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Wieder Personalabbau im Stuttgarter Pressehaus

Die Möhringer Gaukler

Wieder Personalabbau im Stuttgarter Pressehaus: Die Möhringer Gaukler
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Zuckerbrot auf dem Sonnendeck, Peitsche im Maschinenraum und ein Götze namens Klick. Der Koalabär ist so willkommen wie Gökay Akbulut im VfB-Zug. Das Stuttgarter Pressehaus ist außer Rand und Band – mit neuem Führungskreis.

"Liebe alle". Mit dieser Anrede beginnt die Chefredaktion ihr Schreiben an das lohnabhängige Personal, das weiß: Jetzt ist Vorsicht geboten. Für alle, die nicht dabei sein konnten bei der jüngsten Verkündung oder noch einmal nachschauen wollten, sei eine Übersicht über den "neuen Führungskreis" beigefügt, lässt das Spitzenquartett wissen. Nun gelte es, das Organigramm mit neuem Leben zu füllen und "neue Workflows" zu definieren. "Bei Fragen: Gerne fragen". Die Mail der Camoufleure herrschender Verhältnisse bei "Stuttgarter Zeitung"/"Stuttgarter Nachrichten" (StZN) endet mit "Herzlich – Christoph, Holger, Joachim & Johanna". Im bürgerlichen Klartext: die vier Mitglieder der Chefredaktion Reisinger, Gayer, Dorfs, Bruckner.

Wer dabei sein konnte bei der Morgenkonferenz am 12. Februar, hatte keine Fragen mehr. Keine Herzchen, kein Beifall, stattdessen Schweigen. Die Belegschaft sitzt im "Open House", im Möhringer Pressehaus, wenige drinnen am Tisch, viele zu Hause am Computer. Der Name des Vortragenden tut nichts zur Sache, weil in der Chefredaktion alle dasselbe erzählen. Der Grauhaarige sagt, er sei stolz, ein Team von solcher Kompetenz präsentieren zu können. Es hat Zeiten gegeben, da wären ihm ein paar digitale Herzchen zugeflogen. An jenem Mittwoch ist Schluss damit.

Die Oberchefs sind überfordert

Im Pressehaus wird mal wieder umstrukturiert: Es gibt eine neue Hierarchie. Wie heute üblich, wird die sprachlich aufgerüstet. Die neue Zwischenebene unterhalb der Spitzenkräfte besteht aus sechs "Managing Editors", die für Stuttgart und die Region, für Distribution und "Change & Audience Growth" zuständig und mit dem Talent ausgestattet sind, "multimediale Erlebniswelten" um "Top Audiences" aufzubauen. Man denkt dabei insbesondere an Beschäftigte bei Bosch, Daimler und Porsche. Dem Ganzen liegt laut Chefredaktion die Analyse zugrunde, dass das journalistische Personal "Gewohntes in immer kürzeren Zyklen infrage stellen" und "smarte Lösungen" finden muss. Dafür sind nun hauseigene Kräfte aufgerückt.

Das mag für beide Seiten nicht immer angenehm sein, ist aber aus der Not geboren, in die sich die Oberchefs selbst gebracht haben. Vor drei Jahren haben sie die Ressorts und deren Leiter:innen abgeschafft, um nach kurzer Zeit zu bemerken, dass sie heillos überfordert waren. Zum einen durch die gedankliche Ausgestaltung der neu erfundenen Themenfelder ("Liebe und Partnerschaft"), zum anderen durch ihr Personal, das nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand und daraus gewisse Freiheiten ableitete. Man könnte auch sagen: Das Chaos erzeugte neue Spielräume bei der Heimarbeit. Dies alles zu kontrollieren erschien den Vorgesetzten als Ding der Unmöglichkeit, worauf sie beschlossen, die Leitungsposten wieder einzuführen. Nur unter einem anderen Namen.

