Im Frühjahr 2017 führte Thomas Leif durch einen aufregenden Abend. In der Berliner Landesvertretung von Rheinland-Pfalz organisierte und moderierte er den Mainzer Mediendisput zum Thema "Zwischen Glaskugel und professioneller Expertise – Die Macht der Meinungsforscher und des Kommentariats". Seine Idee, noch vor den Bundestagswahlen einen neuen Verhaltenskodex vorzulegen, konnte er nicht mehr realisieren. "Doch wir fühlten uns dem Ende 2017 verstorbenen Thomas Leif gegenüber verpflichtet, das angedachte Projekt in erweiterter Form zu Ende zu bringen", schreibt Jupp Legrand, der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung (OBS). Das Ergebnis ist <link https: www.otto-brenner-stiftung.de wissenschaftsportal informationsseiten-zu-studien demoskopie-medien-und-politik external-link-new-window>das 67-seitige Arbeitspapier "Demoskopie, Medien und Politik: Ein Schulterschluss mit Risiken und Nebenwirkungen".
An der gegenwärtigen Zustimmung zu den Grünen lassen genau die sich detailliert herunterdeklinieren. Nur einmal seit ihrer Gründung vor fast vier Jahrzehnten waren die Zahlen für die Partei noch besser. Im April 2011, nach Fukushima und Winfried Kretschmanns erstem Triumph im deutschen Südwesten, ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen als Momentaufnahme, ohne "längerfristige Überzeugungen und taktische Überlegungen der Wähler" einzurechnen, 27 Prozent Zustimmung für die Grünen. Im Spätherbst 2018 sind es nun 26 Prozent bei der "politischen Stimmung" in Deutschland. Und 22 Prozent in der Sonntagsfrage, was einen Sprung um fünf Punkte innerhalb weniger Wochen bedeutet.
Andere Institute ziehen nach. Und nicht nur das politische Berlin hat mit schräg klingenden Debatten über eine Zukunft begonnen, in der das ewige Abonnement von CDU und SPD auf den Einzug ins Kanzleramt eben keine Bank mehr ist. Im Gefolge der spektakulären Wahlerfolge in Bayern und Hessen und ihres in schönster Eintracht verlaufenen Leipziger Parteitags – "politische Spaßkultur", ätzte die FAZ – machen Personal, Profil und breite Bündnisfähigkeit der Grünen jedenfalls bei immer mehr Leuten so viel Eindruck, dass im Ranking der Parteien allmählich vieles für möglich gehalten werden muss.
Thomas Wind, Volkswirt und Psychologe, beschreibt für die OBS die kommunizierenden Röhren, in denen Demoskopie und Medien sich gegenseitig nutzen und brauchen, und dass "Umfragen vielen Journalisten die Leitplanken für die eigenen Einschätzungen und Beurteilungen liefern". Ein kurzer historischer Abriss geht zurück bis zu Karl dem Großen, der anno 811 eine Umfrage unter Multiplikatoren und Würdenträgern durchführen ließ. Gründungsvater in der Moderne ist der gelernte Journalist Georg Gallup, der Franklin D. Roosevelt 1936 seinen Erdrutschsieg vorhersagte. Auf ihn geht auch die Erkenntnis zurück, dass ausschlaggebend für die Qualität einer Umfrage nicht die Größe, sondern die richtige Zusammensetzung der Befragten ist, und dass Trends richtig interpretiert werden.
Umfragen machen Schlagzeilen
Wenn die Entwicklung weitergeht wie in der jüngsten Vergangenheit, dann wird es in der Republik bald mehr Umfragen geben, als ein Jahr Tage hat. "Eine jagt die nächste, und in Wahlkampfzeiten erhöht sich die Schlagzahl noch einmal deutlich", schreibt Wind. Im Jahr der Bundestagswahl 2017 fanden zwischen Januar und September nach eigener Zählung rund 230 Befragungen statt; im Wahljahr 2013 waren es noch 150. "Demoskopie braucht die Medien als Verbreitungsinstanzen", heißt es weiter, "und die Medien brauchen die Umfragen", weil die "stets brandaktuellen Zahlen zum Auf und Ab der politischen Stimmung gut zur Dramatisierung der Berichterstattung und zum Generieren von Schlagzeilen taugen".
Beim Thema Auf und Ab wissen immer mehr PolitikerInnen nur zu gut, wovon die Rede ist. Allen voran Martin Schulz und die SPD. Als er Anfang 2017 antrat, um nach Möglichkeit Angela Merkel zu beerben, stand die Partei bei 20 Prozent, der Höhenflug ließ sie auf 32 Prozent entschweben, gut ein Jahr später dümpelt sie bei schmählichen 14 – und Schulz arbeitet, wie man hört, an seinem Comeback aus dem Niemandsland. Eine tragende Rolle in diesen Turbulenzen haben die Medien ohne Zweifel gespielt. Noch vor der Bundestagswahl meinten notorische BesserwisserInnen, der eigenen Zunft eins mitgeben zu müssen. Die "eigentlichen Verlierer", schrieb "Cicero", seien nicht der Kandidat und seine orientierungslose SPD, "es sind, wieder einmal, die Medien". Schnell verliere die Orientierung, wer "Medienrealität und Realität, die zwei sehr verschiedenen Dinge, verwechselt". Stimmt.
Auch die Grünen haben Berg-und-Tal-Fahrten hinter sich. 2011 war der Hype nach wenigen Wochen wieder vorbei, die harte Landung bei den Bundestagswahlen mit neun Prozent schmerzhaft. Zumal die Partei schon mehrfach die Erfahrung machen musste, dass die regelmäßig zur Hälfte von Legislaturperioden ermittelten hohen Werte an deren Ende nicht in Prozente umzusetzen waren. Wind dreht sich, zuweilen sogar in Windeseile. Eine immer wieder belegte Erfahrung: WechselwählerInnen schlagen sich schlussendlich gern auf die Seite prognostizierter Sieger.
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 28.11.2018Wer hochfliegende Vorstellungen hat, der ist allzu leicht versucht abzuheben und dabei die Bodenhaftung zu verlieren – jedoch nicht so [b][1][/b] | Na dann…