Lange konnten Kritiker nur vermuten, welchen Deal die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Erwin Teufel im Schienennahverkehr mit der Deutschen Bahn ausgehandelt hat. Denn der im Juli 2003 geschlossene "große Verkehrsvertrag", der Konditionen und Bezahlung für einen Großteil des Regionalzugverkehrs durch DB Regio im Land regelt, gilt bis heute als Staatsgeheimnis. Auf eine parlamentarische Anfrage, mit der die oppositionellen Grünen wenige Tage nach Vertragsunterzeichnung dessen "wesentliche Inhalte" erfahren wollten, verschwieg der damalige Verkehrsstaatssekretär Stefan Mappus gerade die für eine schwäbische Hausfrau wichtigste Information, nämlich, was das Ganze das Land letzten Endes kosten werde. Ohne Ausschreibung hatte das Land die anfangs jährlich 49 Millionen Zugkilometer an die Bahn vergeben, zudem darf DB Regio den Nahverkehr über die außergewöhnlich lange Laufzeit von 13 Jahren betreiben. Mit der Auskunft, dass die Bahn zu Vertragsbeginn 7,89 Euro pro Zugkilometer erhalte und dieser Zuschuss jährlich entsprechend der vom Bund überwiesenen Regionalisierungsmittel um 1,5 Prozent steige, verriet Mappus damals nur die halbe Wahrheit.
Erst in der vergangenen Woche wurde durch SWR-Recherchen der volle Wortlaut des 21 Seiten starken Vertragswerks – <link file:10422 _blank>hier als PDF-Download (6 MB) – bekannt. Und der hat es in sich. Der damalige CDU-Verkehrsminister Ulrich Müller und sein Staatssekretär Mappus sichern der Bahn unter Paragraf 8 "Zuschussanpassung" eine bis dato völlig unübliche Einnahmequelle im länderfinanzierten Regionalzugverkehr zu: Seit Januar 2007 darf DB Regio auch steigende Trassen-, Stations- und Energiepreise dem Land zusätzlich in Rechnung stellen – alles Kostenposten, die üblicherweise durch die jährlich erhöhten Regionalisierungsmittel aufgefangen werden. Mit dieser Art der Doppeldynamisierung, kurz Dody, hat Baden-Württemberg ein Alleinstellungsmerkmal inne: In keinem anderen Bundesland enthalten Verkehrsverträge mit Eisenbahnunternehmen derartige Klauseln. Einen Einfluss auf die Höhe der Infrastrukturpreise hat das Land dabei nicht. Festgelegt werden sie von Konzernschwestern der DB Regio. So hatte DB Station & Service die Stationspreise Anfang 2005 deutlich vor allem bei Nahverkehrshalten erhöht. Im Dezember 2006 schlug DB Netz bei den Trassenpreisen um bis zu neun Prozent auf.
Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) ermittelte schon 2012 in einer Vergleichsstudie aktuell rund 140 Millionen Euro, die Baden-Württemberg gegenüber dem Freistaat Bayern im Schienennahverkehr mehr an die Bahn bezahlt. Der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb kritisierte schon damals, dass das Land für alle Risiken, sprich Kostensteigerungen im Regionalzugverkehr, einstehen müsse, während DB Regio alle Chancen, etwa steigende Fahrgeldeinnahmen durch mehr Zugreisende, abschlagsfrei verbuchen könne. Nach Bekanntwerden der Ausgestaltung des großen Verkehrsvertrags rechnete der VCD in der vergangenen Woche erneut nach. Demnach stiegen die die Zugkilometerpreise im Zeitraum von 2002 bis heute in Baden-Württemberg um 40 Prozent, während sie in Bayern sogar leicht fielen. Bis zum Laufzeitende des großen Verkehrsvertrags Ende September 2016 errechnete der VCD einen Zuschuss-Mehraufwand von rund einer Milliarde Euro, den Baden-Württemberg im Vergleich zum Freistaat an DB Regio bezahlen muss.
Eine Summe, deren Größenordnung vom Stuttgarter Verkehrsministerium bestätigt wird. Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2011 kann DB Regio das Land aber nicht mehr so melken, wie es der Verkehrsvertrag aus schwarz-gelben Regierungszeiten zugesteht. Nach Prüfung der Vertragsdetails berief Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die fünfköpfige Schlichtungskommission ein, die laut Verkehrsvertrag bei Streitigkeiten einvernehmlich Lösungen finden soll. Dies gelang offenbar nicht. 2012 kürzte das Land daraufhin die Zuschusszahlungen erstmals. Bis Ende vergangenen Jahres hielt es insgesamt bereits 70 Millionen Euro zurück. Bis zum Auslaufen des Verkehrsvertrags im Jahr 2016 sollen sich die Zuschusskürzungen an DB Regio auf 141,6 Millionen Euro summieren.
Land ist für juristischen Streit mit der Bahn gewappnet
Die DB-Konzerntochter unternahm bislang nichts, die ihr zustehenden Millionen juristisch einzutreiben. Auf Kontext-Anfrage verwies das Unternehmen auf das derzeit laufende Schlichtungsverfahren. "Die Deutsche Bahn bedauert das Vorgehen des Landes", so ein Sprecher. Man werde zunächst abwarten, zu welchem Ergebnis der Vorsitzende der Schlichtungskommission kommt. Sollte sich die Rechtsauffassung der Bahn letztlich durchsetzen, wäre dies wegen dann anfallender Verzugszinsen mit einem Millionenschaden zulasten des Landes verbunden. "Das hätte vermieden werden können, wenn die Zahlungen schlicht 'unter Vorbehalt' geleistet worden wären", sagte der Bahnsprecher. Das Verkehrsministerium hat sich nach Kontext-Informationen dagegen bereits auf eine juristische Auseinandersetzung eingestellt. Vergangene Woche informierte Minister Hermann im Kabinett mündlich über den Stand der Dinge. Für eine ausführliche schriftliche Kabinettsvorlage, die folgen soll, erarbeitet derzeit noch Finanzminister Nils Schmid (SPD) eine Stellungnahme.
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Friedrich Schuster
am 09.07.2014