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Brücke zwischen Welten und Menschen

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Es ist das größte Festival afrikanischer Literatur, die bisher größte Veranstaltung im Literaturhaus Stuttgart überhaupt: das Festival Membrane. Doch was heißt Afrika? Und was Literatur? Das zu hinterfragen, führt zu den zentralen Anliegen des Projekts.

Mit einer "beschämenden Selbstbefragung" fing es an. Vor zwei Jahren stellte der kongolesische Autor Fiston Mwanza Mujila im Rahmen des Festivals "Litté-Rad-Tour" des französischen Kulturinstituts in Stuttgart seinen ersten Roman "Tram 83" im Literaturhaus vor. Im Institut français las die senegalesische Schriftstellerin Ken Bugul. "Das waren literarische Begegnungen, die mir vor Augen geführt haben, dass da eine literarische Energie sich Bahn bricht, über die ich viel zu wenig weiß", sagt Stefanie Stegmann, die seit 2014 das Literaturhaus leitet.

Bei Johanne Mazeau-Schmid, der Kulturbeauftragten des Institut français, und Elke aus dem Moore, damals Leiterin der Kunstabteilung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) und heute der Akademie Schloss Solitude, musste sie nicht viel Überzeugungsarbeit leisten. Stegmann will ihr Haus für Menschen, Literaturen und Denkrichtungen des afrikanischen Kontinents durchlässig machen. Dabei kam ihr aus dem Biologieunterricht die semipermeable Membran in den Sinn. "Ich habe den Begriff noch einmal nachgeschlagen", sagt sie – und fand ihn geeignet: eine Haut, etwas Lebendiges, durchlässig.

Doch was ist afrikanische Literatur? Afrika ist ein Kontinent, nicht ein Land. Der Begriff selbst impliziert eine europäische Perspektive: Africa nannten die Römer das Land südlich des Mittelmeers, von dem sie kaum mehr als die nördliche Küstenregion kannten. Senegal und Simbabwe haben nicht mehr miteinander zu tun als Portugal und Finnland. Allein in Nigeria gibt es mehr als 500 Sprachen, fast zehnmal so viele wie in ganz Europa. Die Sprachen der Literatur sind jedoch zumeist die der ehemaligen Kolonialherren. Allerdings: Durch die Vielsprachigkeit erreichen die AutorInnen heute weltweit ein sehr großes Publikum.

Afrikanische AutorInnen müssen die Welt bereisen

Da Stegmanns eigene Erfahrungen begrenzt waren, wollte sie die Leitung des Festivals in andere Hände legen. Macht abgeben. Für den französischsprachigen Bereich ist nun Felwine Sarr aus dem Senegal zuständig, der durch seinen viel beachteten Essay "Afrotopia" und die mit der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy verfassten Empfehlungen zur Rückerstattung kolonialen Kulturguts weltweit Aufmerksamkeit erregt hat. Vor drei Jahren hat der Wirtschaftsprofessor, Schriftsteller und Musiker zusammen mit dem anderen großen Vordenker des afrikanischen Kontinents, Achille Mbembe aus Kamerun, in Dakar die "Ateliers de la pensée" (Denkwerkstätten) ins Leben gerufen: um neue Perspektiven für Afrika zu entwickeln.

Die englischsprachige Kuratorin des Festivals, Yvonne Adhiambo Owuor, stammt aus Kenia. Ihr zweiter Roman "The Dragonfly Sea" ist kürzlich in der "New York Times" besprochen worden. Die Hauptfigur Ayaana hat kenianische und chinesische Vorfahren, was der Autorin erlaubt, vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen tief in die alten Beziehungen zwischen der afrikanischen Ostküste und Asien einzutauchen. Das Meer als zentrale Metapher des Romans – eine flüssige Grenzenlosigkeit – scheint ideal zum Festivalmotto zu passsen. Über die Protagonistin heißt es: "Sie sah sich als eine Brücke zwischen Welten und Menschen." Owuor hat Festivalerfahrung, sie hat einige Jahre das Filmfestival in Sansibar geleitet. Von Vorteil war auch, dass sie gerade am Wissenschaftskolleg in Berlin zu Gast ist.

Afrikanische AutorInnen müssen die Welt bereisen, um Erfolg zu haben. Die Verlage finden sich zumeist in den westlichen Metropolen. Das Gebiet der englischsprachigen Literatur reicht von Singapur und Australien bis in die USA. Französisch wird auch in der Karibik gesprochen. Die Geschichte der Sklaverei bedingt, dass überall auf dem amerikanischen Kontinent viele Nachfahren von Afrikanern leben. Der Historiker Paul Gilroy hat dafür den Begriff "Black Atlantic" geprägt, von einer Diaspora ist auch oft die Rede. Zugleich wächst die Zahl afrikanischer Migranten aus jüngerer Zeit, auch in Deutschland. Junge Afrodeutsche, also Deutsche mit mindestens einem afrikanischen Elternteil, weisen mit zunehmendem Selbstbewusstsein auf das Problem des Rassismus in der deutschen Gesellschaft hin.

Deren Perspektive mit einzubeziehen, war Elke aus dem Moore ein besonderes Anliegen. Als dritte Kuratorin ist daher Nadja Ofuatey-Alazard mit an Bord, die seit dem vergangenen Jahr in Berlin das Literaturfestival "Afrolution" leitet, das bisher einzige in Deutschland, das sich mit "Membrane" messen kann und auch in diesem Jahr wieder stattfindet. Die Überschneidungen halten sich in Grenzen. Die afrikanische Literatur hat viel zu bieten.

