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Zwei Zeitungen im Brustring

Zwei Zeitungen im Brustring
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Selbst die Kanzlerin musste ran, als Stuttgarter Medien vergangenen Freitag die Aktion "Jetzt Weiß-Rot!" starteten. Die Idee: Rückenwind für den VfB im Kampf ums Überleben in der Bundesliga. Vor jedem der letzten fünf Spieltage – so die Ankündigung – wollen "Stuttgarter Zeitung", "Stuttgarter Nachrichten", die Hörfunksender Antenne 1, Big FM und Die neue 107,7 Unterstützung für Schwabens Fußballstolz mobilisieren. Doch schon der zum Auftakt geplante weiß-rote Freitag floppte.

Was die beiden Blätter im Internet präsentierten, erwies sich bei näherem Betrachten als hochgradig peinlich. Acht Prominente wurden mittels Montage in weiß-rote Trikots gesteckt: <link http: www.stuttgarter-zeitung.de _blank>neben Angela Merkel, wie witzig: Papst Franziskus, Barack Obama, Talkmaster Markus Lanz, Rapper Cro, die Zeichentrickfigur Homer Simpson und eine Muppets-Puppe. Dazu ein pflichtschuldiger Text der Redaktion, in dem diese beteuerte, die jeweilige Berichterstattung über den VfB bleibe davon unberührt, sei "weiterhin kritisch-neutral" und wahre die "nötige journalistische Distanz". Zumindest im Internet schlüpfen die Blätter aus dem Pressehaus in Möhringen mal eben in die Rolle des zwölften Mannes im Brustring.

Gipfel der Peinlichkeit auf StZ online: Über der Ankündigung des ersten der fünf Aktionstage kann "Der Brustringer – die neue Kolumne zum VfB Stuttgart" angeklickt werden. Wer der Einladung folgt, stößt auf zwei Texte aus dem Vorjahr: eine Vorschau auf Relegationsspiele im Amateurlager und ein Rückblick auf die 2:3-Niederlage der Weiß-Roten gegen Bayern München im letztjährigen DFB-Pokalfinale. Gähn.

Anderntags ergänzten <link http: www.stuttgarter-zeitung.de _blank>103 Leserfotos das Angebot der weitestgehend identischen Online-Auftritte von StZ und StN, die eine ganze Region zur Unterstützung ihres sportlichen Aushängeschilds animieren sollte. Daneben ein Text mit der Überschrift "VfB Stuttgart bedankt sich mit Video für Unterstützung", in dem vollmundig berichtet wird: "Tausende Fans haben ihre Unterstützung gezeigt." Und Präsident Bernd Wahler sei "überwältigt von der Aktion". <link http: video.stuttgarter-nachrichten.de _blank>Klickt man indes das Video an, wird schlagartig deutlich, warum der Nachfolger des nassforschen ehemaligen Porsche-Managers Gerd Mäuser seit seiner Wahl im Juli 2013 durch nichts aufgefallen ist, was haften geblieben wäre.

So pflichtschuldig wie der ganze Online-Auftritt wirkt auch die Dankesadresse des VfB-Chefs: "Die Tatsache, dass die Initiative von den Stuttgarter Medien gestartet wurde, i denk, dees isch oifach großartig." Und weiter: "Mit den Medien, klar, da gibt's manchmal a paar kritische Auseinandersetzungen, aber man spürt dann doch, dass die im Innera und im Herza au alle VfB-Fans sind ond Unterstützer. Toll, dees zu spüra", schwäbelt der Remstäler, zuletzt im Management von Adidas, mit treuherzigem Augenaufschlag ins Mikrofon, neben seinem Double aus Pappe stehend, das ein VfB-Trikot trägt.

Vergeblich hält man auf den Online-Seiten Ausschau nach einem Gruppenfoto, zu dem Ulrich Bensel, Personalchef der Zeitungsgruppe Stuttgart, die rund tausend Beschäftigten sämtlicher Firmen im Pressehaus in Möhringen "am Freitag, 11.55 Uhr, vor dem Haupteingang" gebeten hatte: "Egal, ob Trikots, Schals, Fahnen oder rot-weiße Fingernägel, Blusen, Hosen und Krawatten, egal ob Fan oder Sympathisant, am Freitag heißt es: Jetzt weiß-rot!" Doch der Befehl von oben (<link file:9147>hier im Original nachzulesen) ging ins Leere: Keine "zwanzig Hansel", so einer der vielen Kiebitze an den Fenstern, hätten sich "freiwillig zum Kasper machen wollen".

Da schwang gleich mehreres mit. Vorbehalte, sich als Fan zu präsentieren, gab es gewiss auch. Weit schwerer aber wog und wiegt der Konflikt zwischen Belegschaften und Geschäftsführung aufgrund der jüngsten verheerenden verlagspolitischen Weichenstellungen im Pressehaus. Fortschreitender Personalabbau und der vollständige Rückzug der StN aus eigenständiger Regionalberichterstattung nebst Zwang zu Kooperationen, die auch die Selbstständigkeit der StZ gefährden, haben das Klima vergiftet, was sich in erhöhter Streikbereitschaft niederschlägt.

