Dabei waren es auch die Hedgefonds, die mit ihrer Gier den Finanzcrash 2007/8 mit verursacht hatten. Wurden diese Profitjäger jemals zur Rechenschaft gezogen? Nein. Stete Verlierer sind dagegen die Kleinanleger, die zwangsweise Gegenspieler der Zocker sein müssen. Im Gegensatz zu den hemdsärmeligen Geldmanagern bekommen sie keinen direkten Zugang zu den Börsen. Sie bleiben als Zuschauer des spekulativen Treibens auf verlorenem Posten. Und was sie als Börsenhandel auf dem "Börsenparkett" zu sehen bekommen, ist nur eine inszenierte (TV-)Kulisse. Denn der Börsenhandel läuft fast vollständig von Computer zu Computer ab. Doch wo keine Menschen mehr persönlich präsent sind, sich kennen und handeln, liegen die Motive der Käufer und Verkäufer bald im Dunkeln.
Die Verliererposition trifft wahre Investoren umso mehr, da weder Banken noch Medien (geschweige denn Politiker) das Anlegervolk ehrlich informieren und Hintergründe aufdecken. Stattdessen werden sie täglich mit schwatzhaften Kommentaren im Fernsehen, Hörfunk und in Zeitungen geblendet über vermeintliche Gründe des Aufstiegs oder Falls der Börsenkurse. Alles meistens Quatsch! Da wird die Kursentwicklung wohlfeil rational begründet, obwohl die Ursachen fast immer woanders liegen: in der Gier und Mentalität der Zocker.
Die Börsen verkommen zu entfesselten Zockerbuden
Was wirklich in der echten Wirtschafts- und Geschäftswelt passiert, ist für Spieler bestenfalls ein Anhaltspunkt für die Frage: Was denken meine Mit- und Gegenzocker über diverse Ereignisse und wie wirkt sich ihre Haltung auf ihr spekulatives Handeln aus? "Wenn du denkst, dass ich denke, was du denkst", so das Motto von Pokerface. Denn bei diesem Spiel siegt nur, wer als Spekulant vor allen anderen im richtigen Moment am schnellsten ein- und aussteigt. Beim Rennen um den höchsten Profit ist jeder des anderen Feind. Dafür wird getrickst und gelogen, werden schamlos Märchen erzählt. Daher existiert oft kein kausaler Zusammenhang zwischen einem Ereignis oder einer Mitteilung und der Kursentwicklung, wie es dem Staatsanwalt idealtypisch vorschwebt.
Ein typisches Beispiel für diese Diskrepanz ist die Spekulation auf ein Wahlergebnis hin. Siegt bei der Wahl eine konservative Partei, ist die Überraschung an der Montagsbörse groß: Anstatt zu steigen, sinken die Kurse durch die Bank. Kommentatoren deuten den Widerspruch als "Enttäuschung der Märkte". Völlig daneben. Die Gewinner unter den Spekulanten stiegen aus der Spekulationsrunde rechtzeitig aus und erzielten so ihren optimalen Profit.
Ähnlich widersprüchliche Kursverläufe sind etwa bei Bekanntgabe höherer Dividenden und Umsätze, von Fusionen oder Großaufträgen zu beobachten – alles gute Nachrichten, die indes längst in der Gerüchteküche (Insiderinformationen) schmorten und von Profiteuren verzockt wurden. Das eigentliche Ereignis lässt Großspekulanten dann kalt. Sie haben das Papier ja vorher profitabel verkauft.
Die Börsen verkommen zu entfesselten Zockerbuden. Kleinaktionäre sollten sich ihr Engagement daher gründlich überlegen. Die Schiebereien mit ständigen Rein-raus-Nummern führen zu immer kürzeren Haltefristen der Papiere. Manche Durchstecher steigen morgens fett ein und nachmittags fix aus. Haben sie gewonnen – auf Kosten der unbeteiligten Kleinanleger –, bezeichnen Beobachter diese Zockerparty dann wohlwollend als "Gewinnmitnahmen". Leider reden auch Journalisten so zynisch. Übrigens trägt die suggestiv positive Sprache der Medien dazu bei, die Machenschaften der Zocker auf dem Rücken der Kleinen zu verschleiern.
Wer kontrolliert das Flüstern auf den Fluren?
Hört endlich auf, Spekulanten als "Investoren" zu adeln und anonyme "Märkte" für die Durchstecherei verantwortlich zu machen. Die privilegierte Stellung der auf schnelle Kursgewinne fixierten Börsianer gleicht eher einer Bande von Schiebern als verantwortungsbewussten Unternehmern. Wahre Investoren sind diejenigen, die langfristig ihr Kapital einer Aktiengesellschaft anvertrauen und das Wohl von Firma wie Mitarbeitern im Auge haben. Die Spekulationen aus der Gerüchteküche spielen bei nachhaltig orientierten Anlegern kaum eine Rolle. Ob und wann eine Pressemeldung der Gesellschaft genau herausgegeben wurde, tangiert ehrliche Investoren wenig.
Seine undifferenzierte Betrachtungsweise wurde dem Stuttgarter Staatsanwalt zum Verhängnis. Und er stolperte noch über eine andere wachsweiche Börsenregel: die komplexe Insiderregel. Also über die Frage, wann und unter welchen Umständen die Aktionäre über ein Ereignis informiert werden müssen. Ist das bereits der Fall, wenn Vorstände zwischen Tür und Angel oder ganz im Privaten darüber plaudern, Aktien von VW kaufen oder die Chefetage umbauen zu wollen? Liegen hier schon Insiderkenntnisse vor? Und wer kontrolliert das Flüstern auf den Fluren? Genau diese Punkte sind in der Praxis schwer zu beantworten, Verstöße kaum zu verfolgen.
Um die weltfremde Insidervorschrift konsequent ahnden zu können, müsste die Börsenaufsicht überall Augen und Ohren haben. Spitzel, die alles denunzieren. Das käme einer Art Börsen-Stasi gleich. Die hätte uns noch gefehlt! Ohne genaue Informationen indes sind gerichtlich verwertbare Beweise für eine vorsätzliche Marktmanipulation wie im Fall Wiedeking-Härter nicht belegbar. Abgesehen davon, dass sie hier wenig plausibel erscheinen.
Diese Einsicht veranlasste den Richter am Stuttgarter Landgericht nach monatelangen Verhandlungen zu dem Schluss: "Hinten nichts, vorne nichts und in der Mitte nichts." Die vermeintlichen Gesetze des Marktes erwiesen sich bei der Wahrheitsfindung einmal mehr als Makulatur. Um den Kurs der Millionen VW-Aktien zu manipulieren, bedarf es gottlob weit mehr als einer Presseinformation.
3 Kommentare verfügbar
Stuagetter
am 24.03.2016