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Stuttgart-21-Denkmal

"Stuttgart braucht diese Skulptur"

Stuttgart-21-Denkmal: "Stuttgart braucht diese Skulptur"
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Der Stuttgarter OB soll mit Peter Lenk über Kunst und die Welt reden, sagt Veronika Kienzle. In der Hoffnung, dass er dann versteht, warum das S-21-Denkmal bleiben muss, wo es ist. Ein Gespräch über eine humorarme Stadt, Moos auf Kretschmanns Rücken und gegrillte Juchtenkäfer.

Stuttgart 21 – ein Schmiss im Gesicht der Stadt

Veronika Kienzle ist so etwas wie die Schirmherrin des schwäbischen Laokoons vor dem Stuttgarter Stadtpalais. Klar, dass sie sich aufs Rad schwingt, um nach dem Gespräch in der Kontext-Redaktion zum Denkmal des Künstlers Peter Lenk zu radeln, auch wenn es regnet an diesem Freitag. Die Vorsitzende des Bezirksbeirats Stuttgart-Mitte ist stolz darauf, dass ihr Beirat erst kürzlich für einen Verbleib des provokativen Kunstwerks in zentraler Lage gestimmt hat – über alle Parteigrenzen hinweg. Da könnte sich der Stuttgarter Gemeinderat eine Scheibe abschneiden.

Unermüdlich setzt sich Kienzle ein für die Skulptur, nicht obwohl, sondern gerade weil sie zu Diskussionen anregt. Aus ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Projekt Stuttgart 21 hat die Grüne auch als Stuttgarter OB-Kandidatin nie einen Hehl gemacht. Für sie ist Stuttgart 21 "ein Schmiss im Gesicht der Stadt". Nun werde es Zeit für Erinnerung und Versöhnung. (sus)

Frau Kienzle, wieder einmal wird um Peter Lenk erbittert gestritten. Nun soll er weg vom Stadtpalais, weil dort Stuttgart am Meer gespielt werden soll. Was ist los in dieser Stadt?

Egal, wohin Lenk mit seiner Kunst auch kommt, er kommt als Till Eulenspiegel - weshalb über seine Kunst sofort gestritten wird. Derzeit leben wir in einer extrem humor- und ironiearmen Zeit der Videokacheln. In der Pandemie ist vielen in Stuttgart der Humor vergangen. Vorher war der im Talkessel allerdings auch schon sehr begrenzt. Die Humorlosigkeit fing ja schon bei der Standortsuche für die Skulptur an.

Ist der Streit um den schwäbischen Laokoon auch ein Symbol für die Spaltung einer Stadtgesellschaft, die schon seit der Planung des Großprojekts Tiefbahnhof anhält?

Das ist sicherlich auch ein Ringen um die Deutungshoheit, um das Bild vom Widerstand, von Verkehrspolitik, von der Aufrichtigkeit von Befürwortern und Gegnern. Lenk packt das alles zusammen in eine klassische, traditionelle, fast fotorealistische Form, die er gleichzeitig satirisch verfremdet. Das verunsichert die Leute. Und ich wiederhole mich: Das auszuhalten erfordert Mut, Humor und die Bereitschaft, Ironie zu ertragen. Aber jetzt wird wieder diskutiert, ist das Kunst oder nicht, ist das vulgär oder nicht? In einer Stuttgarter Zeitung lese ich, dass es keine Kunst sei. Aber das sind Nebenkriegsschauplätze: Stuttgart braucht diese Skulptur.

Warum?

Weil wir hier Orte brauchen, an denen sich die Stadtgesellschaft reibt und erhitzt diskutieren kann. Diese Skulptur bietet dazu wunderbaren Anlass. Lenk hat die ganze Debatte um das Pro und Contra Stuttgart 21, um politische Partizipation und Verantwortung ebenso eingefangen wie den Streit der Projektgegner untereinander. Und das ist gut so. Wenn ich mit dem Fahrrad dran vorbeifahre, egal ob morgens oder abends, stehen dort immer Leute und gucken und diskutieren. Die Skulptur zieht die Leute magnetisch an.

Für mich dokumentiert diese "Chronik einer grotesken Entgleisung" Zeitgeschichte und ein Denkmal im positiven Sinne. Die Erinnerung an ein Projekt, das höchst umstritten war und immer noch ist. Fällt Ihnen ein Ort ein, wo es besser stünde als beim Stadtpalais, das sich ja der Stadtgeschichte widmet?

Das sehe ich auch so und meine, dass sie ins Herz der Stadt gehört und zentral stehen sollte. Es macht keinen Sinn, diese Skulptur irgendwo hinzustellen, schon gar nicht an den Bodensee oder die Stuttgarter Peripherie. Der räumliche Bezug zum Bahnhofsturm muss auf jeden Fall gegeben sein. Das Stadtpalais steht für Stadtgeschichte und Bürgerengagement. Dort werden ja auch Exponate zum Widerstand und zum Protest gegen Stuttgart 21 ausgestellt. Es ist also ein öffentlicher Ort, innen wie draußen, ein Ort, an dem Diskurs stattfinden kann und soll. Das Werk braucht einen Kontext. Und den gibt es nicht auf irgendeiner Wendeplatte oder einer Fahrspur-Mittelachse. Für mich wäre der Ort vor dem Stadtpalais ideal, keine Frage.

