sind, chronische Bindungsverletzungen aus der Kindheit auszugleichen". Die 63-Jährige, die in früheren Jahren als Fachfrau für Lebenspartnerschaften von der Union im Bund oder in Hessen angehört wurde, sieht durch die Akzeptanz von Vielfalt die "Zukunft der nächsten Generation" in Gefahr. Sie wolle "Jugendliche ermutigen, ihr heterosexuelles Potential, das ja in ihrem Körper angelegt ist, zu entwickeln und zu einer reifen Ehefähigkeit zu kommen." Ein weiterer Ratschlag der Kinderärztin: Betroffene sollen "sich möglichen emotionalen Problemen in ihrem Leben stellen und sich dazu kompetente Hilfe suchen".

Kurtz distanziert sich – ein bisschen

Vor diesem Hintergrund unterbreitete Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand der angehenden Landtagsvizepräsidentin vor ihrer Wahl eine schlichte Frage: "Können Sie sich heute klar und unmissverständlich von Auffassungen distanzieren, die Homosexualität als psychische Störung betrachten?" Sie distanzierte sich, nach einigem Hin und Her. Und mit dem Zusatz "zumindest keine psychische".

Nach der Papierform ist die studierte Politologin, die ein Volontariat bei einer PR-Agentur absolviert hat, wie geschaffen für die Rolle der Alibi-Frau in der männerdominierten CDU-Welt. Vor drei Jahrzehnten wurde sie als CDU-Beraterin im Landtag tätig und wechselte 2002 unter Ministerpräsident Erwin Teufel als Referentin ins Staatsministerium. 2005 bewarb sie sich um die Landtagskandidatur im Wahlkreis Leonberg-Herrenberg-Weil, angesichts ihrer, wie sie selber sagte, "hervorragenden Voraussetzungen in einem traditionell schwarzen Wahlkreis". Tatsächlich gewann sie 2006 das Direktmandat mit 42 Prozent der Stimmen, es folgten beachtliche 39 Prozent 2011 und der Absturz auf 27,5 fünf Jahre später.

Von einer "doppelten Zäsur" in ihrem politischen Leben berichtet einer, der sie seit Jahrzehnten aus dem Wahlkreis kennt, weil sie sich zwei Mal Chancen auf ein Ministeramt ausgerechnet habe. Bei einem Fraktionsfest noch vor dem Machtwechsel bekannte sie sogar gegenüber JournalistInnen, gern mehr Verantwortung zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu übernehmen.

Die allerdings entwickelten sich in eine spezielle Richtung. Im Oktober 2012 wird Kurtz mit fast 90 Prozent zur Landesvorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU (EAK) gewählt. Der hält nachweislich nichts davon, sich von der "Demo für alle" abzugrenzen. Ganz im Gegenteil traten dort immer wieder EAK-Mitglieder als Redner auf. Und die Vorsitzende Kurtz versuchte höchstpersönlich, die <link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial bunt-3196.html external-link-new-window>Aktion für Vielfalt am Gebäude Württembergischen Staatstheater im Oktober 2015 samt dem angebrachten Banner in die Nähe der Illegalität zu rücken.

Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Furor

"Bis heute verfolgt der EAK das Ziel", schreibt Kurtz auf der Homepage des Arbeitskreises, "protestantisches Denken und protestantische Überzeugungen in die Unionsparteien einzubringen und evangelische Christen zum politischen Engagement zu ermutigen." Es sei "besonders wichtig, Menschen zu gewinnen, die in Kirche und Politik zu Hause sind". Persönlich legt sie ein Bekenntnis in der sogenannten "Abgeordnetenbibel" ab, in der zahlreiche LandespolitikerInnen Einblick in ihr religiöse Haltung geben. Kurtz tut das mit Hilfe des Beispiels vom barmherzigen Samariter und betont als Kern der christlichen Botschaft Nächstenliebe und Barmherzigkeit: "Wenn wir unseren christlichen Glauben ernst nehmen, dürfen wir die nicht nur in Sonntagsreden bemühen, sondern wir müssen sie auch in die Tat umsetzen."

