
Autor Gert Ueding (Mitte) auf der "Museums"-Bühne. Hans Mayer (Staffelei) schaut zu. Foto: Kontext
Es ist angerichtet. Ernst Blochs Lieblingslied "Seeräuber Jenny" ertönt aus dem Akkordeon, Hans Mayer steht in Öl auf einer Staffelei, ein Herr von Hans Küngs Stiftung Weltethos sitzt am Tisch. Neben ihm Gert Ueding, 81, der sein neues Buch vorstellt, das alles umfasst, was in Tübingen wichtig war und folgerichtig den Titel trägt: "Bloch, Jens und Mayer". Für seinen Verleger Hubert Klöpfer ist es ein "Prachtskind".
Oberbürgermeister Boris Palmer ist auch da. Er ist in den Uhlandsaal des "Museums" geeilt, einem in die Jahre gekommenen Kulturtempel der Stadt, um seiner Freude Ausdruck zu verleihen, dass die guten alten Zeiten, angesichts der versammelten "Intelligenzia", noch nicht völlig vorbei sind. Die Deutungshoheit Einzelner gebe es allerdings nicht mehr, schränkt er ein, das könne man bedauern. Er für seinen Teil tut es bestimmt. Und dann sagt er, das Tübingen von heute könne auch glänzen, wobei er insbesondere an die Exzellenz seiner Uni, das Cyber Valley in Waldhäuser-Ost und an die Firma Curevac denke. "Wir haben die Scheu abgelegt", sagt er, "auch Geld zu verdienen" (was dem Impfhersteller zuletzt schwergefallen ist, weshalb er gerade 150 Stellen streicht). Palmer, 51, ist das Prinzip Gegenwart.
Die "Intelligenzia" auf der Insel der Glückseligen
Die "Intelligenzia" möchte an diesem Abend lieber in der Vergangenheit schwelgen. Es sind Professoren der Politik, der Kulturwissenschaft, der Medizin, die meisten emeritiert, aber rüstig und guter Dinge, ein Bundestagsabgeordneter der FDP. Auswärtige, die noch keine Jahrzehnte in der Stadt von Hegel und Hölderlin leben, stellen bisweilen fest, dass sich diese Ur-Tübinger auf einer Insel der Glückseligen wähnten, immer noch umsonnt von der Gedankenwelt der Großen Drei. Heimlich imponiert ihnen aber auch Palmer als TV-Talk-Dauergast.
Sie alle wissen, dass Walter Jens selbst den Fußball noch adeln konnte. Man musste ihn nur sehen, als Torwart in seiner eleganten Trainingshose und den sauber geputzten Adidas-Kickschuhen. Oder ihn zu Hause in der Sonnenstraße erleben, wie er sprach: "Und wenn ich den letzten Vers von Goethe längst vergessen habe, werde ich die Stürmerreihe des Eimsbütteler TV aus den 40er-Jahren noch auswendig aufsagen können." Das konnte er übrigens mit derselben Geste, wie er Fontane rezitierte. Den Blick himmelwärts gerichtet, die Haare nach hinten streichend.
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