Diesmal sollen 45 Stellen wegfallen

Es war der nächste Schlag in schwieriger Zeit. Zuckerbrot für das Sonnendeck, Peitsche für den Maschinenraum. Kurz zuvor hatte die Medienholding Süd (StZN, "Böblinger Bote", "Eßlinger Zeitung" und "Cannstatter Zeitung"/"Untertürkheimer Zeitung") verkündet, 45 von rund 300 Stellen bis 2027 streichen zu wollen – "wenn möglich ohne betriebsbedingte Kündigungen". Damit müssten gestiegene Kosten (Mindestlohn, Energie, Papier) sowie dramatische Einbrüche bei den Printumsätzen kompensiert werden, teilten die Geschäftsführer Herbert Dachs und Carsten Groß mit.

Ob die Zahlen den Einschnitt hergeben, weiß der Betriebsrat nicht, der Tendenzschutz verwehrt ihm den Blick in die Bilanz. Von den Forderungen der Eigentümer – den Verlegern württembergischer Zeitungen –, endlich wieder ordentliche Renditen zu erwirtschaften, ist nicht die Rede. Der Deutsche Journalistenverband spricht von einer "schockierenden Neujahrsbotschaft" und der Betriebsrat sagt, dass jene, die jetzt wieder Verzicht predigen, sorglos in ihren Sesseln sitzen, unwillig, auch nur einen Cent von ihren sechsstelligen Jahresgehältern abzugeben.

Es war eben wieder einmal so weit. Wieder sollen erfahrene Kolleginnen und Kollegen raus, wieder sollen die Verbleibenden zusehen, wie sie die Arbeit irgendwie schultern, wieder wird erzählt, die Qualität werde darunter nicht leiden. "Unsere DNA ist Journalismus", lautet das Credo in den Eigenanzeigen, die den Raum unter den Todesnachrichten füllen. "Wie soll das gehen?", fragt sich der Betriebsratsvorsitzende Michael Trauthig. Der promovierte Historiker kennt die Antwort längst: Es geht nicht.

Vier Sparrunden in zehn Jahren

In seinen zehn Jahren an der Spitze des Gremiums hat er vier Sparrunden erlebt, jedes Mal mit der Begründung unterlegt, das sei notwendig, um das Unternehmen "zukunftssicher" aufzustellen. 2015 war es die Fusion von StZ und StN (genannt der "Neue Stuttgarter Weg"), später der "Quantensprung" mit dem "Medienhaus 1.0", das die Layouts der einzelnen Gazetten vereinheitlicht und Außenstandorte geschlossen hat, danach das "Medienhaus 2.0", das die Ressorts abgeschafft hat. Aber die Zukunft wurde nicht besser. Im Gegenteil.

Und wieder treten die Gewerkschaften auf den Plan. Martin Gross, der baden-württembergische Verdi-Chef, sagt, im Zuge einer "postfaktischen Demokratie" sei guter Journalismus wichtiger denn je, aber nicht mehr zu leisten, wenn die Redaktionen in den vergangenen zehn Jahren ein Drittel ihres Personals verloren hätten. Wer will ihm da widersprechen, außer den Spitzenkräften im Pressehaus, die ihr mantramäßig vorgetragenes Qualitätsversprechen offenbar an den Oechslegraden ihres Weinshops messen?

Uwe Kreft, der zuständige Verdi-Sekretär, sagt, inzwischen seien die Redaktionen derart ausgedünnt, dass ein sozialverträglicher Abbau kaum mehr möglich sei, die Arbeitsbedingungen "immer unsozialer" würden, der Druck, die Klickzahlen zu steigern, immer höher, die Zukunft immer düsterer. Sein Fazit: Die Stimmung ist an einem "neuen Tiefpunkt" angekommen.

Und jetzt sollen es die "Managing Editors" richten, die zu höheren Bezügen darüber nachdenken sollen, wie sie ihren "Workflow" definieren können, um den "Traffic" auf den Online-Seiten zu erhöhen. (Über die gedruckte Zeitung, die noch Geld bringt, wird schon lange nicht mehr gesprochen. Entsprechend sieht sie aus.)

