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Über Bahnkritiker Arno Luik und sein Buch "Schaden in der Oberleitung" wird bundesweit berichtet. In Stuttgart, mit S 21 das Zentrum des Bahn-Desasters, allerdings nicht. In den beiden Zwillingszeitungen "Stuttgarter Zeitungsnachrichten" findet Luik einfach nicht statt.

Dienstag vergangener Woche – der vielleicht schärfste Kritiker der Deutschen Bahn (DB) startet seine Lesereise durch Deutschland im Großen Sitzungssaal im Stuttgarter Rathaus. Es ist ein symbolträchtiger Ort für alle die, die seit vielen Jahren gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 demonstrieren. Dort sind viele fragwürdige Entscheidungen gefallen, in den Fluren, in den Sälen, auf dem Platz vor dem Rathaus wurde und wird der Protest gegen das verhasste Projekt seit vielen Jahren gelebt.

Der Saal ist proppenvoll, um die 450 Gäste sitzen in Parkett und Loge und hören dem Gespräch zwischen Arno Luik und Moderator Stefan Siller (Ex-SWR) zu. Der gebürtige Königsbronner Luik ist einer der ersten, der Stuttgart 21 durchleuchtet hat, einer, der nachfragt, und immer wieder schreibt. Im Hamburger "Stern", auch in Kontext. Er kennt sich aus mit dem Tiefbahnhof und seinen Ausläufern, mitunter ist es seinen Recherchen zu verdanken, dass die Sauereien in der Planung und der Kommunikation dieses Mega-Bauvorhabens überhaupt öffentlich wurden. Von Hamburg aus, weil die örtlichen Zeitungen sich entschieden hatten, Stuttgart 21 positiv zu begleiten, anstatt zu hinterfragen, was denn da alles schief läuft. Legendär der Satz vom damaligen Ressortchef Adrian Zielcke: "Ohne die Stuttgarter Zeitung hätte es S 21 vermutlich nicht gegeben".

Man kann also festhalten: Luik spielt eine Rolle in der Stuttgarter Stadtgesellschaft, bei den S-21-Gegnern in ganz Baden-Württemberg, ja ganz Deutschland. Und keine kleine.

Eine Lokal- und Regionalzeitung, die in der Stadt verwurzelt sein will, die nahe dran sein will am Puls der Menschen, für die sie berichtet, kann diesen Termin und dieses Buch eigentlich nicht nicht im Blatt behandeln. Zumal der Bahnhofsumbau seit Monaten nahezu täglich einen Großteil aller ÖPNV-Nutzenden das Leben zur Hölle macht und die beiden zusammengelegten Zeitungen, die StZN, erst jüngst eine Studie zitierten, nach der die Zustimmung der Bevölkerung für Stuttgart 21 immer weiter sinkt. Stattdessen: nichts. Das Innenstadt-Büro hat es immerhin geschafft, eine kleine Terminankündigung ganz unten rechts zu platzieren. Sonst: Schweigen im Walde.

Die StZ traut sich was

Die "Badische Zeitung" in Freiburg hat auf einer halben Seite auf Luiks Veranstaltung hingewiesen – Titel "Salz in tiefe Wunden". "Warum die Verkehrswende auf die Schiene eine Illusion ist", überschreibt "Deutschlandfunk Kultur" sein Interview mit Luik. Der "Stern online" bringt Buchauszüge, gleichfalls die "Frankfurter Rundschau". Die "Augsburger Allgemeine" und die "Heidenheimer Zeitung" veröffentlichen lange Interviews. In Kontext sind zwei Vorabdrucke erschienen. Das "Handelsblatt" ist umfänglich auf das Buch eingestiegen: "Was für eine verstörende Buchlektüre für Bahnfahrer!" Es folgt zwar ein Verriss, aber immerhin.

Die "Vaihinger Kreiszeitung" findet auf Facebook besonders hübsche Worte zur Ankündigung des Stuttgarter Events: "Guten Morgen, an all die Bahn-Gebeutelten, die hinter dem Schienen-Wahnsinn etwas Größeres vermuten. Heute ist Euer Tag, denn Arno Luik stellt in Stuttgart (Rathaus, 18.30 Uhr) sein Buch 'Schaden in der Oberleitung' vor. ... Klingt nach einem interessanten Abend. Kommt gut hin und wieder zurück ins Hauptstädtle. Am besten vielleicht mit dem ... Fahrrad?" Den Mantel bezieht das Lokalblatt von den "Stuttgarter Nachrichten".

Und die "Stuttgarter Zeitung"? Tatsächlich, so hört man, gab es wohl einen fertig geschriebenen Text zu Luiks Buch. Vorab sogar, fest eingeplant. Bis Michael Maurer, stellvertretender Chefredakteur, den Artikel kurz vor knapp gekippt haben soll. Heißt es. S-21-Freund Maurer ("wir sehen das Vorhaben positiv") möchte sich dazu auf Anfrage nicht äußern, er spreche nicht mit Kontext, sagt er. Schade, weil sich damit auch die Frage erübrigt hatte, ob da theoretisch nicht noch die Möglichkeit bestanden hätte, am Dienstagabend mal im vollen Rathaus vorbeizuschauen.

Nachzulesen ist am Tag danach etwas Anderes: ein Interview mit Bernhard Bauer, dem neuen Vorsitzenden des Vereins Bahnprojekt Stuttgart–Ulm, der PR-Abteilung von Stuttgart 21. Vorspann: "Im Interview betont der ehemalige Spitzenbeamte im Land die städtebauliche Chance des Vorhabens." Dann darf er Dinge sagen wie: "Der Plan für Stuttgart 21 war da von Anfang an überzeugend."

Hut ab, das muss man sich in der Hauptstadt des Bahnprotests auch erstmal trauen.


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9 Kommentare verfügbar

  • Roland Morlock, DBV Baden-Württemberg
    am 11.09.2019
    Antworten
    Man ist in Stuttgart ja schon gewohnt, daß Stuttgarter Zeitung und Nachrichten kritischen Meinungen zu Bahnthemen nur recht wenig Beachtung schenken, sobald sie irgend eine kritische Aussage zu Stuttgart21 enthalten. Und wenn doch, dann darf am Ende des Artikels immer ein Projektsprecher erklären,…
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