D. ist 46 Jahre alt, geboren in Jordanien, lebt seit 20 Jahren in Deutschland und ist Mutter von zwei Kindern. Auch sie hat die doppelte Staatsbürgerschaft, ihre Kinder nur eine, nämlich die deutsche. "Ursprünglich bin ich gekommen, um einen internationalen Master-Abschluss zu machen", berichtet D.: "Ich war einer der ersten internationalen Studenten, die an dem damals neu eingerichteten internationalen Masterstudiengang teilnahmen, der das Ziel verfolgte, die Zahl der gebildeten Arbeitskräfte in Deutschland durch die Gewinnung internationaler Masterstudenten zu erhöhen." Die deutsche Staatsbürgerschaft hat sie erhalten, "nachdem ich mehrere Jahre lang gearbeitet und regelmäßig meine Steuern gezahlt hatte". Die meisten Menschen in ihrem sozialen Umfeld seien Deutsche, aber sie habe auch viele Freunde und Bekannte aus dem Nahen Osten und aus der ganzen Welt. "Für mich wird sich meine Identität immer aus zwei Teilen zusammensetzen."
Bei dem Vorstoß von Friedrich Merz zum Entzug der Staatsbürgerschaft handle es sich laut D. um einen neuen Aspekt der Diskriminierung. "Plötzlich gibt es deutsche Staatsbürger erster Klasse, die volle Rechte, ein faires Verfahren und ein Rechtssystem genießen, wenn sie ein bestimmtes Verbrechen begangen haben, und deutsche Staatsbürger zweiter Klasse, die nicht gleich behandelt werden. Plötzlich werden Rassismus und Diskriminierung normalisiert. Plötzlich ist die Menschenwürde verletzbar." Plötzlich stelle sie sich die Frage: "Hat mich die Gesellschaft jemals als Deutsche betrachtet?" Oder wurde sie immer nur als Bürgerin zweiter Klasse gesehen?
D. ist IT-Produktmanagerin und fragt sich als hart arbeitende und steuerzahlende Migrantin, ob die aktuelle Entwicklung nur den Anfang darstellt. Ob irgendwann vielleicht auch schon geringfügige Straftaten zur Rechtfertigung einer Abschiebung herangezogen werden können. Ob die Entscheidung, wer bleiben darf, vielleicht irgendwann in den Händen einer rechtsextremen Partei liegt, die beschließt, alle Migranten oder migrantisch aussehende Menschen willkürlich abzuschieben. "Was würde das für Doppelbürger bedeuten, deren Kinder nur die deutsche Staatsbürgerschaft haben? Werden die Kinder von ihren Eltern getrennt?"
Allen Politiker:innen rät Esma D. dazu, vorsichtiger mit Anti-Migranten-Rhetorik umzugehen, immerhin sei Deutschland auf Zuwanderung angewiesen, um "das Land am Laufen zu halten, sei es bei der Müllabfuhr, bei der Reinigung, im Baugewerbe oder im Transportwesen oder bei Jobs im Gesundheits-, Ingenieur-, Finanz- oder Bildungssektor". Da empfiehlt sie, nochmal nachzudenken, was besser werden soll, sollten diese Menschen fehlen und, "was es wirklich bedeuten würde, wenn sich alle Migranten eines Tages dafür entscheiden würden, Deutschland zu verlassen".
Eigentlich würde er gerne hier bleiben
Akhnaten Nketia will das eigentlich nicht: sein Geburtsland Deutschland verlassen. "Doch der Hass und die Hetze der letzten Jahre haben mich erstmals daran zweifeln lassen, ob ich hier für immer sicher werde leben können", sagt der 23-Jährige. Den Vorschlag, straffällig gewordenen Deutschen mit Migrationshintergrund eine Staatsbürgerschaft zu entziehen, versteht er "als Bekenntnis zu einem ethnisch definierten Staatsbürgertum", eine Unterscheidung zwischen "echten" und Pass-Deutschen.
Aktuell studiert Nketia Friedens- und Konfliktforschung und er ist Mitglied der Linken. Den migrationsfeindlichen Diskurs findet auch er bedrohlich. "Seit Jahren diffamiert der Unions-Kanzlerkandidat migrantische Männer, man erinnere sich nur an seinen Kommentar über 'kleine Paschas' im Kontext der Silvesternacht 2023." Doch auch der amtierende Kanzler tue "nicht viel, um die offene Migrationsgesellschaft glaubhaft zu verteidigen". Es sei weit verbreitet, "uns Migranten eine Nähe zu Gewaltkriminalität anzudichten" und so zu tun, als ob es diese Probleme ohne Menschen mit Migrationsgeschichte nicht gäbe. Nketia, dessen Mutter einst aus Eritrea geflohen ist, sagt: "Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem der Staat Menschen in Deutsche erster und zweiter Klasse einteilt."
Ihm bangt es vor Merz' Deutschland
Es sei "ein seltsames und schmerzhaftes Gefühl mitanzusehen, wie die Migration das Zentrum der öffentlichen Debatte wird und in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft eine tiefe emotionale Erregung hervorruft", berichtet Monzer Haider. Immer häufiger nehme er sich selbst "als ‚ungewolltes‘ Objekt dieser politischen Auseinandersetzungen wahr". Eine krude Situation: "Ich bin präsent in den Gesprächen und Berichterstattungen, doch meine Stimme bleibt stumm inmitten eines lärmenden, oft verzerrten Diskurses."
1 Kommentar verfügbar
Sabine Eise
vor 2 WochenAber ich glaube, daß viele Entscheidungsträger ihn überhaupt nicht zur
Kenntnisse nehmen werden.