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Nehren und seine Feuerwehr

Ein rechtsextremer Ehrenkommandant?

Nehren und seine Feuerwehr: Ein rechtsextremer Ehrenkommandant?
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In einem Dorf bei Tübingen wird darüber gestritten, ob ein Feuerwehrmann zum Ehrenkommandanten ernannt werden soll, der rechtsextremes Zeug im Internet verbreitet. Der kritischen SPD wird Nestbeschmutzung vorgeworfen, die konservativen Fraktionen finden rechtes Geschwätz nicht so schlimm.

Die Gemeinde Nehren, im Steinlachtal zwischen Tübingen und Hechingen gelegen, mitten im schwäbischen "Streuobstparadies", hat seit dem Jahr 1912 eine organisierte Feuerwehr. Ein Feuereimer aus dem Jahr 1835, mit dem seinerzeit mühevoll Löschwasser, entnommen aus Bächen und Brunnen, zu Brandstätten geschleppt wurde, hat sich erhalten. Wundern würde sich die damalige Bürgerschaft, wie gut ausgestattet der Brandschutz als kommunale Pflichtaufgabe vor Ort heute ist. Nehren hat für seine Feuerwehr eine eigene Satzung ausgearbeitet, die detailreich die diesbezüglichen Angelegenheiten regelt. Deren Paragraf 8 legt fest, dass der Gemeinderat auf Vorschlag des Feuerwehrausschusses einem "bewährten Kommandanten" nach Beendigung der aktiven Dienstzeit und Eintritt in die Altersabteilung "die Eigenschaft als Ehrenkommandant" verleihen kann.

Im Oktober stand eine solche Ehrung auf der Tagesordnung des Gemeinderats. An sich ein Routinevorgang. Bereits mehrfach praktiziert. Doch diesmal gab es Widerspruch. Tanja Schmidt, Listenführerin der SPD, beantragte die Absetzung des Tagesordnungspunktes, es bestehe Klärungs- und Gesprächsbedarf, es gebe Informationen über die Person, die auf der Vorschlagsliste stehe, welche dem Feuerwehrausschuss nicht bekannt gewesen seien. Man diskutierte eine Dreiviertelstunde nichtöffentlich und entschied tatsächlich, die Ehrung zu verschieben. Es handelte sich um einen Feuerwehrmann, der, aus einer "Feuerwehrfamilie" stammend, bis zum Abschied 2022 geschlagene 42 Jahre dabei gewesen war, zahllose Einsätze und Übungen hinter sich gebracht und auch die erste Jugendfeuerwehr im Landkreis Tübingen gegründet hatte. Im November stand der Punkt erneut zur Abstimmung an. Die SPD-Frau kündigte an, ihre Fraktion werde gegen die Ehrung stimmen. Man befinde sich in gesellschaftspolitisch schwierigen Zeiten mit einer gespaltenen Gesellschaft, in der es rechtspopulistische Entwicklungen auf allen Ebenen gebe, die auch vor der Feuerwehr in Nehren nicht haltmachten. Der zu ehrende Rüdiger Nädele, so habe sich herausgestellt, veröffentliche in seinem Facebook-Profil Beiträge dauerhaft und in großer Anzahl, die im Widerspruch zur Verfassung stünden, die Menschenwürde verletzten und Falschinformationen verbreiteten. Und zwar mit Profilbild in Uniform und vor dem Hintergrund des Feuerwehrhauses.