Nun soll dieser stadtgeschichtliche Stolperstein einer gefälligen Stuttgart-am-Meer-Installation weichen. Warum? Sind in Honig marinierte Steaks wichtiger als gegrillte Juchtenkäfer, wie Lenk spöttisch sagt?

Man könnte den Lenk doch integrieren in das Stuttgart am Meer. Schließlich gab es ja eine Welle der Empörung um S 21, insofern ist das Motiv ja vorhanden und gar nicht so verkehrt.

Das müssen Sie womöglich Herrn Giese sagen, dem Direktor des Stadtpalais, der den Lenk partout weghaben will. "Zu vulgär", behauptet er. Dabei wollte er doch immer Debatten – um Kunst, Geschichte, um Satire.

Es ist immer schwieriger, wenn jemand von außen kommt und den Spiegel vorhält, wie das Peter Lenk in seiner besten Till-Eulenspiegel-Manier tut.

Geht es hier eigentlich um alleinige Deutungshoheit der Kunst zwischen Lenk und Giese oder um eine politische Debatte?

Man kann Freundschaften nicht verordnen, sie müssen entstehen. In dem Fall ist sie wohl nicht entstanden.

Noch vor Weihnachten hat das Stadtpalais einen Bastelbogen gedruckt, mit dessen Hilfe man die verschiedenen Player auf Lenks Skulptur identifizieren kann. Das klang ja fast wie eine Freundschaftsanfrage.

In die Psyche der beiden Männer will ich nicht näher einsteigen. Aber ich bin überzeugt, dass die Stadtgesellschaft diese Skulptur braucht, weil sie ein künstlerisches und politisches Statement der Zeitschichte ist. Und weil sie die Zeitzeugen der Geschichte von 1994 bis 2021 zeigt. Außerdem ist skulpturale Kunst keine vorübergehende Erscheinung. Sie braucht einen festen Standort, an dem sie schön altern kann und eine Patina bekommt. Ich stelle mir vor, dass dann auch der Ministerpräsident einen bemoosten Rücken bekommt, weil er sein Amt vor dem Stadtpalais schon über so viele Jahre ausübt. Und dass die Skulptur immer noch hier steht, wenn der Bahnhof eröffnet wird.

Das will auch eine Initiative aus Linken, SÖS, Piraten und Puls-Fraktionsgemeinschaft. Die starten einen Antrag im Stuttgarter Gemeinderat zum Erhalt der Skulptur. Überraschung: Die Grünen haben sich noch nicht entschieden, die SPD hat sich noch nicht zurückgemeldet. Muss die grüne Bezirksvorsteherin noch Überzeugungsarbeit leisten?

Vielleicht! Ich werbe jedenfalls dafür, dass der Lenk in Stuttgart bleibt. Und würde mich schon freuen, wenn die grüne Gemeinderatsfraktion für den Standort am Stadtpalais über ihren Schatten springen könnte. Ich möchte dem Stadtpalais anbieten, gemeinsam noch einmal darüber nachzudenken, wie man den Lenk in die Installation "Stuttgart am Meer" integrieren kann. Oder dass man ihn dorthin stellt, wo bisher die Werbemaßnahmen für das Stadtpalais stehen, für die Werbung findet man mit dem Stadtplanungsamt und der Denkmalschutzbehörde sicher eine Lösung. Die Skulptur taugt nicht als Klettergerüst irgendwo im Park, sie braucht den Schutz einer Kultureinrichtung wie dem Stadtpalais.

Damit wäre das pfeilgerade ein Fall für den neuen OB. Frank Nopper ist ja nicht nur angetreten, Stuttgart zu versöhnen, er hat auch Kultur zur Chefsache gemacht. Behauptet er.

Humor und Ironie helfen gerade über Krisen hinweg. Und manchmal kommt man auch zusammen, wenn man wieder gemeinsam lacht. Deshalb denke ich, dass gerade dieses Kunstwerk ein gutes Objekt wäre, die Spaltung in der Stadtgesellschaft zu überwinden. Und die Vorstellung, dass sich der Peter Lenk mal mit dem OB Frank Nopper öffentlich unterhält über Kunst und die Welt, das wäre doch ein interessanter Diskurs mit zwei echten Originalen. Und würde womöglich Leute zusammenbringen, die schon lange nicht mehr miteinander geredet haben.


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3 Kommentare verfügbar

  • Steiner
    am 06.05.2021
    Antworten
    Der Künstler Lenk hat die Plastik ein Jahr zu früh gestaltet. Jetzt käme noch ein S-21-unkundiger OB Nopper auf das Denkmal.
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