Kretschmann lobt die Zeitungsverleger

Die Gefahr, beim ins Wasser gefallenen Fototermin Seit an Seit mit der Führungsetage abgelichtet zu werden, war freilich gering. Richard Rebmann, Vize im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), dürfte ebenso wie seine Ko-Geschäftsführer Alexander Paasch (SWMH) und Martin Jaschke (MHS) an diesem Freitag zur Jahrestagung des Verbands Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV) an den Bodensee geeilt sein, bei der Ministerpräsident Winfried Kretschmann es fertigbrachte, die Festrede zum Thema <link file:9148>"Die Entwicklung der Medien im Zeichen der Digitalisierung" zu halten, ohne den schwelenden Tarifkonflikt auch nur zu streifen. Den versammelten Verlegern bescheinigte er ungeachtet aller gegenläufigen Entwicklungen, deren klares Ziel laute: "Qualitätsjournalismus aus der Region für die Region noch stärker in der digitalen Welt und über alle Mediengattungen hinweg zu etablieren." Stichworte wie innere Pressefreiheit oder Schlechterstellung von Online-Journalisten sind offenbar für ihn und/oder seine Redenschreiber Fremdwörter. Ein Armutszeugnis für einen Politiker, der nach eigenem Bekunden täglich freudig zur "Zeitung auf Papier" greift. Gewiss aber auch für unseren Berufsstand, der es versäumt hat, in eigener Sache Tacheles zu reden.

Wo beginnt, wo endet Journalismus? Wo ist der Platz des Journalisten? Gewiss nicht im Fanblock. Auch dann nicht, wenn sich dieser wie aktuell in Stuttgart auf Online-Seiten erstreckt, weil Verlagsleiter und Chefredakteure den Schulterschluss mit einem in Not geratenen Fußball-Bundesligisten suchen. Warum wohl gründet sich das Grundrecht der Pressefreiheit wie auch das Privileg des Tendenzschutzes auf die strikte Trennung von redaktionellem und Anzeigenteil, von objektiver Berichterstattung auf der einen Seite sowie Werbung und PR auf der anderen? Wer hier Grenzen verwischt und der Schleichwerbung Vorschub leistet (was leider um sich greift), versündigt sich am hohen Gut der Unabhängigkeit und sägt damit am Ast, auf dem wir alle sitzen.

Die Mobilisierung des VfB-Anhangs und einer ganzen Region fällt klar in die Kategorie Werbung und PR. Insofern haben die Redaktionsmitglieder von StZ und StN, die dem Aufruf ihres Verlags nicht gefolgt sind, weil sie dies mit ihrem Selbstverständnis als Journalisten nicht vereinbaren können, Verantwortung bewiesen.

Wenn solche Beispiele Schule machen, wo Journalisten zu Propagandisten werden, dann Ade, Qualitätsjournalismus. An Anlässen für Schulterschlüsse aller Art dürfte es nicht mangeln. Alle in Europa-T-Shirts rasch noch vor dem Urnengang? Oder vor der nächsten Bundestagswahl alle in Blau und Gelb, schließlich sind wir doch das Stammland der Liberalen?

Gerade StZ und StN hätten gewarnt sein müssen. Mit ihrer über Jahre praktizierten Schlagseite beim Thema Stuttgart 21 haben sie sich selbst bleibenden Schaden zugefügt.

 

Bruno Bienzle war 39 Jahre Redaktionsmitglied der "Stuttgarter Nachrichten", davon 26 Jahre Lokalchef und zuvor zwölf Jahre im Sportressort. In der Abstiegssaison 74/75 belegte ihn VfB-Präsident Weitpert nach der 3:4-Heimniederlage gegen den MSV Duisburg mit Stadionverbot. Seine Begründung: Er habe mit dem am Spieltag in den StN veröffentlichten Kommentar mit der schlichten Überschrift "VfB-Krise" die Niederlage herbeigeschrieben. Zeuge der Anklage war Trainer Hermann Eppenhoff: "Sie haben die Mannschaft verunsichert, Sie Schmutzfink!" Das Stadionverbot musste vor dem nächsten Heimspiel des VfB aufgehoben werden. Wochen später wurde Eppenhoff entlassen und durch Albert Sing ersetzt. Präsident Weitpert wurde Monate später abgewählt. Nachfolger wurde Gerhard Mayer-Vorfelder. Der VfB stieg als 16. in die Zweite Liga Süd ab und nach zwei Jahren wieder auf. Von 1963 bis 1975 und von 1977 bis heute gehört er ununterbrochen der höchsten Spielklasse an.


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6 Kommentare verfügbar

  • Dominik
    am 17.04.2014
    Antworten
    So sehr ich die Berichterstattung von Kontext über die Krise der Tageszeitungen und Journalismus schätze, bei einer Sache muss sie sich an die eigene Nase fassen: Bei der Trennung von Journalismus und PR.
    Kontext hat zwei Petitionen verfasst und versucht Anhänger zu mobilisieren. Dabei wurde…
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