Die SPD kritisiert, der Bürgermeister ist verblüfft

Die SPD-Frau hatte deshalb mit dem Deutschen Feuerwehrverband mit Sitz in Berlin Kontakt aufgenommen. Siehe da: Der beobachtet die "allgemeine Situation" gleichfalls mit "großer Sorge". Es gibt dort eine eigene Abteilung mit Meldestelle für derartige Fälle, die feststellt: "Jeder Fall, in dem auf örtlicher Ebene rechtspopulistisches oder gar rechtsextremes Gedankengut in die Feuerwehr gebracht wird, ist untragbar." Und kündigte an, er werde "Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Rechtsstaat und die Menschenwürde nicht hinnehmen". Also "aktiv gegen Personen und Institutionen vorgehen, die die Grundordnung unterwandern oder gefährden" wollten. In Hessen, so hatte Schmidt erfahren, ist dies im Feuerwehrgesetz verankert: Die den Wehren Angehörigen müssen dort für die Übernahme des Ehrenamtes "persönlich und politisch geeignet" sein. Bundesverband und hessischer Landesverband brachten Schmidt gegenüber zum Ausdruck, dass "Tendenzen zur Delegitimierung des Staates" innerhalb der Feuerwehr nicht zu dulden seien. Solche sahen sie bei dem in Rede Stehenden als durchaus gegeben. Damit, so die Schlussfolgerung Schmidts, stehe auch der Bürgermeister als kommunaler Träger des Brandschutzes in der Verantwortung. "Eine Duldung des Verhaltens schädigt das Ansehen der Feuerwehr." Rein formal, so Schmidt, seien die Voraussetzungen für die Ehrung erfüllt, die Verdienste des Mannes unstrittig. Falls er sein Verhalten ändere und Einsicht zeige, stehe der Ernennung zu einem späteren Zeitpunkt aus Sicht ihrer Fraktion nichts im Wege.

Bürgermeister Egon Betz, der für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, reagierte "verblüfft" auf die Einlassung, wiederholte, dass der zu Ehrende sich in seinen aktiven Dienstjahren große Verdienste um die Gemeinde erworben habe bei zahllosen Einsätzen und Übungen. Er habe mit dem Kreisbrandmeister gesprochen, der in dem öffentlichen Auftreten nichts Strafwürdiges habe feststellen können. Aus den Reihen der Feuerwehr seien ihm ebenfalls keine Bedenken, nur Zustimmung bekannt geworden. Im Übrigen sei er selbst kein "Gesinnungsprüfer". SPD und Alternative Liste stimmten gegen die Ehrung, die drei Vertreter der Alternativen Liste sahen die öffentlich zugänglichen Verlautbarungen als so gravierend an, dass sie die Verdienste überwögen. Die Feuerwehr sei ein Organ der Gemeinde und als solches zur Neutralität verpflichtet. Der CDU-Vorsitzende meinte, der zu Ehrende habe fürs Dorf jahrzehntelang "den Arsch hingehalten", das wiege mehr als die Vorwürfe. Sie würden die Posts gar nicht kennen, weil sie halt nicht in diesem Social-Media-Bereich unterwegs seien, sagten andere Räte. Später hieß es von der CDU, die SPD habe keine Beweise vorgelegt – dabei waren die Posts öffentlich sichtbar. Ein alteingesessener Nehrener, der die Kundgebungen Nädeles zu Gesicht bekam, stöhnte denn auch mit nôdlaspitziger Zunge: "Das ist ein getreuer Flakhelfer der AfD mit seinen Dumm-Dumm-Geschossen."