Gökay Akbulut ist super gelaufen

So könnte es gehen: Neben der intensivierten Koalabär-Berichterstattung wird der Fokus verschärft auf menschliche Schicksale gerichtet. Gefühlvoll erzählt, zum Mitempfinden nah, das ist der Stoff, den sich die Chefredaktion als "Lebensbegleitung" ihrer Kundschaft wünscht. Nicht nur bei den StZN im Übrigen. Super gelaufen sei zum Beispiel Gökay Akbulut, heißt es im Pressehaus. Die Linken-Politikerin war im Zug in eine Ansammlung von VfB-Fans geraten, sah sich sexuell belästigt, rassistisch beleidigt und körperlich bedroht, bis die Rechercheabteilung des StZN-Sports bei ihrer Klientel Zeugen fand, die in Akbulut die Täterin entdeckten.

Sie habe Fans als "Drecksnazis" und "Faschos" beschimpft und eine kleine Rotweinflasche geworfen, wurde berichtet, erst dann sei ein Gegenstand, "womöglich eine Bierdose", zurückgeflogen, woraus für die Zeitung "große Zweifel" an der Darstellung Akbuluts entstanden. Und das alles Ende Januar, mitten in der aufgeheizten Migrationsdebatte vor der Wahl, in der Mann sich hätte fragen können, ob er die Zivilcourage von Gökay Akbulut hätte?

"Liebe alle", wie wär's denn, mit so einer Frage in die Morgenkonferenz einzusteigen, anstatt der öden Zahlenhuberei zu huldigen?

Noch ein Vorschlag: Was spräche gegen einen richtigen Text, der dem Publikum erläutert, warum die Belegschaft immer wieder streikt? Eine Zehnzeilenmeldung, in der die Leserinnen und Leser um Entschuldigung für die "Unannehmlichkeiten" gebeten werden, klärt nichts auf, verstärkt eher den Eindruck, dass hier etwas verborgen bleiben soll. Die Kolleginnen und Kollegen kämpfen unter anderem gegen die Tarifflucht des Konzerns, der eine Zweiklassengesellschaft eingerichtet hat, mit Gehaltseinbußen von bis zu 10.000 Euro im Jahr für diejenigen, die so frei sind, frei verhandeln zu müssen.

"Bin ich Jesus?", fragt Holger, der Chef

Nun ist es nicht so, dass sich darüber eine öffentliche Empörung entwickeln würde, die den Betonklotz an der Plieninger Straße durchdringen könnte. Es sind einzelne wie der Journalist Hans-Dieter Schuh, der viele Jahre bei der Kreiszeitung "Böblinger Bote" gearbeitet hat – bis zur Übernahme durch die Medienholding Süd in relativer Zufriedenheit. Er wirbt in seinem Bekanntenkreis unter den wenigen, die noch ein Papierabo haben, wie er schreibt, für eine Kündigung ihrer StZN und untermauert sein Anliegen mit einem Bericht im Deutschlandfunk über den Stellenabbau und die neue Führung. Vor allem die zwei Klassen sind ihm ein Dorn im Auge.

Immerhin, Schuh hat eine Antwort erhalten. Sie seien im Gespräch mit dem Betriebsrat, teilt ein Sprecher der Geschäftsführung mit, um "kontinuierlich Verbesserungen" für die Mitarbeitenden umzusetzen, und sie würden sich freuen, wenn er die Kündigung "noch einmal überdenken" würde.

Zuletzt wollte eine Mediengestalterin von der Chefredaktion wissen, wie ihre Zukunft aussieht, auch vor dem Hintergrund, dass die eingekaufte Künstliche Intelligenz "Sophi" bald ihren Job übernehmen könnte? "Bin ich Jesus?", fragte Holger, der sonst Wasser in Wein verwandelt, zurück.


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3 Kommentare verfügbar

  • BadenMailer
    am 26.02.2025
    Antworten
    Was für bizarre Gegensätze - einerseits einen weiteren, mutmaßlich erforderlichen und "notwendigen" Arbeitsplatzabbau. Auf der anderen Seite die verbale Aufrüstung mit "Managing Editors", "Change & Audience Growth", "Top Audiences", "Workflow", "Traffic", "Top Audiences". Gibt es auch ein Angebot…
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