Mercedes begründet das Sylt-Engagement so: "Sylt ist eine begehrte und in Deutschland einzigartige Reisedestination der Premiumkategorie. Für uns ist es deshalb wichtig, auf der Insel eine ,Homebase' zu haben, die Nachhaltigkeit, Luxus, Zeitgeist und das Außergewöhnliche repräsentiert.“ Deswegen gab es dieses Jahr in Kampen auch den "Sommerort", von einer Stuttgarter Agentur konzipiert, an dem Autos gezeigt und ausprobiert werden konnten, auch die elektrische G-Klasse, Preis um die 200.000 Euro. Ein Mercedes-Sprecher weiter: "Der große Zuspruch, die zahlreichen Kundenkontakte und die daraus entstandenen Leads für den Handel bestätigen uns darin, dass unsere Sylter Erlebnisorte eine wertvolle Entscheidung sowohl im Hinblick auf unser Image als auch auf die Kundengewinnung sind."
Sylt leidet ziemlich vielfältig
Spannend dabei: Dieser Sommerort liegt unmittelbar in Strönwai-Nähe, also dort, wo einst und manchmal auch heute noch Verbrenner-Fetischisten ihre hochmotorisierten Schlitten lautstark zur Schau ausfahren. An diesem Ort werden aber seit Jahren praktisch ausschließlich E-Autos vorgestellt und können probegefahren werden. Tesla, als die Marke noch neu und positiv besetzt war, war ganz früh da, BWM im vergangenen Jahr, Mercedes jetzt gerade. Das ist für Sylt in gewisser Weise überlebenswichtig, droht der Insel mit dem Klimawandel doch tatsächlich der Untergang. Gerade sind wieder Studien veröffentlicht worden, wonach sich der Meeresanstieg weiter beschleunigt, ausgelöst durch die höheren Temperaturen, die damit verbundene Ausdehnung des Meerwassers, die Eisschmelze. Die Insel ist an der engsten Stelle gerade einmal um die 600 Meter breit. Da kann schneller als man denkt mal was drüberschwappen. Höchste Zeit also, etwas fürs Klima zu tun, gerade auf Sylt, gerade beim Autoverkehr, erst recht bei Teilen der dortigen Klientel.
Sylt leidet also und das ganz vielfältig. Im vergangenen Jahr haben einzelne ausländerfeindlich grölende Partygäste ziemlich am Image gekratzt. Der betroffene Club Pony hat sich mehrfach davon distanziert und stellt heute schon draußen per Aushang klar: "RASSISMUS HAT HIER KEINEN PLATZ! Weder auf dieser Veranstaltung noch irgendwo sonst. Diskriminierung, Ausgrenzung oder rassistische Sprache werden nicht toleriert." Und: "SOLIDARITÄT STATT STIGMATISIERUNG. Wir stehen ein für eine Veranstaltung, auf der sich alle Menschen sicher, respektiert und willkommen fühlen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion. AWARENESS GEHT UNS ALLE AN!"
Und plötzlich gibt's Plätze im Nobelrestaurant
Die Insel leidet manchmal auch an sich selbst. Ein Gastronom reagiert ziemlich allergisch auf eine einfache Frage nach seiner Partnerschaft mit einer Luxusmarke. "Diese Mär von der Insel der Reichen und Schönen zu bedienen, sind wir leid", schreibt er. Wobei sein Personal manchmal dann doch damit umgehen muss. Szene in der Warteschlange vor der Getränke- und Essensbestellung des Strandrestaurants. Eine Frau ordert freundlich etwas zu trinken und zu essen, darunter ein Putenschnitzel. Die Restaurantmitarbeiterin: "Das Schnitzel ist aber ziemlich scharf gewürzt." Verständnisloser Blick der Bestellenden. Die Mitarbeiterin: "Nur falls Sie das für Ihren Hund bestellen wollen. Da haben sich schon Gäste beschwert, dass ihr Hund das nicht gefressen hat." Auch die Sylter Gastronomen können sich ihre Gäste halt nicht aussuchen. Und ein anderer einheimischer Gastronom, der schon ähnliche Begebenheiten erlebt hat, erzählt ganz offen, dass er auf diese Art Gäste gerne verzichten würde.
Sylt ist im Wandel, nicht nur, weil die Nordsee an der schönen Insel nagt. So viele Wohnungen und Häuser – ja, auch mit Reetdach – wie selten zuvor stehen zum Verkauf, wenn auch noch nicht ganz zu Preisen für Normalverdiener. Sylturlauber müssen nicht mehr schon Monate im Voraus Plätze fürs Abendessen in den beliebten Restaurants und Strandbuden reservieren, im Juli war auch kurzfristig noch was frei. Exorbitant teuer muss auch nicht sein, in der nördlichsten Fischbude in List gibt es Fisch auch für unter 15 Euro. Natürlich kann man sich hier wie andernorts für zig hundert Euro pro Nacht und Nase zur Ruhe betten. Es gibt aber auch kleine schnuckelige Appartements für zwei Personen beispielsweise in List für 49 Euro pro Nacht und Apartment, nicht pro Person, wenn auch nicht in der Hauptsaison. Von da sind es nur zwei Kilometer bis zum Weststrand – und den wildromantisch-kitschigsten Sonnenuntergängen ever. Dafür ist kein Weg zu weit, kein Foto zu viel!
PS: Die Ärzte haben 1988 (!) gedichtet (und auch bei einem Auftritt in Westerland gesungen): "Es ist zwar etwas teurer / Dafür ist man unter sich / Und ich weiß jeder Zweite hier / Ist genauso blöd wie ich". Vielleicht muss der Liedtext ja dann irgendwann auch mal umgedichtet werden.
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