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Zum Tod von Kontext-Autor Willi Germund

Willi kam nur bis Riga

Zum Tod von Kontext-Autor Willi Germund: Willi kam nur bis Riga
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Willi Germund, Kontext-Autor von Anfang an, war ein Dino unter den Krisenreportern. Unbestechlich, präzise, sperrig. Für Kontext hat er geschrieben, weil ihm die Freiheit der Gedanken gefiel. Der Freund ist mit 68 in Riga gestorben.

Wieso Riga? Wieso stirbt Willi in Lettland? Das war nicht sein Berichtsgebiet. Managua, Johannesburg, Kabul, Islamabad, Bangkok wären erwartbar gewesen. Aber Riga? Des Rätsels Lösung: Der Kriegs- und Krisenreporter Germund, 68, wohnhaft in Thailand, war auf Urlaubsreise. Corona war überstanden, Herzklappe neu, Bypässe und Stents funktionierten.  

Er wollte mit seiner Frau Kanya durch Europa touren. Zuerst 50 Jahre Abi feiern in seiner Heimatstadt Bergheim, mit Schüler:innen seines Gymnasiums über seine Arbeit diskutieren, danach das Polarlicht in Lappland bewundern, runter an die ligurische Küste und am Schluss Freunde in Rottweil besuchen. Die Rückkehr war für Anfang November geplant, in Singapur erwartete ihn sein Doktor zum Nierencheck. In der taz stand zu lesen, manche hätten ihn als "skurrilen Weltenbummler" betrachtet, was eine ziemliche Fehleinschätzung ist, weil Willi weder skurril noch ein Bummler war. Sperrig war er, ja, das Geschmeidige nicht sein Ding.  

Wir erinnern uns an das gekaufte Organ, an sein Buch "Geld gegen Niere" und seinen Auftritt bei Markus Lanz, was ihm bundesdeutsche Aufmerksamkeit bescherte. Er hatte 30.000 Dollar für das Organ bezahlt und in Mexiko transplantieren lassen. Hinterher haben wir uns in Süddeutschland getroffen. "Verrate bloß keinen Ort und keine Zeit", mahnte er, "die Staatsanwaltschaft ist hinter mir her." In Deutschland steht Organhandel unter Strafe. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft. Seitdem sind acht Jahre vergangen, viel Zeit für eine verpflanzte Niere.

Willi kam nur bis Riga. Eine Woche kämpfte er im Krankenhaus gegen eine Infektion, die ein gesunder Mensch leicht überstanden hätte. Aber sein Immunsystem, seine körpereigenen Abwehrkräfte, soweit nach vielen Operationen noch vorhanden, bildeten kein Bollwerk mehr gegen die Sepsis. Als schwer Nierenkranker wusste er, dass er verloren hatte. Am 26. September hörte sein Herz auf zu schlagen.

Nach Nicaragua – mit der Transsibirischen Eisenbahn

Zu Ende gegangen ist damit auch ein Journalistenleben, das heute keine Chance auf Wiederholung hat. Als Jungspund ist er 1980 vom "Kölner Stadtanzeiger" weggegangen, in die Transsibirische Eisenbahn gestiegen, um den halben Globus gereist und tatsächlich in Nicaragua angekommen, wo die linken Sandinisten den Diktator Anastasio Somoza Debayle gestürzt und ein besseres Leben versprochen haben. Letzteres hat nicht geklappt, aber das war nicht seine, sondern Comandante José Daniel Ortegas Schuld, der ein neuer Diktator wurde. Willi hat das anfänglich Gute gesehen, mit Herzblut beschrieben, das Schlechte geahnt und nicht verschwiegen.

Das macht dann keine Freude mehr, da heißt es Abschied nehmen, 1990 weiterziehen nach Südafrika, wo Nelson Mandela aus dem Knast kam, das Ende der Apartheid und die Demokratie ausgerufen wurden. Die blutigen Kämpfe darum hat Willi nicht als Fern-Seher erlebt, so wenig wie den Völkermord in Ruanda, den Terror von Al-Kaida oder der Taliban, den er auf seinen nächsten Stationen in Delhi und Bangkok verfolgte. Er wollte immer so nah wie möglich sein, mit eigenen Augen sehen und eigenen Ohren hören, was ihm als Wirklichkeit angeboten wurde. Das hat man einst jungen Reporter:innen als notwendiges Handwerkszeug empfohlen, heute wird gesagt, das sei Old School, mit einem Unterton in der Stimme, die flüstert: kann weg.

