KONTEXT:Wochenzeitung
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Handeln statt Jammern

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Kontext ist nicht die einzige Publikation, die Abmahnungen erhält, wenn es AfD-kritisch wird. Das raubt Zeit, Nerven und nicht zuletzt – Geld. Deshalb: Wie wäre es mit einem Solidaritätsfonds für unabhängigen Journalismus, in den VerlegerInnen und IntendantInnen einzahlen?

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Hier kommt, mit freundlichen Grüßen von Frankfurt nach Stuttgart, ein Zitat aus Hessen: "Zu Beginn einer Revolution haben die Staatsberichterstatter noch die Chance, sich vom System abzuwenden und die Wahrheit zu berichten! Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!"

Das Zitat stand vor gut einem Jahr auf der Facebook-Seite der AfD-Fraktion im Hochtaunuskreis. Als die Empörung hochkochte, wurde es zwar gelöscht, und die hessische Landespartei distanzierte sich. Aber auch das gehört zum Handwerkszeug des Partei gewordenen Rassismus: Erst mal die Grenzen überschreiten, und wenn der Rückzug kommt, hat die Klientel den Kampfauftrag längst verstanden: Der "revolutionäre" Kampf gegen die freie Presse hat begonnen.

Vielleicht sollte man das Zitat mit etwas weniger freundlichen Grüßen auch mal ins Rheinland schicken. In Köln sitzt bekanntlich der Anwalt Ralf Höcker, dessen Kanzlei auch "Kontext" bekämpft, und zwar dann, wenn es AfD-kritisch wird.

Höckers Rolle: Unter Berufung auf den Rechtsstaat, in dem jede und jeder das Recht auf anwaltliche Vertretung hat, macht er sich zum Werkzeug derjenigen, die systematisch sägen an den Säulen eben dieses Rechtsstaats – nicht nur, aber eben auch am Recht auf freie Meinungsäußerung.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Medienkritik ist nicht nur zulässig, sondern dringend notwendig. Dem pauschalen "Lügenpresse"-Geschrei wird nicht beikommen, wer ebenso pauschal behauptet, im Prinzip sei alles gut. Schon die bloße Existenz von Projekten wie "Kontext" beweist ja, welche Lücken etablierte Medien oft lassen, wenn es um einen von wirtschaftlichen Interessen und eingefahrenen Politik-Netzwerken unabhängigen Journalismus geht.

Gegengift zum toxischen Medienhass der Rechten

Davor dürfen auch Medienleute, die in klassischen Verlagen oder Anstalten arbeiten, die Augen nicht verschließen. Im Gegenteil: Den Ast, auf dem wir sitzen, sägen wir selbst ab, wenn wir meinen, jede härtere Medienkritik in die rechte Schublade stecken und damit abtun zu können. Das Gegengift zum toxischen Medienhass der Rechten kann nicht der Rückzug in die Selbstgewissheit sein, sondern nur der selbstkritische Versuch, durch guten und unabhängigen Journalismus Vertrauen zurückzugewinnen.

Zweite Klarstellung: Es stimmt, im Rechtsstaat haben alle, selbst seine Verächter, ein Recht auf anwaltliche Vertretung zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte. Darauf beruft sich auch der Anwalt Höcker, wenn er Statistiken verbreitet, wonach die AfD unter den "politischen Mandaten" seiner Kanzlei nur den dritten Platz einnimmt, hinter CDU/CSU und SPD. Das soll heißen: Es geht um die Verteidigung des Rechts, das allen zusteht, und nicht um eine bestimmte politische Meinung. Kein Wunder, dass Höcker sich immer wieder gegen Journalisten wehrt, "die versuchen, uns auf unsere wenigen AfD-Mandate zu reduzieren".

Richtig ist: Dass es die Rechte auf Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung gibt, hat sehr gute Gründe, und niemand sollte sie in Frage stellen, wenn sie von den "Falschen" in Anspruch genommen werden. Wer das täte, betriebe ja gerade das Geschäft derjenigen, die den Rechtsstaat für ihre Gesinnungsfreunde reservieren wollen. Und doch geht Höckers Hinweis auf die ehrenvolle Aufgabe des Anwaltsstandes, Rechtsschutz für alle zu gewährleisten, am Problem vorbei. Aus zweierlei Gründen: Erstens ist kein demokratisch gesonnener Rechtsgelehrter gezwungen, Mandate von Rassisten anzunehmen. Es gibt im rechtsextremen Lager genug Juristinnen und Juristen, die das sehr gerne tun. Zweitens, und noch viel wichtiger: Die Strategie, mit der Höcker vorgeht, bewegt sich zumindest an, wenn nicht jenseits der Grenze, an der aus dem Kampf für Persönlichkeitsrechte ein Kampf gegen die freie Presse insgesamt wird.

Höcker macht ja keinen Hehl daraus, dass er es für absolut legitim hält, Journalistinnen und Journalisten zu "drohen": mit absurden Antworten auf Interview-Anfragen, in denen zum Beispiel der vollständige Abdruck bestimmter Zitate verlangt wird. Mit Zwangsgeldforderungen, die einen Angriff auf die Existenz vor allem kleiner Medienprojekte darstellen (aber auch größerer, gespart wird bekanntlich in allen Redaktionen). Insgesamt mit einer Strategie, die Ressourcen aller Art so sehr bindet, dass Zeit und Geld für anständigen Journalismus immer knapper zu werden drohen.