Blinde Flecken in der Gesellschaft

Ofuatey-Alazard ist in Waldkirch geboren. Später zog ihre Familie in die Gegend von Hamburg. Sie sei eigentlich eine "Ultra-Deutsche", sagt sie. Doch ihr Vater stammt aus Ghana. Sie ist immer wieder mal dort gewesen, ein großer Teil der Familie lebt aber auch in den USA. Als Jugendliche ging sie nach Freiburg zurück. Dort fühlt sie sich wohl, ebenso in Norddeutschland, unwillkürlich fällt sie immer in die jeweilige Mundart zurück. Persönlich hat sie eigentlich keine negativen Erfahrungen gemacht, erklärt sie: "Aber als schwarzer Mensch macht man automatisch ungute Erfahrungen mit einem strukturellen Rassismus."

Dies hängt mit der Kolonialgeschichte zusammen. "Wenn es in Gesellschaften blinde Flecken gibt", so Ofuatey-Alazard, "führt dies dazu, dass rassistische Fremdbilder im Unbewussten wuchern." Dieses Thema wird auch im Festival aufgegriffen: Im Projektraum Römerstraße der Solitude-Akademie zeigt die namibische Künstlerin Vitjitua Ndjiharine vergrößerte Karteikarten aus dem früheren Hamburger Völkerkundemuseum. Sie zeigen Fotografien aus dem kolonialen Deutsch-Südwestafrika. Allerdings hat Ndjiharine negative Bezeichnungen zensiert und entwürdigende Darstellungen durch Spiegelfolie ersetzt. Die Kolonialzeit sollte jedoch nicht im Zentrum des Festivals stehen, sagt Ofuatey-Alazard.

Im Zentrum steht die Literatur: Lesungen und Buchvorstellungen von zwölf AutorInnen von Madagaskar bis Mali, von Nigeria bis Deutschland; vier Diskussionsrunden zu Themen wie: der Blick auf Afrika, wechselnde und mehrfache Zugehörigkeiten, virtuelle und digitale Realitäten oder Körper und die Überschreitung von Grenzen; sowie zwei Abendvorträge zu afrikanischer Philosophie und zur Kraft der Imagination. Alle Vorträge und Lesungen werden übersetzt, die englischen simultan. Doch das Festival will, über die Welt der Buchstaben hinaus, auch in die Gesellschaft hineinreichen.

Dabei spielt die Projektmanagerin Joyce Muvunyi eine besondere Rolle, Politologin und Vorstandsmitglied des European Network of People of African Descent. Sie, die Germanistin Annette Bühler-Dietrich, die einige Jahre in Burkina Faso gelehrt hat, und die Solitude-Kunstkoordinatorin Johanna Ziemer, die eigentlich Operndramaturgin ist und einmal an einem Kunstprojekt in Dakar mitgewirkt hat, bezeichnet Stefanie Stegmann als die tragenden Stützen des Festivals. Muvunyi hat ihre Fühler in die Stuttgarter Afrodeutschen-Szene ausgestreckt. Damit nicht nur Literaturhaus-Stammgäste, sondern auch Menschen afrikanischer Herkunft zum Festival kommen.

Ein Fest für die Sinne

Auf eine "performative Eröffnung" am Donnerstagabend folgt das Tanztheater "Planet Kigali" über sechs Zeitreisende aus der Zukunft, die sich in unserer Gegenwart umsehen. Im Literaturhaus ist ein Comic-Briefwechsel zwischen Paula Bulling und dem Kameruner Japhet Miagotar ausgestellt. Schon zum Frühstück gibt es am Freitag und Samstag offene Gesprächsrunden im französischen Kulturinstitut und mittags afrikanische Küche nach Rezepten aus Büchern des Festivals, gekocht vom Böblinger Caterer Dembadu. Am Freitagabend steht eine Performance mit elektronischer Musik des in Berlin lebenden, in Sierra Leone geborenen Künstlers Lamin Fofana auf dem Programm; am Samstag eine Begegnung von Slam-Poeten aus Stuttgart und aller Welt: ein Fest für alle Sinne.

Noch gar nicht im Programmheft steht der Begegnungsraum in der Breitscheidstraße. Der einstöckige Pavillon hinter den Flüchtlingscontainern ist entstanden als Masterarbeit der Architekturstudentinnen Meike Hammer und Time Teiml: als ruhiges Raumangebot für Hausaufgaben, zum Deutsch-Lernen, aber auch als Ort der Begegnung der Geflüchteten mit der Stadtgesellschaft. Für ihren Raum, mit Hilfe vieler KommilitonInnen erbaut, haben Hammer und Teiml 2018 den Hugo-Häring-Nachwuchspreis des Bunds Deutscher Architekten (BDA) erhalten. Nach einer Veranstaltungswoche im April, organisiert von Adelheid Schulz vom Theater Prekariat, soll er nun, kaum 200 Meter vom Literaturhaus entfernt, ein weiterer informeller Dreh- und Angelpunkt des Festivals werden.

Das Festival ist wie alles, was man neu angeht, ein großes Experiment. Doch es wird bereits überregional wahrgenommen. Die "Süddeutsche Zeitung" will umfassend berichten. Stefanie Stegmann hat auch die großen Verlage angeschrieben: Fischer, Kiepenheuer und Witsch, Suhrkamp oder DuMont. Denn afrikanische Literatur interessiert längst nicht mehr nur spezialisierte Verlage wie der Peter Hammer Verlag aus Wuppertal, der afrikanische Autoren seit vielen Jahren im Programm hat: ein Indiz, dass auf dem Kontinent – und in seiner Wahrnehmung – einiges in Bewegung geraten ist.

 

Membrane - African Literatures and Ideas. Vom 23. bis 26. Mai im  Literaturhaus Stuttgart, Breitscheidstr. 4, 70174 Stuttgart


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