Eigentlich ist es eine Binsenwahrheit, doch manche Mächtige in Politik und Wirtschaft scheinen sie immer noch höchst ungern oder gar nicht wahrnehmen zu wollen: Eine demokratische Gesellschaft lebt von Menschen, die reagieren, den Mund aufmachen und sich nicht wegducken, wenn sie auf eklatante Missstände stoßen – in ihren Betrieben, in Behörden oder in Parteien. Die Rede ist von Whistleblowern, sie kämpfen allzu oft gegen das böse Etikett des Nestbeschmutzers oder, noch schlimmer, des Denunzianten.
Wie konnte er nur? Wem wollte er schaden? Der tat das noch nur, um sich für seinen Rausschmiss zu rächen! Noch heute winkt so mancher hundertprozentige Daimlerianer ("I schaff beim Daimler") aus der mittleren bis oberen Etage verächtlich ab, wenn der Name David Bazetta fällt. Dieser Mann non grata löste 2004 den mutmaßlich größten Skandal aus, der den Stuttgarter Automobilkonzern in den vergangenen Jahren erschüttert hat.
Bazetta war Buchhalter bei Chrysler, dem ehemaligen amerikanischen "Ehe"-Partner oder besser, weil realistischer: Anhängsel von Daimler. Vielleicht hätte man ihn damals nicht feuern sollen, vielleicht hätte er sonst den Mund gehalten. Doch Bazetta hielt nicht den Mund, sondern wandte sich an die amerikanische Börsenaufsicht SEC und erzählte dort eine Menge. Von weltweiter Korruption, Schwarzgeld, Steuerhinterziehung, von geheimen Konten, die der Konzern in der Ära Schrempp jahrelang in zahlreichen Ländern unterhielt und dazu nutzte, ausländische Regierungsbeamte zu bestechen, um an dicke Aufträge heranzukommen.
"Compliance" heißt das Zauberwort
Fast sechs Jahre lang ermittelten daraufhin die SEC und das US-Justizministerium und legten das korrupte System des Vorzeigekonzerns in weiten Teilen frei. Am Ende stand eine Strafe von 185 Millionen Dollar für Daimler. Und, so wird der heutige Konzernchef Dieter Zetsche nicht müde zu betonen, eine "neue Unternehmenskultur". Man hat Konsequenzen aus der Korruptionsaffäre gezogen. Compliance heißt jetzt das Zauberwort. Mitarbeiter dürfen jetzt nicht nur, sie sollen intern auf Missstände hinweisen. Wenn nötig, als Whistleblower – wie David Bazetta einer war.
Warum laufen Bürger, die auf reale, drängende Probleme aufmerksam machen, so häufig gegen eine Wand, warum werden sie allzu oft als renitente Rebellen, wahlweise als heillose Spinner abgetan, diffamiert oder, wenn den verantwortlichen Stellen an Mauerstrategie gar nichts mehr einfällt, sogar kriminalisiert? Diese Frage stellt sich Andreas Frank schon lange. Seit mindestens 15 Jahren weist der ehemalige Chef einer Baden-Badener Privatbank und heutige Unternehmensberater die Politik auf allen Ebenen darauf hin, dass in Deutschland Geldwäsche faktisch so gut wie nicht bekämpft wird. Ein innenpolitisch brisantes Problem. Denn Geldwäsche ist insbesondere das dunkle Terrain der organisierten Kriminalität – und der Terrorfinanzierung.
Frank kann hieb- und stichfest nachweisen, dass in der Bundesrepublik die Richtlinien der Europäischen Union zur Geldwäschebekämpfung seit mehr als zehn Jahren nicht umgesetzt werden. Spielbanken sind, obwohl sie scharf kontrollieren müssten, nach wie vor ein Dorado für Geldwäscher. Immobilienmakler und Versicherungsagenten wurden bis vor wenigen Monaten vom Staat gar nicht zur Kontrolle angewiesen. Hauptsächlich eine Sache der Bundesländer. Doch als Günther Oettinger baden-württembergischer Ministerpräsident war, reagierte der auf Franks Vorstöße in dieser Sache stereotyp. Nämlich gar nicht.
Frank weiß längst, was all die Politiker in Berlin oder Stuttgart, an die er sich gewandt hat, über ihn sagen: ein Spinner, der keine Ruhe gibt. Doch er behielt, wenn's auch immer schwerer wurde, seine Courage. Mit Erfolg. Ihm ist etwas gelungen, was wohl noch kein anderer Staatsbürger geschafft hat: Auf seine Initiative hin leitete die EU bereits mehrere Beschwerdeverfahren gegen Deutschland ein. Mit erheblichen Konsequenzen: jetzt muss der Staat, endlich, die EU-Richtlinien zur Geldwäschebekämpfung umsetzen. Die Stuttgarter Landesregierung ging es, welch Zufall, just vor Oettingers Wechsel als EU-Kommissar nach Brüssel an. Und der "Spinner" Andreas Frank? Wird heute vom Deutschen Bundestag eingeladen – als Sachverständiger für Geldwäschefragen.
