KONTEXT:Wochenzeitung
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Geschäftszweck: globaler Betrug

Geschäftszweck: globaler Betrug
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Was ist der Einbruch in eine Bank gegenüber der Gründung einer Bank? Im Lichte der Panama Papers ist diese Frage von Bertolt Brecht überholt. Heute ist es viel einfacher, eine Briefkastenfirma zu gründen. Unser Autor erklärt, warum das so ist.

Eine Briefkastenfirma ist eine juristische Person mit dem Segen irgendeines Piratenstaats. Die Scheinklitsche darf so ziemlich alles, was eine natürliche Person auch machen darf, nur (noch) nicht wählen. Und mit einem solchen Tarnunternehmen lassen sich alle denkbaren kriminellen Schweinereien anstellen. Und wie reagiert unsere Politik? Die Verantwortlichen von Berlin bis Stuttgart sind vom Ausmaß der Aufdeckungen völlig überrascht, sehen "Handlungsbedarf" (Politiksprech), um Steuerflucht und Terrorgefahr zu bekämpfen – und tauchen schnell wieder ab. Wirtschaftskriminalität war noch nie ein beliebtes Thema unter Politikern.

Immerhin, im Stadtparlament von Stuttgart nimmt sich eine kleine Truppe ein Herz und klopft bei der Obrigkeit an. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus fragt nach "Verstrickungen der LBBW in Panamageschäfte". Die Landesbank Baden-Württemberg solle den Gemeinderat darüber aufklären, inwieweit das Institut "an Finanzgeschäften mit Briefkastenfirmen beteiligt war und ist, die im Rahmen der Enthüllungen (...) bekannt geworden waren." Die Opposition vermutet Beihilfe der Bank zu Steuerhinterziehung zugunsten "vieler Millionäre und Milliardäre". Fraktionschef Hannes Rockenbauch glaubt, dass es bei der LBBW offenbar eine Zeit gab, "bei der die Bank bei allen finanztechnischen Schweinereien dabei war".

Wonach fragen eigentlich Fritz Kuhn und Nils Schmid?

Und wie hinterfragen die Aufseher dieser staatsnahen Bank die Nähe zu Briefkastenfirmen? Höchste Kontrolleure der LBBW sind die SPD-Genossen Nils Schmid und Claus Schmiedel, die Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Stuttgart/Grüne) und Wolfgang Dietz (Weil am Rhein/CDU) sowie Kretschmanns Chef der Staatskanzlei, Klaus-Peter Murawski (Ex-FDP/Grüne). Keine Hand hebt sich, um wirklich kritisch nachzuhaken. Freilich, mit ihrem Nichtstun sind sie in bester Gesellschaft. Denn seit gut drei Jahrzehnten tabuisieren und/oder verschlafen in- und ausländische Politiker, dass sich Tarnfirmen von Schwindlern ohne jedes Rechtsbewusstsein krebsartig ausbreiten. Es sind weltweite Netze aus Trusts und Stiftungen, gedeckt von Stroh- und Hintermännern. Ihr Abwiegeln macht sie zu Komplizen organisierter Kriminalität mit heute riesigen Dimensionen.

In Wirklichkeit geht es oft um systematisch angelegtes Verbrechen nach Mafia-Art. Ein Geflecht von Gespenster- und Tarnfirmen schließt alle nur denkbaren Bereiche der Kriminalität ein. Denn dank falsch verstandener (Neo-)Liberalität sind der Fantasie der Gauner keine Grenzen gesetzt: Anlage- und Kreditbetrug, Korruption und Erpressung in jeder Form, Raub von Staatsvermögen (Rohstoffe, Ländereien, Immobilien, Öl-, Gas-, Bahn- und Telekommunikationsbetriebe usw.), Kinder-, Frauen- und Sklavenhandel, Prostitution, Geldwäsche (Blutgeld), Waffen- und Drogenschmuggel, Uranhandel, Konkursbetrug, Diebstahl von Miterben und Mitgesellschaftern. Mit frei erfundenen Kosten lässt sich die eigene Firma kreativ ausplündern. So muss die Stammfirma zum Beispiel enorme Zinsen für ein Millionendarlehen, Immobilienzinsen, Gebühren für Marken-, Patent- und Lizenzrechte oder hohe Beratungshonorare an den Briefkasten bezahlen. Die Vermögen wurden zuvor billigst an das Tarnunternehmen "verkauft".

