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Zu blöd zum Laufen

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Bruno Dumonts Groteske bringt dekadentes Oberschichts-Personal mit brachialer Bösartigkeit in die Bredouille. Wer auch mal den gezielten Direktschlag gegen die da oben schätzt und keine Angst vor Kannibalen hat, muss diesen Film sehen.

Oh mon dieu! Was ist diese Bourgeoisie bloß für ein Trottelhaufen! Diese Familie van Panthegem zum Beispiel, die wieder mal zur Sommerfrische in der Normandie auftaucht und über der weiten Dünenlandschaft thront. Verzückt lächelnd und jederzeit empfängnisbereit für göttliche Hysterie geriert sich Isabelle (Valeria Bruni Tedeschi) als oberste Madame der pompösen Villa. Dieweil führt sich ihr backenbärtiger Mann André (Fabrice Luchini) mit ebenso pathetisch-großen wie ziellos-fahrigen Gesten selber auf, hat dabei hasenhaft den Mund geöffnet und entlässt diesem hochtrabendes Gestammel, das er für Philosophie hält. Dann hat auch noch die exzentrische Aude (Juliette Binoche) ihren Auftritt, trägt eine blasierte Miene als Dauermaske und scheint allzeit herrisch Hof zu halten. Und die Cousins und die Kinder? Grenzdebil auch sie, mit einer Ausnahme, und zu der kommen wir später.

Der Autor und Regisseur Bruno Dumont beschreibt in "Die feine Gesellschaft" die letzten Tage einer aussterbenden Klasse. Seine Geschichte spielt nämlich im Jahr 1910, ist also eine Vorkriegskomödie wie Jean Renoirs Klassiker "Die Spielregel", in dem die Bourgeoisie ebenfalls in ihren lachhaften Ritualen verharrt und die Zeichen aufziehenden Sturms ignoriert. Renoir allerdings hat sein Meisterwerk 1939 gedreht, also in Vorausahnung des Zweiten Weltkriegs. Dumont dagegen, der die Bourgeoisie vor dem ersten Weltenbrand beobachtet, gibt sich in jedem Sinne nachtragend. Was hier auch heißt: So etwas wie Empathie, wie noch bei Renoir zu spüren, geht ihm völlig ab, stattdessen stürzt er sein durch Inzest miteinander verbundenes Oberschichts-Personal mit brachialer Bösartigkeit in die Bredouille.

Wobei "stürzen" wörtlich gemeint ist. Diese von hemmungslos chargierenden Stars in die Karikatur hineinmanövrierte Klasse steckt so fest in ihren Kleidern, Kragen und Korsetts, ist so schwer dekoriert mit Hüten, Fransen und Schmuck, dass ihr die eigenen Körper fremd geworden sind, dass sie auf Schritt und Tritt stolpert und umfällt. Jawohl, diese Bourgeoisie ist buchstäblich zu blöd zum Laufen! So kommt nun eine andere Klasse mit ins Spiel, die in Gestalt armer und zerlumpter Fischer ihr Dasein fristet und im Sommer die Touristen über die seichte Bucht trägt. Da sind dann, weil der Regisseur die da unten mit Laiendarstellern besetzt hat, ganz andere Physiognomien zu sehen: kantig-zerkerbte wie die des alten Rohbrecht (Thierry Lavieville) etwa, oder solche von saftend-pubertärer Pickeligkeit wie die seines "Lümmel" genannten Sohns (Brandon Lavieville).

Putzige Armut

Die Reichen betrachten die Armen mit folkloristischem Blick als putzig-dekorativ, also von oben herab. Die Armen schauen nur scheinbar demütig zu ihnen auf, zeigen in versteckten Momenten aber eine mörderische Verachtung. Und was hat das schwarzgewandete und melonenbehütete Polizisten-Duo in dieser Strandlandschaft zu suchen? Dieser kleine, rothaarige und schnauzbärtige Böswald (Cyril Rigaux) und sein ungeheuer dicker und wie die Van-Pathegem-Sippe von der Schwerkraft heimgesuchter Chef Blading (Didier Després), der immer wieder umfällt und sich dann, als wäre das ganz selbstverständlich, zum Ort der Untersuchung rollt?

Also gut, jetzt muss es raus: An diesem Küstenort verschwinden Touristen! Und der Zuschauer weiß auch bald, was die extrem unfähigen Polizisten vielleicht nie wissen werden: dass diese Touristen im Kochtopf landen. Sozusagen als Beifang. Oder auch, im Doppelsinn: als Fischers Fingerfood. Sehr rot sieht dieser Eintopf aus, den Dumont uns als Splattereinlage serviert. Auch größere Stücke sind drin. "Noch'n Fuß?", lautet die Frage. Danach wird herzhaft Richtung Meer gerülpst.

