Als Pazifist habe ich mich nie wirklich gesehen. Klar: Gegen Krieg und das Aufeinanderhetzen von Menschen mit Waffen, gegen das Abschlachten und Verstümmeln für die strategischen oder wirtschaftlichen Interessen eines Staates, gegen die Glorifizierung von Uniform und Vaterland, das war und bin ich immer noch – ein Antimilitarist. Aber das bedeutet nicht, dass ich unter gewissen Umständen nicht selbst zur Waffe greifen würde, um mich, meine Ideale und meine Freiheit zu verteidigen. Ein dogmatischer Pazifismus, der nicht zulässt, sich Fremdherrschaft und Gewalt ebenfalls mit Gewalt zu stellen, ähnelt einer Religion: Kannst schon dran glauben, dass es gut ist, und deine Moral darauf aufbauen, in der Realität kommt der Weltfrieden aber nun mal nicht durch Hoffen, Beten und das Predigen von Gewaltverzicht. Das ist zumindest meine Meinung.
Siehe Russland, wo einem imperialistischen Autokraten – so scheint es – tatsächlich ukrainische Gebiete in einem Friedensdeal zugesprochen werden könnten. Hätten in den mit der Ukraine verbündeten Staaten solche "Keine-Waffen-liefern"-Pazifist:innen das Sagen, würde womöglich inzwischen längst die russische Flagge über Kyjiw wehen.
Als Held sehe ich mich nicht
Immer wieder seit dem Angriff im Februar 2022 sehe ich mich wie viele in meinem Alter mit der Frage konfrontiert: Was würdest du als Ukrainer tun? Oder wenn "der Russe" wirklich nicht Halt macht und bald schon in Deutschland stünde?
"Kämpfen" lautet die wahrscheinlichste Antwort in meinem Fall. In diesem dystopischen Gedankenspiel sehe ich mich dabei aber nicht als heroischer Vaterlandsverteidiger, sondern vielmehr als verängstigtes Würstchen, das dann täglich um sein Leben fürchtet, aber dennoch seine demokratischen Freiheiten und Rechte nicht verlieren will. Und wer weiß, vielleicht würde ich doch bei der erstbesten Gelegenheit kapitulieren, statt in einem aussichtslosen Kampf zu sterben. Aber den Versuch, mich zu verteidigen, würde ich wagen. Glaube ich zumindest – Stand heute.
Den Pazifismus lehne ich nicht erst seit dem russischen Überfall etwas belächelnd ab. Würden denn diese Pazifist:innen – viele von ihnen sehen sich als "links" und antifaschistisch – wirklich auch dann nichts tun, wenn der Faschismus wieder blüht? Haben wir denn nichts aus der Geschichte gelernt? Georg Elser hätte mit etwas mehr Glück und besserem Timing Hitler frühzeitig ausgeschaltet. Und verloren haben die Nazis den Krieg nicht durch das pazifistische Bemühen der USA und der Sowjetunion, sondern nach Millionen toter Soldaten und Tausenden auf Deutschland gefallenen Bomben. Eigentlich müsste uns die Geschichte doch lehren, dass wir den Faschismus wenn nötig mit Gewalt stoppen müssen und zwar unbedingt, bevor er an der Macht ist.
Würde ich zum Bund gehen?
In meinen Gedanken schrecke ich also nicht davor zurück, zur Waffe zu greifen. Was also würde ich tun, wäre ich nur wenige Tage jünger, im Jahr 2001 geboren? Dann würde der Brief mit dem Fragebogen zum Wehrdienst demnächst in meiner Post liegen. Würde ich zum Bund gehen? Nein, ganz sicher nicht. Genau dort treffe ich doch auf das Gesocks, das ich im Ernstfall erschießen müsste. Vergangenes Jahr wurden 97 Rechtsextreme beim Bund rausgeworfen, 35 mehr als im Vorjahr. Aber keine falschen Schlüsse ziehen: Das heißt nicht, dass man in der Bundeswehr strikter gegen Neonazis vorgeht, sondern zunächst einmal, dass es dort mehr Neonazis gibt als ohnehin schon.
Eine Kameradschaft mit solchen Leuten einzugehen, von irgendwem mit Befehlen angeblafft zu werden, sein Hemd quadratisch falten zu müssen – lange würde ich das alles nicht aushalten. Und außerdem: Wer mit dem Gewehr in der Hand für die Freiheit kämpfen will, muss dazu nicht Berufssoldat werden. Partisanenverbände leisteten einen großen Beitrag im Kampf gegen die nationalsozialistische Herrschaft im Zweiten Weltkrieg. Dann lieber so.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!