Beliebt sind allerlei Fälschungen, um an Wertpapiere, Erbstücke und Titel zu kommen. Und das Internet lädt geradezu ins Netz der irrealen Geisterfirmen ein. Steuervermeidung ist bei dieser bunten Vielfalt an Betrügereien nur ein willkommener Beifang. Kriminelle Karrieristen sind Erbschleicher und Zuhälter ebenso wie Drogenbarone aus Kolumbien und Mexiko oder Handlanger terroristischer Regime (Syrien, Nordkorea, Iran). Selbstverständlich nutzen auch Anlage-, Versicherungs- und Kreditbetrüger ihre risikolose Chance im heimlichen Netz der Briefkästen. Und so manch braver Bürger kann der stillen Versuchung zum schnellen Geld nicht widerstehen. Die Täter – Geschäftsleute, Freiberufler, Banker, Studenten, Hausfrauen – sind ganz in unserer Nähe, Politiker schauen ja weg.

Die Krämertochter Thatcher öffnete Tür und Tor

Die kriminelle Welle mit Tarnfirmen rollt bereits seit Mitte der Achtzigerjahre. Damals öffneten der amerikanische Schauspieler und US-Präsident Ronald Reagan und die Krämerstochter und britische Premierministerin Margarete Thatcher dem Freibeutertum Tür und Tor. Besonders das stark "liberalisierte" Gesellschaftsrecht im Vereinigten Königreich ermöglichte die Gründung anonymer Unternehmen mit Allerweltsnamen. Und das alles gegen eine Bareinlage von nur zwei britischen Pfund. Nun konnte sich jeder ein individuelles Firmenkleid zum Wegwerfpreis zulegen, die "Private Limited Liability Company". Am radikalsten war – und ist – das Angebot zur Gründung von Briefkastenfirmen auf den britischen Kanalinseln (Jersey, Guernsey) und noch verlockender auf der England vorgelagerten Isle of Man.

Das gerade mal 588 Quadratkilometer kleine Eiland mit der Hauptstadt Douglas lädt die ganze Welt seit 30 Jahren dazu ein, für zwei Pfund eine Gesellschaft zu gründen. Das geht ganz flott: Einer der vielen Anwälte vor Ort kramt aus seiner Schublade eine Vorratsgesellschaft hervor – sie darf gerne uralt sein, das wirkt seriös –, erfindet einen Fantasienamen, setzt sich oder einen x-beliebigen Menschen als Gründer und Eigner ein, lässt sich vom wahren Eigentümer nur einmal beim Kanzleigespräch den Ausweis zeigen und kassiert dann die Bareinlage nebst Anwaltsspesen. Erledigt!

Anonymität ist alles, denn auf der Isle of Man gibt es keine Meldepflicht. Der wirkliche Betreiber der risikofreien "Private Limited Liability" sowie seine Motive bleiben für immer im Dunkeln. Nur der Gründungsadvokat taucht im Handelsregister als Strohmann auf. Bilanzauflagen Fehlanzeige. Alles ist völlig vage, ohne Bezug auf Branche, Region oder Eigner. Der "Geschäftszweck: Betrug" nimmt ungehindert seinen Lauf. "Ohne erkennbaren Geschäftszweck schießen da plötzlich Firmen mit Allerweltsbezeichnungen aus dem Inselboden, die sich vielsagend dem 'Trading' (Handel), dem 'Consulting' (Beratung) oder noch allgemeiner den 'Management Systems' verschreiben." Dieses Erstaunen eines Branchenkenners notiert <link https: archiv.wiwo.de external-link-new-window>ein Artikel in der "Wirtschaftswoche" – im Herbst 1988.