Hamburger Medienwissenschaftler fordert Volker Kauder heraus
Wahrscheinlich ein Ausnahmefall, leider. Denn Courage und die Haltung des Aufrechten mögen in solch politisch pikanten Zusammenhängen manche Mächtige gar nicht. Obwohl sie in Fensterreden an das Volk diese demokratischen Tugenden gerne beschwören. Ist auch der schwäbische Chef der CDU-Bundestagsfraktion ein solcher Doppelmoralist? Zumindest wird Volker Kauder jetzt in diesem Zusammenhang hart zur Rede gestellt. Professor Johannes Ludwig, Chef der Fakultät Design, Medien und Informationen an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, fordert den CDU-Spitzenpolitiker in einem offenen Brief vom 19. Mai zu einer Diskussion heraus. Anlass ist eine Äußerung, die Kauder bei einer Bundestagsdebatte am 19. Januar gemacht hatte. Als es um Whistleblower und den Informantenschutz in Betrieben ging, hatte Kauder in einem Zwischenruf von "Blockwart-Mentalität" gesprochen.
"Eine Äußerung, die wir nicht verstehen können", schreibt Ludwig in dem offenen Brief. "Die wir aber für so bedeutend halten, dass wir Sie öffentlich fragen wollen." Die erste Frage: "Ist Pater Klaus Mertes SJ vom Canisius-Kolleg in Berlin für Sie ein Blockwart?" Der Schulleiter habe das interne Schweigen gebrochen und sofort gehandelt, als ihm Opfer von sexuellen Übergriffen an der Jesuiteneinrichtung berichtet hätten. "Menschen, die Alarm schlagen, weil sie auf ungelöste, aber drängende Probleme und/oder Missstände aufmerksam machen oder auf Gefahren hinweisen, nennt man – weltweit – Whistleblower." Er, Kauder, habe solche Whistleblower mit "Blockwarten" der NS-Zeit verglichen.
Geschönte Statistiken des Arbeitsamts
"Wieso", so fragt der Wissenschaftler weiter, "ist der ehemalige Revisor des Landesarbeitsamtes von Rheinland-Pfalz-Saarland, Erwin Bixler, für Sie ein Blockwart?" Dann erläutert Ludwig den Fall, der öffentlich bekannt wurde: "Er hatte in den 90er-Jahren intern bemängelt, dass die offiziellen Arbeitsamtsstatistiken geschönt und manipuliert sind – ohne Erfolg. Erst als der Bundesrechnungshof Anfang 2002 dem damaligen Bundesarbeitsminister Riester einen ersten Vorentwurf seiner eigenen Untersuchungen vorgelegt hatte, wonach 71 Prozent (in Worten: einundsiebzig Prozent) der offiziellen Stellenvermittlungsstatistiken manipuliert sind, fasste Herr Bixler erneut Mut, dieses Mal unter völliger Umgehung des Dienstweges an seinen obersten Dienstherrn, Minister Riester, zu schreiben und ihn darauf aufmerksam zu machen, wie einfach es ist (bzw. war), die Statistiken mit 'fiktiven Stellenangeboten' aufzuhübschen. Herr Bixler wurde deswegen sogar nach Berlin zum Vortrag ins Ministerium gebeten. Wie Sie wissen, hatte die Bundesregierung damals gehandelt: Es gab diverse Arbeitsmarkt(förderungs)reformen. Wieso ist für Sie Herr Bixler ein Blockwart? Weil er danach in seiner Behörde gemobbt wurde?"
Es gebe noch viele solcher Fälle. Unter anderem erinnert der Hochschulprofessor an den Lkw-Fahrer Miroslaw Strecker, "der einen der größten Gammelfleischskandale ins Rollen gebracht hatte und von Ihrem Kollegen Horst Seehofer mit einer Medaille ausgezeichnet wurde, jetzt aber arbeitslos ist". Ludwig verweist auf eine jetzt gestartete Ausstellung im Berliner Tacheles-Gebäude, mit der das Whistleblower-Netzwerk in Zusammenarbeit mit dem Dokuzentrum "<link http: www.anstageslicht.de external-link-new-window>ansTageslicht.de" 20 solcher Beispiele einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen wolle.
Schließlich lädt Ludwig den CDU-Spitzenpolitiker zu einer Diskussionsveranstaltung mit Whistleblowern und Studenten seiner Hochschule ein, die zu Beginn des Wintersemesters stattfinden soll. "Nennen Sie uns mögliche Termine – wir werden es einrichten. Weil die Herstellung von Öffentlichkeit und Transparenz das Berufsziel meiner Studenten und das Lebenselixier unserer Demokratie ist. Und weil die, die Transparenz schaffen helfen, von unserer Demokratie dringender denn je benötigt werden."
Bis Dienstag hatte Johannes Ludwig noch keine Antwort von Kauder erhalten. Der offene Brief sei angekommen und "in Bearbeitung", hieß es im Büro des Fraktionschefs. Wenn nach einer Woche keine Antwort vorliege, "werden wir nachfassen", sagt der Hamburger Wissenschaftler.
4 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 22.09.2018Thomas Rietzschel: "Die Stunde der Dilettanten. Wie wir uns verschaukeln lassen" [b][1][/b]
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