"Die feine Gesellschaft" ist also eher unfein erzählt, als grobschlächtige Groteske, die sich auf den physischen und rüden Slapstick beruft, dabei aber nicht ausgeklügelte Aktion-Reaktion-Wirkungsketten inszeniert, sondern dem einfachen Schlag per Ruder auf den Kopf vertraut. Dieser makaber-derbe Humor, der sich vom englischen (oder dem als englisch bekannten) sehr unterscheidet, hat in Frankreich eine lange Tradition. In Claude Autant-Larats "Die rote Herberge" von 1951 etwa, in der ein Wirtspaar seine bürgerlichen Gäste morden will, geht es sehr handfest zu, in Robert Hamers vergleichbarer und zwei Jahre später gedrehter englischer Mord- und Gesellschaftskomödie "Adel verpflichtet" dagegen sehr "sophisticated".

Eine grobschlächtige Groteske

Auch Claude Faraldos legendäre Anarcho-Komödie "Themroc" (1973), in der Michel Piccoli sich nicht mehr durch Sprache, sondern durch Laute äußert, dürfte Bruno Dumont inspiriert haben. In seinem Film, der auch lieber Geräusche macht als etwa Musik, ist aus dem Off manchmal ein hungriges Grunzen zu hören.

Der mit ernsten Sozialdramen ("Das Leben Jesus", 1997) bekannt gewordene Regisseur hat sich mit der Komödie allerdings erst spät auseinandergesetzt. "Die feine Gesellschaft" wirkt auch ein wenig so, als habe sie ein Theoretiker ("Der Nährboden des Komischen ist das Tragische!") des Genres inszeniert.

Sein Polizistenpaar versteht Dumont zum Beispiel als Hommage an Laurel und Hardy, tatsächlich erreicht es aber nie die Komplexität des Vorbilds und erinnert eher – zumindest äußerlich – an das Duo Schulz und Schultze aus den "Tim und Struppi"-Comics. Auch Jacques Tatis "Ferien des Monsieur Hulot" (1953) mag mancher Zuschauer, vor allem wegen des Strandurlaubs, in Dumonts Film hineinlesen, obwohl er nie dessen hintergründige Komik anstrebt. Gut mitspielen könnte dagegen der beliebte Gesichtsverzieher Louis de Funes, der sich auch hier, wie schon in seiner Klamotte "Der Gendarm von Saint Tropez" (1964), mit Nudisten auseinandersetzen würde.

Soll man also "Die feine Gesellschaft", trotz aller Einwände, empfehlen? Nun, der Film ist optisch opulent, wird nie langweilig und geht am surrealen Ende sogar in die Luft. Und wer auch mal den Direktschlag gegen die da oben schätzt, der wird sowieso gut bedient. Wer aber nicht unter das Humor-Niveau solcher Bourgeoisie-Spezialisten wie Luis Bunuel oder Claude Chabrol gehen möchte, der sollte zu Hause bleiben.

Es sei denn, er ist an Gender-Fragen interessiert. Bruno Dumont lässt es nämlich noch zu einem klassenüberschreitenden Kuss von Lümmel Rohbrecht und der jungen und attraktiven Billie van Panthegem (Raph) kommen, die gern mal zwischen männlicher und weiblicher Kleidung wechselt. Doch, doch, sie sei schon ein Mädchen, sie probiere da nur was aus, versichert sie dem Fischerjungen. Bis der, als er Billie mal wieder auf die Arme nimmt, plötzlich aufschreit: "Du hast ja Eier!" Ob Lümmel Rohbrecht mit so etwas umgehen kann? Für den Film jedenfalls ist dies dann doch ein Thema zuviel.

 

Info:

"Die feine Gesellschaft" von Bruno Dumont kommt am Donnerstag, 26. Januar in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.

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2 Kommentare verfügbar

  • Marc.
    am 28.01.2017
    Antworten
    @Bolgheri:
    In diesem Film - ja, ich habe ihn schon gesehen! - gibt's eigentlich keinen Neid auf Reiche, eher Unverständnis über deren Lebensweise. Abgesehen davon sind die hier Dargestellten wohl wirklich nicht aus "eigener Kraft und eigenen Ideen" zu ihrem Reichtum gekommen...
    Mir hat diese…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 13 Stunden
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