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"Kontext im Merlin" mit Wolfgang Schorlau

Der perfekte Ort zum Morden

"Kontext im Merlin" mit Wolfgang Schorlau: Der perfekte Ort zum Morden
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Die Klimafrage und der Autor locken. Das Kulturzentrum Merlin ist voll, Wolfgang Schorlau hat sein neues Buch "Black Forest" dabei und begründet, warum die Energiewende ohne die Verknüpfung mit der sozialen Frage nicht geht. Und er bringt einen Überraschungsgast mit.  

Anfangs reagierte der Park-Ranger skeptisch auf die Frage, ob er bei einem Mord behilflich sein wolle. Schließlich war er aber ganz begeistert, nachdem ihm der Schriftsteller glaubhaft versichern konnte, dass die Beratung rein literarischen Zwecken diene. Wolfgang Schorlau ist bekannt für akribische Recherchen, die seinen Romanen zugrunde liegen. Er beherrsche die Kunst, "Fakten in Fiktion" zu kleiden, die uns über Skandale aufklären, und ihn, den Kriminalschriftsteller, vor teuren Gerichtsprozessen schützen, sagt Kontext-Gastgeber Josef-Otto Freudenreich zur Begrüßung. 

Im Kulturzentrum Merlin, Stuttgart-West, beschreibt Schorlau, wie er einen ganzen Tag lang mit dem Ranger über den Feldberg spaziert ist, bis sie einen Spot gefunden haben, ideal, da müsste man einen lästigen Gatten nur ganz leicht schubsen – und bevor die Leiche dort unten von einem Menschen gefunden wird, hat sich vielleicht schon ein Fuchs drüber hergemacht, erläutert der Ranger. Oder besser noch: ein Wolf. 

Ein Wolf!, freut sich Schorlau, nein, er triumphiert regelrecht, denn dass das umstrittene Tier im Schwarzwald auf der Pirsch ist, erscheint ihm als perfekte Vorlage, seinen Krimi mit noch mehr Konfliktpotenzial anzureichern. Im Merlin ist der Stuttgarter Bestseller-Autor einer Einladung von Kontext gefolgt, liest vor ausverkauftem Haus aus seinem neuen Roman "Black Forest" und schildert den 120 Anwesenden, warum die Klimakatastrophe mit die sozialen Frage verknüpft werden müsse. 

Den neuesten Fall für Ermittler Georg Dengler erzählt Schorlau erstmals aus der Ich-Perspektive. Dieses Vorgehen wählte er, weil die familiären Beziehungen, insbesondere zwischen Mutter und Sohn, dieses Mal eine zentrale Rolle spielen. Die Erste Person ermögliche dabei mehr emotionale Tiefe, sagt Schorlau, und verdeutlicht es anhand einer Passage aus dem Buch. 

Die Mutter versorgt den Sohn mit Brägele, einem badischen Grundnahrungsmittel, bei dem die Frage nach der korrekten Zubereitung für so erbitterten Streit sorgt wie sonst nur Wolf, Waldorfschule und Windkraft. Dengler macht sich Sorgen um das Gedächtnis und die geistige Gesundheit der Mutter, versucht als erfahrener Ermittler, Vernehmungstaktiken anzuwenden – bis die seltsamen Fragen, die er stellt, zu Runzeln auf der Stirn der alten Frau führen: ob beim Sohn wohl noch alle Sicherungen intakt sind? 

Um die Dialoge und den regionalen Dialekt der Mutter aus dem Schwarzwald so authentisch wie möglich zu gestalten, hat sich Schorlau professionelle Hilfe geholt: Die Regisseurin Sigrid Klausmann-Sittler, geboren in Furtwangen, übersetzt vom Hochdeutschen ins Alemannische. Im Merlin kommt sie als Überraschungsgast mit auf die Bühne, die Gespräche werden zur szenischen Lesung. So glückt ein Spagat zwischen Humor und Ernst. Während das Geschehen am Familientisch die Stimmung auflockert, bleibt das Kernthema des Romans düster: die Machenschaften der fossilen Lobby. 

Erschienen ist "Black Forest" im Oktober 2024, ziemlich genau einen Monat vor dem Aus der Ampel-Koalition in Berlin. Im Buch überlegt sich eine skrupellose PR-Agentur, dass Deutschland eine neue Regierung brauche, um den Interessen der großen Energiekonzerne endlich wieder gerecht zu werden. Dafür wird das gesamte Kampagnenregister gezückt, auch um aus der durch vielfache Krisen verbreiteten Hoffnungslosigkeit Kapital zu schlagen: Wenn alle glauben, alleine nichts mehr erreichen zu können, sich ins Private, auf die eigene Scholle zurückziehen, fällt es leichter, die Rechten als Retter aufzubauen. Denn Kohle und Atom unter einem Trump sind der Lobby um ein Vielfaches lieber als Grüne, die Balkonkraftwerke predigen.  

Stefan Siller, der als Moderator durch den Abend im Merlin führt, will von Schorlau wissen, warum seine Wahl nach Themen wie NSU, Griechenlandkrise und privatisiertem Wasser diesmal auf den Klimawandel fiel. Der Schriftsteller ist überzeugt, dass die Energiefrage zentral dabei ist, gesellschaftliche Prozesse zu erklären: vom Konsens, dass der Kampf gegen die Erderhitzung eine Menschheitsaufgabe ist, bis hin zum Revival der Verbrennungstechnik oder auch der immer verbreiteteren Leugnung, dass überhaupt ein Problem vorliegt.

Schorlau betont, dass es in der Tat gar kein Problem gäbe, wenn alle Menschen so wenig Emissionen verursachen würden wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Obwohl aber die Reichsten der Reichen unglaublich viel Treibhausgase auf ihren Kontos verbuchen, ist gerade bei Menschen mit schmalen Geldbeuteln die Sorge verbreitet, auf den Kosten für Klimaschutz sitzen zu bleiben.

Hier nimmt Schorlau auch die Grünen in die Pflicht. Zwar berichtet er, bei einer Audienz bei Winfried Kretschmann gelernt zu haben, dass der langsame Windkraftausbau im deutschen Südwesten nicht auf mangelndes Interesse des Landesvaters zurückzuführen ist – sondern dass manchmal auch ein Ministerpräsident dem Eigenleben seines Verwaltungsapparats machtlos ausgeliefert ist. Trotzdem kritisiert Schorlau die Partei dafür, zu wenig an die einkommensärmere Klasse zu denken. 

Sollte es den Rechten gelingen, noch mehr Arbeiter und Geringverdienerinnen zu mobilisieren, "dann sind wir geliefert", glaubt Schorlau. Umgekehrt sieht er allerdings auch Hoffnung, etwa wenn Massen protestieren gegen fremdenfeindliche Politik. Die entscheidende Frage sei, wie es gelingen kann, dass der Funke überspringt auf die Milieus, die keine Lust auf autoritären Nationalismus haben, aber zur Zeit noch stumm bleiben. 

Am Ende wirkt das Publikum zufrieden. Und Schorlau schreibt nicht nur Bestseller, sondern weiß sie auch geschickt zu vermarkten: So erinnert er vor seiner Signierstunde, dass auch in diesem Jahr ein Weihnachten bevorsteht, und dass es doch schade wäre, wenn die "schmächtige Frau" am Bücherstand zu viel Last mit nach Hause schleppen müsste. 


Weil die Tickets zur Veranstaltung im Merlin schnell vergriffen waren, wurde sie im Livestream übertragen. Die Aufzeichnung ist auch im Nachhinein über unseren YouTube-Kanal aufzurufen.

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