KONTEXT:Wochenzeitung
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SWMH schluckt weiter

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Nach der "Eßlinger Zeitung" ist die "Kreiszeitung Böblinger Bote" dran. Der Medienkonzern SWMH will sie kaufen. Offen ist nur noch, ob es zur Machtübernahme reicht.

"Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein." Eckart Spoo, langjähriger Korrespondent der Frankfurter Rundschau, Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union (1970-1986), danach "Ossietzky"-Herausgeber, hat diesen Satz von Karl Marx immer wieder zitiert. Der aufrechte Journalist ist am 15. Dezember gestorben, wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag. Doch sein Vermächtnis bleibt, auch wenn der Alltag im Verlagsgewerbe eine andere Sprache spricht. Oder gerade deshalb.

Schauen wir uns den Weihnachtsbasar im schwäbischen Blätterwald an. Von draußen, von Esslingen komm ich her, ich muss euch sagen, es klimpert sehr. In den Kassen. Wie berichtet, soll die "Eßlinger Zeitung" (EZ) im neuen Jahr in den Besitz der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) übergehen. Vorausgesetzt der Geschäftsführer des Kirchheimer "Teckboten" und EZ-Anteilseigner, Ulrich Gottlieb, stimmt zu und macht von seinem Vetorecht keinen Gebrauch. Dann kann der Deal mit dem Pressetitel, der in zwei Jahren 150 geworden wäre, über den Neckar gehen.

Und schon wandert das Auge weiter, zum nächsten Objekt der Begierde: zur "Kreiszeitung Böblinger Bote". Erstausgabe im Jahr 1826, ein Familienunternehmen in der fünften Verlegergeneration. Im Sommer 2016 feierte der Verleger und Geschäftsführer Paul-Matthias Schlecht seinen 65. Geburtstag, im neuen Jahr wird er ausscheiden. Jan-Philipp Schlecht, die sechste Generation in dem Lokalblatt mit 15 344 Auflage, übt schon mal als Online-Ressortleiter.

Grundsätzlich muss hervorgehoben werden, dass der Verleger Schlecht ein sozialpolitisch verantwortlich denkender Mensch ist. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hält er sich an die Tarifverträge der Branche und erträgt eine gewerkschaftlich gut organisierte Belegschaft.

Auch das macht das Verlegerleben schwer. Auch das führt zu weniger Gewinn, neben den geschrumpften Auflagen und Anzeigen. Und das wiederum führt zur Überlegung, ob das Verleger-Dasein noch lukrativ genug ist, der Verlag das private Kapital zu sehr strapaziert, oder ob nicht besser die Medien-Konzerne übernehmen sollen? Ein erster Schritt waren die 24,9 Prozent der Anteile an der Böblinger Kreiszeitung, die von der SWMH vor einigen Jahren erworben wurden.

Verleger Schlecht bestätigt die Verhandlungen

Mehr hat das Kartellamt damals an Miteigentum nicht erlaubt. Doch jetzt soll es mehr sein. Nach Kontext-Informationen will die SWMH ihre Anteile wesentlich erhöhen. Gefeilscht wird um die Höhe – ob paritätisch oder 50 plus 1 oder mehrheitlich ist noch im Handel. Verleger Schlecht bestätigt die Verhandlungen, will sich zu Einzelheiten aber nicht äußern. Darüber wolle er erst seine MitarbeiterInnen informieren, "wenn wir nachprüfbare Fakten vorliegen haben", teilt er mit. Schriftlich hält er so viel fest: "Wir werden alles tun, dass der familiäre Charakter der Kreiszeitung Böblinger Bote vollinhaltlich, umfänglich und betriebstechnisch erhalten bleibt." Das bedeutet hoffentlich Bestand für die Redaktion, Sicherheit für die Druckerei, die Verlagsangestellten, den Vertrieb. Bei der Buchhaltung wohl weniger, wenn die Krake SWMH gewinnt.

Aber wie wäre es, wenn Verleger Schlecht nicht nur informieren, sondern seine Belegschaft auch fragen würde? Die 19 RedakteurInnen zum Beispiel, ob sie Anteilseigner und Mitverleger (mit Stimmrechten und Mitbestimmung) werden wollen? Das wäre doch eine Option. Mit Hilfe der Bürgschaften der Banken, unter Beleihung der tariflichen Altersversorgung der Beschäftigten, könnte ein schönes Stück Kapital zusammen kommen, um das Blatt in einer Familien- und Mitarbeiter-freundlichen Atmosphäre weiterzuführen. Aber so weit reicht der "familiäre Charakter" nicht. Es wird wohl kommen wie überall: Eine bewährte Truppe wird im Laufrad der Pressekonzentration verkauft, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie, die seit vielen Jahren eine ordentliche Zeitung macht, in ihrem Wa(h)renwert auch richtig taxiert wurde? Wie sie sich wohl fühlt, wenn sie nur noch aus Gewerbe besteht?

Freuen können sich die RedakteurInnen, dass sie zum 1. Januar 2017 einskommafünf Prozent mehr Gehalt bekommen. Da weiß man und frau gleich wieder, was lohnabhängig ist. "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein." Lieber Eckart Spoo, Karl Marx ist mir im Tagtraum erschienen.

PS: Wie die SWMH mit ihren Zeitungen umspringt, hat sie jüngst beim "Nordbayerischen Kurier" vorgeführt. Am 8. Dezember hat sie den Betriebsrat darüber informiert, dass sie im Zuge von Umstrukturierungen mehr als 50 von 225 Stellen streichen werde. Laut verdi-Sektretär Uwe Kreft könnte die Vorgehensweise in Bayreuth als "Blaupause" für die Pläne bei der "Eßlinger Zeitung" dienen. Die "Kreiszeitung Böblinger Bote" hat er noch nicht genannt.


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