Neben Nächstenliebe und Barmherzigkeit stachen in parlamentarischen Praxis auch andere Eigenschaften hervor. Etwa wenn sie am Rednerpult der Furor packt, dann kennt sie – mäßig im Ton, hart in der Sache – weder Maß noch Ziel. Nach einem Treffen Winfried Kretschmanns mit VertreterInnen des Netzwerks LSBTTIQ noch zu grün-roten Zeiten unterstellte sie, dass es nicht darum gehe, Kindern bei der Selbstfindung zu helfen oder jungen Menschen das Leben zu erleichtern. "Es geht um eine grundsätzliche Neubewertung von Sexualität und menschlichem Zusammenlebens", meinte Kurtz erkannt zu haben, "und es geht um eine Werteverschiebung". Dass die Geschäftsstelle mit Landesmitteln gefördert wird, ist aus ihrer Sicht "ein Wahlgeschenk von Grünen und SPD an die LSBTTIQ-Gemeinschaft auf Kosten der Steuerzahler".

Haltlose Behauptungen gehören zu ihren Stilmitteln. Gern verpackt sie ihre Geisteshaltung auch in Zitate von dritter Seite, etwa in einer Landtagsdebatte im Sommer 2015, als es um die von CDU und FDP kritisierte Abschaffung von Biologie als eigenständigem Fach ging. Kurtz rief die "WirtschaftsWoche" als Kronzeugin auf. Die Autoren "nehmen an, dass Gender-Ideologen am Werk sind", sagt die Rednerin und zitiert: "Die Gendertheorie vom sozial konstruierten Geschlecht passt hinten und vorne nicht zu den Erkenntnissen der Biologie." Ergo, lautet der Kurtzschluss, schaffe Grün-Rot das Fach ab. Im Herbst 2015 organisierte Kurtz <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik loesch-unter-feuer-3283.html internal-link-new-window>ein Treffen von CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf mit Hedwig von Beverfoerde, Mitbegründerin "Demo für alle", samt der Vereinbarung, künftig – nach dem erhofften Wahlsieg von 2016 – regelmäßig zusammenzukommen. Bekanntlich wurde daraus nichts.

Sieh an: Zwei Ämter sind mehr Arbeit als eins

Nachdem es mit den Ministerposten nicht klappen wollte, hat es Kurtz als Landtagsvizepräsidentin nun doch noch in ein Amt mit viel Einfluss und Möglichkeiten geschafft. Das Pensum des Vorgängers Winfried Klenk (CDU) zugrunde gelegt, würde sie pro Jahr zwei oder drei Dutzend Schulen besuchen, eine jeweils anschließende Diskussion über (bildungs-)politische Fragen inklusive. Von all den anderen Terminen im übervollen Kalender ganz zu schweigen.

Noch so ein Punkt, an dem ein eher taktisches Verhältnis zur Wahrheit zu Tage tritt. Kurtz möchte als Dauer-Kritikerin von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) gerne weiterhin Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zur Zulagen-Affäre an der Ludwigsburger Hochschule für Verwaltung und Finanzen bleiben. Jedenfalls hat sie das intern gegenüber der FDP-Fraktion erklärt und in ihrer eigenen zu erkennen gegeben.

Nachdem die Union Kurtz fürs hohe Amt nominierte, erklärte ihr Vorgänger nicht nur freimütig, wie er sich für seine Nachfolgerin freue. Klenk betonte auch, Kurtz auf die viele Arbeit hingewiesen zu haben, die jetzt auf sie zukomme, weil es anders als in allen anderen Legislaturperioden nur einen Vizeposten gibt. Das muss Kurtz aber irgendwie überhört haben. Denn als am Rande der vergangenen Ausschusssitzung das Thema Doppelbelastung noch einmal aufgerufen wurde, erklärte sie, dass sei ihr "noch gar nicht richtig klar" gewesen. Sie werde sich nun Gedanken darüber machen. Nicht nur die Grünen wünschen ihr gutes Gelingen.


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