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Kürzungen bei Kultur

Am falschen Ende

Kürzungen bei Kultur: Am falschen Ende
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In zwei Jahren feiert der Württembergische Kunstverein sein 200-jähriges Bestehen. Die Direktor:innen warnen: Es könnte ein Abschiedsfest werden, wenn die Stadt Stuttgart ihre Kürzungspläne umsetzt. Anderen Kultureinrichtungen geht es kaum besser.

Kunstvereine gehören zum immateriellen Kulturerbe der Unesco. Sie "verbinden zivilgesellschaftliches Engagement mit ehrenamtlicher Kunstvermittlung", heißt es in der Begründung. "Als urbane und moderne Akteure der Vernetzung nehmen sie an Diskursen zeitgenössischer Kunst teil, treiben diese an und verkörpern dabei ein Demokratieverständnis, das für den Erhalt eines lebendigen und vielfältigen Kulturerbes wichtig ist." Mit der Unterzeichnung des Abkommens hat sich Deutschland 2013 verpflichtet, dieses Erbe zu erhalten. 

Nur, wer ist konkret verantwortlich? Kunstvereine sind ortsgebunden und damit in erster Linie auf kommunaler Förderung angewiesen. Im Fall des Württembergischen Kunstvereins (WKV), der als eines der wichtigsten Ausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst weit über Stuttgart hinaus strahlt, übernimmt ein Drittel der öffentlichen Förderung, derzeit 319.000 Euro, das Land. Doppelt so viel, also 638.000 Euro, kommt von der Stadt. Dazu kommen Mitgliedsbeiträge und Spenden, gelegentliche Mieteinnahmen, vor allem aber Drittmittel von großen Stiftungen für einzelne Ausstellungsprojekte.

Wenn die Stadt Stuttgart wie angekündigt ihre Förderung um sechs Prozent kürzt, sehen Hans D. Christ und Iris Dressler, das Direktorenduo des WKV, ihre Arbeit akut bedroht. Denn die sechs Prozent, 38.000 Euro, würden sehr viel gravierendere Einschnitte nach sich ziehen. Nicht nur, weil das Land seinen Anteil entsprechen um 19.000 Euro kürzen könnte. Sondern vor allem, weil Stiftungsgelder in Höhe von 310.000 Euro für das nächste Jahr wegfallen würden, die bereits bewilligt und von denen 20.000 Euro bereits ausgegeben wurden.

Keine Ausstellungen im nächsten Jahr

Der Grund: Die Bundeskulturstiftung, von der das Geld vor allem stammt, fördert satzungsgemäß nur Ausstellungen, für die der Antragsteller 20 Prozent Eigenmittel bereitstellen kann. Schon jetzt deckt das Fördergeld von Stadt und Land nicht einmal die Personal- und Fixkosten. Die Eigenmittel für Ausstellungen müssen deshalb anders generiert werden, was durch Mitgliedsbeiträge und Spenden im Moment gerade noch gelingt. Fehlen aber im kommenden Jahr die 38.000 Euro der Stadt, hätte der WKV für Ausstellungen weniger als jene 20 Prozent Eigenmittel übrig. Die Folge: Das bereits bewilligte Stiftungsgeld müsste wieder zurückgegeben werden, es gäbe keine Ausstellungen. Und auch für die Folgejahre sieht es düster aus. Für 2027 könnten aufgrund der tarifbedingt weiter schrumpfenden Eigenmittel, wenn überhaupt, nur äußerst geringe Drittmittel beantragt werden. Und an eine angemessene Ausstellung und einen Festakt zum 200-jährigen Bestehen sei nicht zu denken.

Die Bundeskulturstiftung fördert nach eigener Aussage "große, innovative Projekte im internationalen Kontext", wovon Christ und Dressler seit ihrem ersten großen Ausstellungsprojekt "On Difference" 2005/06 oft profitiert haben. Neben weiteren Stiftungen und Geldgebern, auch solchen aus anderen Ländern, die für Transport- und Reisekosten aufkommen, trägt die Bundeskulturstiftung mittlerweile einen Großteil der Ausstellungskosten. Und dass sie beide Augen zudrücken wird, ist kaum zu erwarten. 