Schon damals rundete das Standardmodell ein vielfältiger Zusatzservice ab: Frühstücksdirektoren, "offizielle" Geschäftssitzungen, Telefonauskünfte, Postfach, Empfangsdame und Sekretärin. Heute wird das Angebot durch Internetauftritte und E-Mails perfektioniert. Denn ganz wichtig für die Seriosität ist den Kriminellen in Nadelstreifen die Vortäuschung eines real existierenden Unternehmens, Steuerhinterziehung ist Nebensache. Den Fiskus lassen sie ohnehin links liegen. Den Glücksrittern ist die "Fluchtinsel Man für zwei Pfund mehr wert als Luxemburg und Liechtenstein" ("Wirtschaftswoche").

Gewaltig an Fahrt gewannen die Betrugskästen auf der Isle of Man mit dem schrankenlos liberalisierten EG-Binnenmarkt (heute: EU) und der Öffnung der Märkte im ehemaligen Ostblock ab 1992. Nun wurde der Finanz-, Waren- und Dienstleistungsverkehr grenzenlos. Einziges Pech für die dreisten Piraten war, dass immer mehr Länder ihr Erfolgsrezept nachahmten: die Kanalinseln Jersey, Guernsey, Gibraltar, die Cayman-Inseln, die Jungferninsel, Malta, Zypern, die Bahamas und Bermudas, Hongkong, Belize, Fidschi, Samoa, die Seychellen. Britisches Business ist eine unverhohlene Einladung an alle Freibeuter.

Schweiz und Liechtenstein wirken wie brave Spitzbuben

Etwas bescheidener treten die Niederlande mit ihrer winzigen Antilleninsel (Curaçao) und der Aushängeadresse Amsterdam auf. Frankreich ist vor allem mit seinen Karibikinseln und La Réunion dabei. Und die USA leisten sich mit dem kleinen Neuenglandstaat Delaware ein sogenanntes Steuerparadies. Hinzu kommen Kleinstaaten wie Liberia, das Spielhöllenparadies Macao, Tonga, Vanatu (beide Ozeanien), Dubai oder das mächtig in die Schlagzeilen geratene Panama. Jüngste Hits sind Neuseelands Miniinseln Cook und Niue. Derzeit unterlaufen etwa fünf Dutzend Länder Recht und Gesetz, Sozialstandards und Ethik anderer Nationen. Oldtimer wie die Schweiz, Liechtenstein oder Luxemburg wirken angesichts dieser erschreckenden Entwicklung wie brav gewordene Spitzbuben.

Das Geflecht von Briefkästen ist möglichst kompliziert und global angelegt, damit Staatsanwälte, Richter und Interpol bei – seltenen – Ermittlungen rasch die Waffen strecken. Berater und stille Mitverdiener bei der Bildung dieser Netze leben unter uns: Banken, Anwälte, Notare, Steuer- und Wirtschaftsberater – der brave Bürger nebenan. Bei den betrügerischen Konstrukten sind so viele juristische Barrieren – Wirtschafts- und Strafrecht, Zoll – eingebaut und zu überwinden, dass viele Fahnder den Kampf gegen die Scheinklitschen erst gar nicht ernsthaft aufnehmen. Bis heute sind Polizei und Staatsanwaltschaften in ihren nationalen Grenzen gefangen.

Dann noch die Reisespesen! Da schnappen die meisten Staatsanwälte lieber Bankräuber oder Ladendiebe, und der persönlichen Leistungsstatistik ist Genüge getan. Ginge es nicht um Schwerkriminalität im globalen Stil, sondern "nur" um Steuerbetrug, die Fälle mit den Schwindelkästen könnten niedriger gehängt werden. Doch die Verbrechen hinter den Fassaden sind einfach zu groß.

