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Geheimdienste im Fokus

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Geheimdienste auf der Heilbronner Theresienwiese: Der NSU-Ausschuss im Landtag will versuchen, die Frage um deren Anwesenheit am 25. April 2007 noch vor dem Jahreswechsel zu klären. Durch "beschleunigende Maßnahmen".

Pressekonferenzen sind für gewöhnlich keine Diskussionsveranstaltungen. Kürzlich, nach der stundenlangen Sitzung des zweiten Ausschusses seiner Art im Landtag, kam es doch zu einem Wortgefecht. Rainer Nübel, der im ersten Ausschuss als Sachverständiger geladen war, wollte vom Vorsitzenden Wolfgang Drexler wissen, warum keine härtere Gangart eingeschlagen wird in Sachen Agenten am Heilbronner Tatort. Der Journalist, der die ganze Geschichte mit einer Veröffentlichung im Magazin "Stern" vor fünf Jahren ins Rollen gebracht hatte, wirft den Namen des ehemaligen Mitglieds der islamistischen "Sauerland-Gruppe" Attila Selek ein.

Nübel begründet dies in seinem Brief damit, dass er Selek schon im September 2015 ins Spiel gebracht habe: Der könne näheren Aufschluss über das Geschehen auf der Theresienwiese geben. Im Frühjahr 2010 habe der "Sauerland"-Terrorist Attila Selek in einer Sitzungspause des OLG-Prozesses in Düsseldorf seinem damaligen Anwalt gegenüber unter anderem erklärt, schreibt Nübel, "eine Waffe des Typs Tokarev sei beim Polizistenmord in Heilbronn verwendet worden". Zuvor habe er in der Sitzung auf eine Frage des Vorsitzenden Richters dargelegt, dass er im Terrorcamp in Waziristan unter anderem an einer Tokarev ausgebildet worden sei. Gegenüber seinem Anwalt habe Selek auch erklärt, dass es im Zusammenhang mit den Ereignissen in Heilbronn einen Waffendeal gegeben habe. Für Nübel steht fest, dass der Ausschuss Selek längstens als Zeuge hätte benennen und laden können, oder wenigstens hilfsweise seinen damaligen Anwalt.

Keine Beweise, reichlich Widersprüche

Immerhin sind, anders als vor allem der Obmann der CDU im Ausschuss, Arnulf von Eyb, gebetsmühlenhaft wiederholt, die Akten zu diesem Thema weiterhin nicht geschlossen. Beweise für eine Verstrickung der Dienste, sagt der Grüne Jürgen Filius, seien bisher zwar nicht gefunden worden, Widersprüche und Lücken gebe es "aber genug". Am 2. Dezember wird der Ausschuss erneut Zeugen hören, abermals hinter verschlossenen Türen, weil "wir bisher keine Möglichkeit sehen", sagt Drexler, "anders vorzugehen".

So bleibt (bisher) die Aussage des früheren Anführers der "Sauerland-Gruppe" unwidersprochen stehen, sein in den Abhörprotokollen vom Tattag dokumentierter Satz "Dann muss ich beide erschießen. Beide Bullen" sei nicht auf Michèle Kiesewetter und ihren schwer verletzten Kollegen gemünzt gewesen.

Er – laut Abhörprotokoll damals auf dem Weg von Ulm nach Bad Waldsee – habe aus dem Radio vom Polizistenmord erfahren und sich an einen anderen Fall erinnert. "Seltsam" nennt Drexler das und zuckt mit den Schultern. Da gebe es aber ebenfalls "keinerlei Handhabe", einen anderen Ablauf zu beweisen. Intern wird das weitere Vorgehen debattiert.

Anfang Dezember findet ein Informationsaustausch mit den hessischen, den Thüringer und den Berliner Abgeordnetenkollegen statt. In Wiesbaden wird aktuell über die Aussage eines Profilers im Ausschuss zu Wochenbeginn diskutiert, dessen – schlussendlich der Wahrheit ziemlich nahe kommende – Fallanalyse mehrere Jahre vor dem Auffliegen des NSU von den Behörden zweimal verworfen worden war.

In Erfurt haben sich die Abgeordneten gerade selber einen Eindruck von der Heilbronner Soko Parkplatz verschafft. Der Bundestagsausschuss hat sich den Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse im Januar 2001 auf den Lebensmittelladen einer iranischen Familie vorgenommen. Auch dafür sollen allein Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verantwortlich sein, eine Version, die Beate Zschäpe stützt. Die mit der Untersuchung beauftragen Parlamentarier in Berlin beschleichen allerdings – wieder einmal – Zweifel: Ein V-Mann, der in der rechtsextremen Szene der Stadt unterwegs war, ähnelt einem Phantombild des Bombenlegers.

Die Schlagzahl muss erhöht werden

Den Stuttgarter Ausschussmitgliedern – die Vertreter der AfD erscheinen selten oder gar nicht – ist schon nach den ersten Wochen des zweiten Anlaufs klar, dass die Schlagzahl erhöht werden muss. Sieben Komplexe mit umfangreichen Unterpunkten hat Drexler ihnen zur Beratung des Zeitplans bis 2018 vorgelegt.

Sie behandeln das Thema NSU-Kontakte nach Baden-Württemberg, darunter Kontakte aus der Zeit vor oder während des Untertauchens, insbesondere die sogenannten "Spätzles", die privaten Kontakte von Beate Zschäpe nach Baden-Württemberg und "die Urlaubsbekanntschaft des Trios in Oberstenfeld", die Rockerszene, abermals der Ku Klux Klan oder die Bedeutung der Musikgruppen, etwa "Blood and Honour als zentrales Musik- und Skinheadnetzwerk mit deutschland- und europaweiter streng hierarchischer Organisationsstruktur mit Nachfolgeorganisationen und Combat 18".

In Bälde könnte zudem ein Vor-Ort-Termin stattfinden. Der Ausschuss will prüfen, wie sich die Situation in der Stuttgarter Nordbahnhofstraße und am Rosenstein darstellt. "Es geht vor allem um mögliche weitere Anschlagsziele in Stuttgart, Esslingen und anderen Orten in Baden-Württemberg", schreibt Drexler, und um einen "auf einem NSU-Plan markierten Punkt am Rosensteinpark" in Stuttgart.

 

Info:

Weitere Termine: 2. Dezember 2016; fortgesetzt wird die Arbeit in den öffentlichen Ausschusssitzungen in der zweiten Januar-Hälfte 2017.


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4 Kommentare verfügbar

  • Barolo
    am 24.11.2016
    Antworten
    Sehr verehrte Frau Rath, ich schätze Ihre Kommentare ungemein.
    Sie sprechen von bemühen aber ich sprach bewusst von mit echtem Biss engagieren.
    Ein Beispiel welches Sie zitieren ist das mit Binningers Aussage wg fehlenden Täterspuren an allen (sic) Tatorten.
    Warum stellt kein einziger Journalist…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 13 Stunden
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