Mogli rennt! Und hüpft und springt und klettert. Äste, Bäume, Felsen, Lianen: Alles, was die Umgebung zu bieten hat, nutzt dieser kleine Junge mit dem roten Lendenschurz für sein Wettrennen gegen die jungen Wölfe. Mit dieser atemberaubenden Hetzerei, die wie die hochbeschleunigte und in den Wald verlegte Sportart Parcours wirkt, reißt der Regisseur Jon Favreau den Zuschauer hinein in seine neue Version des "Dschungelbuchs". Jetzt zittert das Blattwerk hinter Mogli, mit einem Satz ist ein schwarzer Panther über ihm – und richtet ein paar wohlgesetzte Worte an den Jungen! Aber ja, das wissen wir doch alle, in dieser Geschichte können die Tiere sprechen. Das Verblüffende ist nur: In diesem Film sehen sie trotzdem, vom einzelnen Fellhaar bis zu den artspezifischen Bewegungen, wie echte Tiere aus.
Fast fünfzig Jahre ist es her, dass die Disney-Studios sich des Rudyard-Kipling-Klassikers mit ihrer Zeichentrickversion bemächtigt und unsere Vorstellung vom Dschungelbuch, auch durch zahlreiche Wiederaufführungen, bis heute geprägt haben. So wie all die anderen Märchen, Mythen, Sagen, Kinderbücher und Romane, die sich das Studio seit dem ersten abendfüllenden Animationsfilm "Schneewittchen" (1937) aus aller Welt zusammengesucht, vielleicht auch zusammengeräubert hat, war auch diese Vorlage nur Rohstoff für eine Amerikanisierung, also für eine populäre Aufbereitung. Disney praktiziert ja ein globalisiertes Erzählen, das seine Produkte in fast alle Länder der Erde hinausschickt, ihnen vorher aber das zu spezifisch Historische, Kulturelle oder Regionale abschleift. Für das Ende des 19. Jahrhunderts geschriebene "Dschungelbuch" des Briten Kipling bedeutete dies: Die dunkleren und harscheren Töne wurden übertüncht, die manchmal ambivalenten Tiercharaktere entlang einer klaren Freund-oder-Feind-Trennlinie aufgeteilt.
Nun also noch einmal das Dschungelbuch, und wieder von den Disney-Studios. Aber das, was 1967 noch als bunter, lichter und von Songs durchspülter Themenpark entworfen wurde – ein für Kinder geschaffenes Musical, in dem das Abenteuer sozusagen eingezäunt ist –, das ist jetzt zu einer großen, oft dunklen und nie ganz zu durchmessenden Welt herangewachsen. Diese faszinierenden und spektakulären computergenerierten Landschaften, von der Savanne bis zum Regenwald, wuchern zudem in 3-D-Optik quasi in den Kinosaal hinein, durchbrechen also jene Sicherheitszone, die für kleine Zuschauer wohl noch nötig wäre. Fast alles in diesem Film ist am Computer entstanden, nur Neel Sethi als bei den Wölfen aufgewachsener Mogli ist noch aus Fleisch und Blut. Und doch wirken die Räume und ihre Bewohner – ein Triumph der Tricktechnik – nicht nur echt, sondern wie überschärfte, also hyperreale Bilder. Der mächtige Tiger Schir Khan zum Beispiel, der im Menschenkind Mogli eine Gefahr für den Dschungel wittert, hat kaum mehr etwas von seinem durch abstrahierende und karikierende Zeichnungen entschärften Vorgänger. Er sieht nun, auch und gerade als Geschöpf aus Bits and Bytes, so physisch präsent aus, dass sich sogar älteren Zuschauern die Nackenhaare sträuben.
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