Es ist heiß an diesem Samstag Mitte Juni in Pforzheim. Rund 1.300 Menschen demonstrieren beim dritten Christopher-Street-Day (CSD) in der Stadt für Gleichberechtigung und gegen die Diskriminierung queerer Menschen. Pforzheim ist kein leichtes Pflaster für die LSBTIAQ-Community. Die Stadt gilt als AfD-Hochburg, christliche Fundamentalist:innen verteilen in der Fußgängerzone Flyer, die Homosexualität als Sünde brandmarken. Neu ist, dass es in diesem Jahr eine Gegendemonstration aus dem Neonazi-Spektrum gibt. Angemeldet von einer Gruppe namens "Der Störtrupp".
Die Aktion reiht sich ein in eine Serie von Protesten gegen CSDs, die aus der rechtsradikalen Szene heraus organisiert wurden. Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) stellt fest, dass sich die Aktivität erhöht und zählt für das Jahr 2024 deutschlandweit 27 solcher Demonstrationen, davon zehn im Westen der Republik. Die Neonazi-Szene hat mit Homophobie und Queerfeindlichkeit ein Mobilisierungsthema gefunden, mit dem sie auch in Baden-Württemberg rechtsorientierte Jugendliche anspricht.
"Der Störtrupp" (DST) gehört dabei zu den neuen Neonazi-Gruppierungen, die seit dem Sommer 2024 zahlreich aus dem Boden sprießen und sich zu großen Teilen aus jungen Neonazis – überwiegend männlich im Alter zwischen 14 und 24 Jahren – zusammensetzen (Kontext berichtete in Ausgabe 764 über die rechtsextreme "Nationalrevolutionäre Jugend", die ebenfalls seit Mitte 2024 im Südwesten aktiv ist).
Davor kämpfte das Neonazi-Spektrum lange Zeit mit Nachwuchssorgen. Obwohl sich das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren deutlich nach rechts verschob, zog das seit den 1990er Jahren existierende Kameradschaftsmodell nicht mehr. Junge Rechtsradikale wandten sich eher Organisationen wie der Identitären Bewegung und der sogenannte Alternative für Deutschland mit ihrer Jugendorganisation Junge Alternative zu, die inzwischen in Generation Deutschland umbenannt worden ist.
Versuche, neue Neonazi-Organisationen zu etablieren, erwiesen sich vor 2024 in der Regel als kurzlebig. So stellte der baden-württembergische Ableger der "Neuen Stärke Partei" bereits nach wenigen Monaten seine Aktivitäten ein, nachdem es 2022 zu Razzien gegen fünf Mitglieder im Alter zwischen 19 und 23 Jahren kam. Gegen sie wurde wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat ermittelt. Instagram-Accounts wie "baden_verteidigen", der ab dem Sommer 2023 im Raum Freiburg nach rechten "Freiheitskämpfern" suchte, blieben meist ein weitgehend digitales Phänomen von kurzer Dauer.
Baseballschlägerjahre unter digitalen Vorzeichen
Die in Baden-Württemberg seit dem Sommer 2024 in der Öffentlichkeit aktiven Gruppen fallen nicht nur wegen ihres oft sehr jungen Alters auf, sondern auch mit ihren Outfits: Bomberjacke, Springerstiefel und kurz geschorene Haare finden in Teilen der Szene wieder Abnehmer und erinnern an Neonazi-Skins der 1990er. Eine Zeit, die wegen der massiven rechten Gewalt auf der Straße – zum Teil mit Todesfolge – auch als Baseballschläger-Jahre bezeichnet wird. Heute organisieren sich junge Neonazis über TikTok, Instagram, Telegram und über WhatsApp-Chats. Influencer:innen verbreiten auf diesen Plattformen in kurzen Videos einen Mix aus Modenschau, Nationalduselei und Kraftmeierei.
Zusammenschlüsse wie die "Zollernjugend aktiv" oder die "Pforzheim Revolte" konnten bis dahin schon auf eine kleine Vorgeschichte blicken, in der sie sich aus dem Umfeld der "Identitären Bewegung" heraus in Richtung Neonazismus entwickelten. Andere Gruppen wie "Unitas Germanica" oder "Der Störtrupp Süd" gründeten sich neu.
Beim "Störtrupp" handelt es sich um eine Gruppe, die in mehreren Bundesländern aktiv ist. Nach Recherchen des antifaschistischen Magazins "Lotta" tauchte er erstmals 2024 mit homofeindlichen und rechtsradikalen Provokationen am Rande des Kölner CSDs auf. Wenige Wochen später traten DST-Unterstützer:innen in Baden-Württemberg in Erscheinung. Eine kleine Gruppe Schwarzgekleideter trug nicht nur zwei Reichskriegsflaggen bei sich, sondern auch Aufkleber auf der Kleidung mit der Aufschrift "DST" oder "Störtrupp Deutschland". Anlass war eine Demonstration der "Zollernjugend aktiv" in Zusammenarbeit mit den "Jungen Nationalisten" (JN), der Jugendorganisation der ältesten deutschen Neonazipartei "Die Heimat" (früher: NPD). Ihre Aktion richtete sich gegen den ersten CSD in Albstadt-Ebingen. Zwischen 80 und 120 Personen beteiligten sich an diesem Aufmarsch. Für Neonazi-Verhältnisse in Baden-Württemberg eine lange nicht erreichte Zahl.
"Der Störtrupp" soll nach Angaben der Bundesregierung aus dem Mai 2025 bundesweit über eine niedrige dreistellige Mitgliederzahl verfügen. Via Social Media organisiert und vernetzt sich DST in verschiedenen Sektionen, unter anderem gibt es Gruppen wie "DST girls" und Großregionen wie zum Beispiel "DST Süd". Ein schwarz-weißes Logo, bestehend aus den mit einem Lorbeerkranz umrankten Buchstaben DST, dient als Markenzeichen. "Du bist Patriotisch und bist auf der Suche nach Kameraden?" (Schreibweise im Original) warb man mit einem zunächst niedrigschwellig klingenden Gemeinschaftsangebot.
Gepose, Kampfsport und Gewaltaufrufe
Was früh beim "Störtrupp" auffiel, ist die Gewaltbereitschaft. Eines der ersten Profilbilder des Südablegers auf Instagram zeigte neben dem Logo auch eine vermummte Person, die eine andere niederschlägt. Abseits des Netzes gehören Kampfsporttrainings fast schon zum Standardrepertoire extrem rechter Jugendorganisationen.
Bei Demonstrationen inszeniert sich "Der Störtrupp" immer wieder mit provokativem Gepose und mit Sprechchören. Als im Februar dieses Jahres die verschwörungsideologische Szene in Aschaffenburg für die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel mobilisierte, kontrollierte die Polizei 25 bis 30 aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen angereiste DST-Mitglieder und beschlagnahmte unter anderem bei Demonstrationen verbotene Quarzhandschuhe. Zwei Monate später schlossen die Aschaffenburger Veranstalter den "Störtrupp" gleich vor Beginn der Demonstration aus. DST habe sich geweigert, "optisch neutral und ohne Gruppenabzeichen" mitzulaufen, beklagte ein Organisator. Die "diplomatische Hand sei mit dem Vorschlaghammer zertrümmert" worden. Daraufhin führte DST eine eigene Demonstration "gegen die Antifa und die aktuelle politische Lage" durch. Mit einem Megafon wurden Sprechchöre wie "Arbeitsscheues Pack. Der Störtrupp schafft euch ab" angestimmt.




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