Einen Präzedenzfall gibt es: Die Stiftung förderte das Projekt Tanzplan von 2005 bis 2010 mit 12,5 Millionen Euro. Und dann war Schluss: wegen fehlender Eigenmittel. Eine Mehrzahl der Teilprojekte hat jedoch überlebt, vor allem weil Kulturstaatsministerin Claudia Roth ein Herz für die Tanzszene hatte. Doch nun setzt ihr Nachfolger Wolfgang Weimer hier den Rotstift an. Er hat sieben Produktionshäusern die Bundesmittel komplett gestrichen.

Förderung auf Niveau der 1990er-Jahre

Beim Personal kann der WKV kaum noch sparen: Schon 2009, als die Stadt ihre Zuwendungen um zehn Prozent kürzen wollte, haben Christ und Dressler vorgerechnet, der Verein habe in den vergangenen acht Jahren die Belegschaft von 25 auf 15 Beschäftigte reduziert. Heute sind es noch vier Vollzeit- und zehn Teilzeitstellen. Weniger geht nicht.

Die Misere hat keinesfalls erst mit den aktuellen Gewerbesteuereinbrüchen begonnen. Sie besteht seit langer Zeit und wurde oft genug angesprochen. Die 957.000 Euro, die der Kunstverein dieses Jahr von Stadt und Land erhält, entsprechen fast genau dem Stand Anfang der 1990er-Jahre. Seitdem haben sich die Lebenshaltungskosten aber fast verdoppelt. Schon vor sechs Jahren haben daher die sachkundigen Bürger im Kulturausschuss des Gemeinderats eine Dynamisierung, also eine Anpassung der Förderung an die Preisentwicklung angemahnt. Doch der Gemeinderat hat die Beträge nur nach Haushaltslage ein wenig angehoben.

Der WKV ist mit diesem Problem keineswegs allein. "Unsere Basisarbeit für die neue Musik in Stuttgart ist in Gefahr", sagt auch Christine Fischer, die Intendantin von "Musik der Jahrhunderte" im Theaterhaus, die mit einem Team von fünf Mitarbeiter:innen jährlich zwei Festivals veranstaltet: "Eclat" Anfang Februar und "Der Sommer in Stuttgart". Die sind jetzt bedroht, weil die Stadt bei Festivals überproportional kürzen will. "Eclat ist der Kristallisationspunkt, auf den unsere unermüdliche Arbeit eines ganzen Jahres zuläuft", schreibt Fischer im Newsletter. "Es ist das Ereignis, in dem der Löwenanteil unserer Produktionsmittel steckt."

"Wir haben die Belastungsgrenze längst überschritten", konstatiert die Intendantin. "Jetzt droht das System zu kippen. Die wichtigste Stimme neuer Musik in der Stadt, die Förderung junger, freischaffender Künstler:innen, die Internationalität, das Interdisziplinäre, das Interkulturelle, die Exzellenz, die Recherche – kurz: Die Basis Neuer Musik in Stuttgart ist existenziell bedroht."

Weniger als ein Prozent im Haushalt

"Für kleinere Bühnen Stuttgarts, für Festivals, freie Projekte und für zahlreiche Kollektive der Stadt bedeutet die Verabschiedung der geplanten Sparmaßnahmen das Aus ihrer Einrichtungen, Ensembles sowie ihrer künstlerischen und pädagogischen Initiativen", schreibt auch das Studio Theater in seinem Newsletter. Es verweist zudem auf die Landesmittel: "Die Kürzung durch die Stadt, die mittlerweile in einer Höhe von 4,39 Millionen Euro verhandelt wird, setzt automatisch auch die Landesverwaltung unter Druck. Dadurch droht ein Gesamtminus von bis zu 8,8 Millionen Euro im Jahr 2026!"

"Uns ist bewusst, dass angesichts sinkender Steuereinnahmen gespart werden muss", heißt es im Newsletter des Theaters weiter. "Doch mit aktuell 49 Millionen Euro beträgt der Kulturförderetat weniger als 1 Prozent des Haushaltsvolumens von 5,4 Milliarden Euro. Eine Kürzung dieses Etats bringt eine proportional kaum spürbare Entlastung des Haushalts, hat aber gravierende Schäden für Kultur, Gesellschaft und die Zukunftsfähigkeit dieser Stadt zur Folge."