Zum Beispiel Umweltbetrug mit Sondermüll aus Chemiefabriken oder Atomkraftwerken: Um zu verschleiern, dass der giftige Dreck einfach in einen Fluss oder See geworfen und groß abkassiert wird, ist der anonyme Briefkasten auf Isle of Man der ideale Deckmantel. Um die Geldströme der Gauner hin und her zu bewegen und Vermögen zu bunkern, bieten sich Tochterbriefkästen in Panama oder in der Südsee (Cook, Vanatu) an. Und als Aushängeschilder dienen weitere Briefkästen in London oder Zürich.

Ganz einfach: Der Unternehmer haftet als natürliche Person

Gelegenheit macht bekanntlich Diebe. Das Angebot, mit Briefkastenfirmen kriminelle Luftimperien zu errichten, ist eine unverhohlene Einladung ans organisierte Verbrechen. Es stärkt die Freiheit der Kriminellen auf Kosten aller. Die Scheinheiligkeit der Befürworter von Tarnadressen, die sagen, dass es unter den schwarzen Schafen auch weiße geben könnte, ist an Naivität kaum zu überbieten. Wo bleiben der Beweis für diese Behauptung, wo die systematische Kontrolle? Ersteres widerspricht der Logik von Briefkastenfirmen – es soll ja der Zweck verdeckt bleiben –, und das Zweite ist schlicht unmöglich. Schurkenstaaten lassen sich von Ausländern nichts vorschreiben.

Dennoch würde es ein wirksames Mittel gegen Scheinklitschen geben: Die unternehmerische Haftung nebst Steuerpflicht werden komplett auf natürliche Personen und ihren Wohnsitz bezogen und nicht mehr über den Umweg der juristischen Person (Briefkastenfirmen). Dann haften Eigentümer und Manager nach deutschem Recht persönlich für ihr Tun und ihre Steuern direkt. (Ver)Schiebungen hinter künstliche Fassaden werden nicht mehr toleriert. Und ein Register für Unternehmen und Gewerbe – hallo Politiker! aufwachen! – existiert ja seit mehr als hundert Jahren: das Handelsregister. Doch politischer Pfusch und wirre Rechtsprechung vernebeln die Transparenz dieses Verzeichnisses völlig. Inzwischen ist es üblich, dass statt der natürlichen Personen Anwaltskanzleien oder Notare als Deckadressen genannt werden dürfen. Das verstellt komplett den Blick auf die Besitz- und Haftungsverhältnisse. Auch das gesetzlich vorgeschriebene, haftende Risikokapital einer europäischen GmbH oder Aktiengesellschaft (SE) ist heute kaum höher als das einer Dunkelmannfirma auf der Isle of Man.

Diese Umkehr der Verhältnisse von ehrenwerter Offenlegung zu dubioser Verschleierung ist den Regierenden offenbar entgangen. Kein Wunder, dass sie bei so viel Liberalität lasch auf die Panama-Enthüllungen reagieren. Politiker erwecken dieser Tage den Anschein, als sei das heikle Thema eher als "Kavaliersdelikt" Steuerbetrug zu betrachten und die Tagesordnung rasch wieder Pflicht. Und wie immer bei Wirtschafts- und Finanzdingen kommt das Totschlagargument: Ihnen seien ja durch internationale Verträge und Abmachungen die Hände gebunden. Das war schon vor 30 Jahren so, und wird sich auch nicht ändern, solange das Wirtschaftsrecht und die Strafgesetze nicht harmonisiert sind. Darüber werden weitere Jahrzehnte vergehen. Nur die Freibeuter warten nicht so lange.

 

Über Briefkastenfirmen hat Ulrich Viehöver schon am 9. 9. 1988 in der "Wirtschaftswoche" unter dem Titel <link https: archiv.wiwo.de external-link-new-window>"Von kriminellen Karrieren" geschrieben.


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4 Kommentare verfügbar

  • Blender
    am 15.04.2016
    Antworten
    Die taz schreibt es heute (15.4.16): Panama ist nur die Spitze des Eisbergs. Unsere (noch) "Soziale" Marktwirtschaft wurde und wird von den antidemokratischen Finanzeliten (z.B. Adlige und Industrielle) ausgebeutet, und das dadurch gewonnene Geld in undemokratische Staaten ausgelagert, bis die…
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