Eine Kanzlei, die Feinde des Rechts vertritt

Sicher freut sich Höcker, wenn er am Ende gewinnt. Aber selbst wenn nicht, hat er engagierten Journalistinnen und Journalisten so viel an Zeit, Geld und Nerven geraubt, dass sie im schlimmsten Fall beim nächsten Mal überlegen werden, ob sie weitermachen.

Vor diesem Hintergrund sollten sich die demokratischen Parteien einmal überlegen, ob sie nicht ihrerseits dafür sorgen möchten, dass Höckers Kanzlei "auf ihre wenigen AfD-Mandate reduziert" wird. Bei aller berechtigten Gegenwehr gegen konkrete Versäumnisse der Medien sollten sie sich nicht von einer Kanzlei vertreten lassen, die auch die Feinde des Rechts vertritt.

Bei der CDU, zumindest bei großen Teilen von ihr, wird ein solcher Appell wahrscheinlich ins Leere gehen. Höcker ist bekanntlich inzwischen Pressesprecher der "Werte-Union", die sich aufführt wie das Scharnier für künftige Verbindungen zwischen CDU und AfD. Sie ist bei ihm als Anwalt so gut aufgehoben wie die "Alternative" von noch weiter rechts. Aber zumindest bei der SPD (Grüne und Linke listet Höcker unter seinen "politischen Mandaten" nicht namentlich auf) könnte man ja mal überlegen, was Sozialdemokraten bei diesem Anwalt zu suchen haben.

Die juristische Schiene ist allerdings nur einer der Schauplätze, auf denen die AfD und ihre Gefolgschaft kritische Stimmen bekämpfen. Wer auch nur einmal einen Shitstorm auf einen kritischen Kommentar erlebt hat – bis hin zu Todeswünschen oder gar -drohungen –, weiß, was "revolutionäre" Anti-Medien-Arbeit auch bedeutet.

Dagegen ist die jüngste Hetz-Aktion fast schon drollig. Auf einer neuen Seite im Internet findet sich der folgende Appell an die "Mitarbeiter der Mainstream-Medien": "Dokumentieren Sie mit uns die schlimmsten Lügen und Manipulationen der Haltungsredaktionen und schicken Sie sie – garantiert anonym und komplett vertraulich – an diese E-Mail-Adresse (…) Sie werden sich danach besser fühlen!" Da kann man nur sagen: Es müssen mehr "Haltungsredaktionen" her, nicht weniger.

Solidaritätsfonds unabhängiger Journalismus – warum nicht?

Bleibt die Frage, was zu tun sei – außer wie "Kontext" standhaft zu bleiben oder die Macherinnen und Macher dabei zu unterstützen. Klar, aufklären und offenlegen hilft immer. Aber vielleicht ist die Lage bereits so ernst, dass auch über eine materielle Absicherung nachzudenken wäre. Wenn es den Verlegerinnen und Verlegern, den Intendantinnen und Intendanten der großen Medien ernsthaft um Medienfreiheit geht – warum nicht, je nach wirtschaftlicher Stärke, in einen gemeinsamen "Solidaritätsfonds unabhängiger Journalismus" einzahlen? Einen Fonds, der allerdings nicht von den privaten oder öffentlich-rechtlichen Führungsgremien verwaltet würde, sondern von Journalistinnen und Journalisten, Juristinnen und Juristen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Leserinnen und Zuschauern, die in einem demokratischen Verfahren über Unterstützungsleistungen aus dem Fonds entscheiden.

Gelänge so etwas, wäre das einerseits eine gute Nachricht, andererseits eine schlechte: Denn es zeigt sich in solchen Notwendigkeiten, wie real die Bedrohung, auch die materielle, eines unabhängigen Journalismus schon ist.

Zum Schluss noch einmal ein Gruß aus Frankfurt: Vor gut zwei Jahren verfügte der Hessische Verwaltungsgerichtshof, dass Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) einen Facebook-Eintrag löschen musste. Er hatte eine Einladung des "Wirtschaftsclubs Rhein-Main" an die damalige AfD-Politikerin Frauke Petry unter anderem mit den Worten "AfD? AUSLADEN!" kommentiert. Das wurde ihm bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro untersagt.

Anwalt Christian Conrad, der die AfD vertrat, kommentierte seinen Erfolg mit den Worten: "Mit den Ressourcen eines Regierungsamtes politische Konkurrenten niederzumachen, sollte diktatorischen Regimen vorbehalten bleiben. Deutschland ist nicht die Türkei."

Der Anwalt hatte das Verfahren als Mitarbeiter der Kanzlei Höcker geführt. Dass diese Kanzlei auch den Autokraten und Journalistenverfolger Recep Tayyip Erdogan vertrat (im Verfahren gegen Jan Böhmermanns "Schmähgedicht"), erwähnte Conrad nicht.

Dafür gibt es ein einfaches Wort: Doppelmoral. Also, liebe Demokratinnen und Demokraten in der Politik: Einen bestimmten Anwalt zu boykottieren, ist nicht verboten.


Stephan Hebel, Jahrgang 1956, ist Publizist und Autor der "Frankfurter Rundschau". Seinen Text betrachtet er als Beitrag zur Unterstützung von Kontext.

 

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3 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 22.12.2019
    Antworten
    Schau mea moi!

    In BaWü glaubt ein großer Teil der Bevölkerung, dass man nur alle 5 Jahre an einem Sonntag das Kreuz bei den Grünen machen muss, damit alles gut wird. Am Montag fährt man dann wieder mit ihrem/seinem SUV die Kinder zur Schule, zur Arbeit und zum Einkaufszentrum am Stadtrand.

    Und…
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