Bleibt festzuhalten, was alles auf dem Spiel steht. Der WKV etwa ist nicht nur ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet der globalen Gegenwartskunst, wie Engagements von Dressler und Christ in Bosnien und Norwegen oder ihre Zusammenarbeit mit Institutionen und Künstler:innen von Korea bis Spanien und Südamerika zeigen. Er ist zu einem zentralen Ort für die Zivilgesellschaft geworden. Alle drei Tage findet dort eine externe Veranstaltung statt. 

"Kunst ist demokratierelevant"

Die Ausstellung "Three Doors" über die rassistischen Morde von Hanau wurde auf Beschluss des Gemeinderats von der Stadt gefördert und war überdurchschnittlich gut besucht insbesondere von einem jungen und migrantischen Publikum – kein einmaliger Erfolg. Der WKV ist zur Anlaufstelle geworden, er hat eine Vertrauensbasis geschaffen für offene Diskussionen, die der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken.

"Kunst ist demokratierelevant", betont auch Christine Fischer in einer Diskussion des Deutschen Musikrats über "Neue Musik als Labor der Demokratie". Sie erinnert an die großartigen Projekte, die im Rahmen des "Netzwerk Neue Musik", einem bundesweiten Förderprogramm zwischen 2008 und 2011 entstanden, und stellt fest: "Ohne finanzielle Möglichkeiten ist es schwer, Kontinuität zu schaffen. Die Pandemie hat dieses Feld zusätzlich geschwächt."

Christ und Dressler geben zu bedenken, dass die Drittmittel, die sie einwerben, Stuttgart zugutekämen. Gemeint ist die Wirtschaft, nicht der kommunale Haushalt. Mit 38.000 Euro lässt sich andererseits aber auch kein Haushaltsloch in dreistelliger Millionenhöhe stopfen. Freiberufler:innen und feste Mitarbeiter:innen seien von der Kürzung betroffen, so Christ und Dressler weiter, ebenso Hotels, Materiallieferanten, Medienausstatter, Druckwerkstätten und vieles mehr: "Das schadet der lokalen Wirtschaft erheblich!"

Bosch entlässt, Kulturbranche wächst

Dieses Argument lässt sich noch ausweiten. Während die goldenen Zeiten der Automobilindustrie vorbei sind und selbst Unternehmen wie Bosch Stellen abbauen, wächst die Kultur- und Kreativwirtschaft, wie der jährlich für das Bundeswirtschaftsministerium erstellte Monitoringbericht feststellt. Und zwar sowohl was die Zahl der Arbeitsplätze als auch die Umsätze angeht, wenn auch auf niedrigem Niveau. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young hat daher schon in der Coronakrise geraten, diesen Bereich massiv zu stärken.

Eine neuere Studie, angefertigt am Institute for Innovation and Public Purpose (öffentliche Angelegenheiten) des University College London, gelangt zu ganz ähnlichen Schlüssen. "Kunst und Kultur", heißt es da, "sind nicht nebensächlich für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern stimulieren und lenken wesentlich das Wirtschaftswachstum in Richtung kreativerer, inklusiverer und nachhaltigerer Gesellschaften mit dynamischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft."

Christ und Dressler schlagen vor, die Stadt solle "gemeinsam mit den Kulturakteur:innen Modelle der Kulturfinanzierung erörtern" und verweisen auf Dortmund, wo ein städtisches Kulturbüro alle Fäden in der Hand hält. Christine Fischer hat einen Wunsch: "Ich wünsche mir, dass wir unsere Erschöpfung angesichts der Komplexität der Weltprobleme überwinden und durch Kunst immer wieder Zuversicht stiften – die Stärke eines 'Wir-Gefühls' gegen die Resignation."


Eine Petition namens "An Kultur, Bildung und Sozialem zu sparen, kostet viel zu viel!" eines breiten Bündnisses von weit über 100 Stuttgarter Kulturinstitutionen, von der Wagenhalle bis zu Oper, findet sich hier.

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