Typisch seine Geschichte vom Barbier von Abbottabad, dem Ort, an dem sich Osama bin Laden versteckt hat. Bei seinen Reisen nach Pakistan ließ sich Willi dort rasieren, und er grinste, als ihm der Barbier erzählte, dass er jedem Reporter eine andere Story auftische, wie sie den Al-Kaida-Kopf getötet haben. Und Willi staunte, dass sein Stammfriseur auf x-Kanälen als exklusiver Augenzeuge auftrat. Aufgespürt von Kollegen, die er "Helikopter-Journalisten" nannte, bar jeder Landeskenntnisse, dafür mit Google Earth im Kopf, viel Bargeld in den Taschen und verbrannter Erde unter den Schuhen. In einem seiner medienkritischen Beiträge für Kontext wählte er die Überschrift: "Nach mir die Sintflut". Die Beiträge dieser Kollegen besäßen eine Duftnote, die heute als "Relotius-Aroma" gelabelt würden, schrieb Willi. Benannt nach dem "Spiegel"-Starreporter Claas Relotius, dessen Geschichten zu schön waren, um wahr zu sein. 

Verhökert im Penny-Markt der Publizistik

Darüber konnte sich Willi, zum scharfen Kritiker der eigenen Profession geworden, granatenmäßig aufregen. Es waren ihm Beispiele für den generellen Niedergang der Auslandsberichterstattung. Er und seine Kolleg:innen vor Ort beackerten das Feld über viele Jahre, meist freie Journalist:innen, bescheiden bezahlt, aber stets als Belege für die Weltläufigkeit deutscher Zeitungen ausgewiesen, und dann waren sie die ersten, die in der Krise nach 2000 gepiesackt wurden. Die Impressen Dutzender Regionalblätter durften sie schmücken, von Athen bis Washington, aber in Wahrheit wurden sie zu Bauchladenbesitzern, die ihre Artikel zu immer schlechteren Konditionen anzubieten hatten. Pauschalen wurden gestrichen, ebenso Reisespesen, Honorare gedrückt, bis nur noch das Zeilengeld blieb, das aber auch immer weniger wurde, weil die Texte immer kürzer werden mussten.

Besonders radikal: Germunds Heimatverlag, Dumont in Köln, kündigte 2018 allen seinen Auslandskorrespondenten und empfahl ihnen, sich beim "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND) zu bewerben, das dem Hannoveraner Medienhaus Madsack gehört und mittlerweile mehr als 50 Regionalgazetten mit überregionalen Inhalten beliefert. Inklusive Rätselseiten, Horoskope und Ratgeber für "Körper & Seele". Das RND selbst sagt, es halte ein "ganzheitlich journalistisches Angebot" bereit, das erstellt werde von Korrespondent:innen in aller Welt, die über "sehr gute Netzwerke" und "detailliertes Wissen" verfügten. Die Kolleg:innen wiederum schrieben Willi, es müsse "immer billiger gehen", die Madsack-Manager behandelten sie "wie frühkapitalistische Industriebarone ihre Weber". Willi, der widerständig war und hinschmiss, bezeichnete das Netzwerk als "Penny-Markt der Publizistik".

Willi hat das Nordlicht noch gesehen

Und immer wieder fragte er, wie das gut gehen soll? Eine globalisierte Welt, die reduziert wird auf den eigenen Bauchnabel? Komplexe Sachverhalte wie der Zusammenhang von Weltklimakrise und der Flüchtlingsbewegung verschwinden aus den Zeitungsseiten, beobachtete der Weitgereiste, stattdessen eine Selbstbezogenheit, die im Schrebergarten ihr Glück findet, im schlimmeren Fall im blühenden Nationalismus, dem Nährboden des Rechtsradikalismus.

Was Wunder, dass Willi die Arbeit, die sein Leben war, nicht mehr mochte. War er doch ausgezogen als Sympathisant der Sandinisten, als sogenannter "Sandalisto", der das Privileg hatte, mit seinen Berichten über sie sogar noch Geld zu verdienen. Übrigens damals noch Geld von der "Stuttgarter Zeitung", die ihn, neben der taz, als erste gedruckt hat. Willi, der Mansplainer, der wusste, wie Befreiungsbewegungen kommen und gehen, nicht immer zur Freude bescheidenerer Zeitgenoss:innen. Wo war er gelandet? In Redaktionen, die ihn für einen Außerirdischen hielten, in seinem gelben Haus aus Schiffscontainern direkt am Meer, 600 Kilometer südlich von Bangkok. Okay.

Erhalten hatte er sich, zäh wie er war, seine unstillbare Neugierde, getragen von seiner Lust auf Abenteuer, die wiederum gespeist war von einer frühen schlechten Nachricht: Lymphknotenkrebs. Mit 19 diagnostiziert, war für Willi klar, dass er mit den Karten spielen musste, die ihm gegeben waren, dass er etwas erleben musste, weil er nicht wusste, ob es morgen noch möglich sein würde. Abenteuer, Liebesaffären, sogar mit einem "Käthchen von Heilbronn", Tragödien. Er nannte es ein "Leben mit einer Art Galgenfrist".  

Seine Frau Kanya berichtet, Willi habe das Nordlicht noch gesehen. Es sei wunderschön gewesen.


Der Autor und Willi Germund haben sich 1986 in Mexiko bei der Fußball-WM kennengelernt. Seitdem verband sie eine herzlich sperrige Freundschaft. 


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1 Kommentar verfügbar

  • Jürgen Krinitz
    am 04.10.2023
    Antworten
    Er war ein feiner Kerl.
    Danke!
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