Der Feuerwehrverband fragt nach Radikalisierung

Das sah der Experte des Berliner Feuerwehrverbands ähnlich. Er nahm eine recht gründliche Analyse des Materials vor, die er Schmidt zukommen ließ. Da hieß es: Der Nutzer teile zahlreiche Beiträge, die Verschwörungserzählungen und rechtspopulistische Aussagen beinhalteten. Beiträge waren mehrfach wegen Hassrede vom Provider gelöscht worden, nach Verwarnungen habe es keine Verhaltensänderung gegeben. Es gebe unzweifelhaft eine Tendenz zu "verfassungsrelevanter Delegitimierung des Staates". Beiträge der AfD wurden geteilt, auch solche der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen, wo die Partei als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird. Ebenso Beiträge der rechtsextremistischen Website "AUF1", die bekannt ist für die Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte und solcher von Corona- und Klimawandelleugnern. Zudem wurde kritisiert, dass das Profilbild in unzulässiger Weise den Bezug zur Feuerwehr herstelle. (Nädele war dort in Uniform und mit dem Feuerwehrhaus im Hintergrund zu sehen.) Und das impliziere für Außenstehende eine "Duldung des Verhaltens durch die verantwortlichen Vorgesetzten sowie der kommunalen Verwaltung als dem Träger des Brandschutzes". Der Verband sorgt sich wegen des "unveränderten Verhaltens" Nädels und damit einer "fortschreitenden Radikalisierung". Es stelle sich daneben die Frage, "ob die Person auch im Realleben ähnlich agiert und möglicherweise versucht, andere Feuerwehrangehörige politisch zu beeinflussen". Dem Deutschen Feuerwehrverband ist das Thema Rechtsextremismus in der Feuerwehr durchaus bewusst, er hat sogar eine eigene Broschüre zu dem Thema veröffentlicht.

Die Enthüllungsdebatte gab Anlass zu Streit im Dorf. Von "Nestbeschmutzung" durch die SPD war nach altem Muster die Rede. Zunächst durfte der Name des künftigen Ehrenkommandanten Rüdiger Nädele aus Gründen der Gemeindeordnung nicht genannt werden. Obwohl ihn alle wussten. Man kennt sich eben.

Nehren ist an sich eine nicht unvernünftige Gemeinde: Flächendeckend hat die 4.500-Einwohner-Gemeinde Tempo 30 eingeführt. Sie ist – als einziges Dorf – Mitglied in der Deutschen Fachwerkstraße. Der Ortskern steht unter Denkmalschutz, sehenswert die langen Reihen von uralten Fachwerkgebäuden. Der Denker Hans Vaihinger, der "Die Philosophie des Als-ob" in die Welt brachte, wurde hier 1852 als Sohn des Pfarrers geboren. Nehren gehört zu jenen Gemeinden im Steinlachtal, in denen von vielen Handwerkern und Arbeitern schon vor 1900 die Bebel'sche SPD und später die KPD gewählt wurde. Deren Mitglieder folgten im Januar 1933 dem Aufruf der Landes-KPD zum Massenstreik, marschierten nach Mössingen, um an der Generalstreikaktion teilzunehmen. 19 Nehrener kamen danach ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager wegen "Landfriedensbruchs". In der weiten Umgebung werden die Dorfbewohner mit dem Necknamen "Nôdla" (Nadeln) belegt: wegen ihrer streitlustigen Fähigkeit zu treffsicher-frechen Bemerkungen über andere Leute und auch untereinander.

Solange die AfD nicht verboten ist ...

Nach dem Gemeinderatsbericht im Tübinger Schwäbischen Tagblatt liefen dort zahlreiche Leserbriefe aus Nehren ein, Schreiber beriefen sich etwa auf die Aussage des im Ort wohnhaften evangelischen Landesbischofs Ernst-Wilhelm Gohl, der bei einer Kundgebung für Demokratie und Vielfalt im Februar vorigen Jahres beim Rathaus ausrief: "Die AfD ist für Christen nicht wählbar!"

Er halte den Mann "mittlerweile für hinreichend öffentlich abgestraft", sagte hingegen der Chef der Freien Wähler dem "Steinlachboten". Und "man solle eher die AfD angreifen, nicht einzelne ihrer Anhänger". Der Fraktionsvorsitzende der CDU verlautbarte in der "Südwestpresse", es stehe ihm nicht zu, infrage zu stellen, wenn jemand die AfD wähle, solange diese frei wählbar und nicht verboten sei. Man solle nicht, so gibt der "Steinlachbote" seine Ansicht wieder, auf "jemanden verunglimpfend einschlagen, weil der ausnahmsweise dazu stehe". Der Sprecher der Freien Wähler schloss sich dieser Beschwichtigungsstrategie an. Unterdessen war der Facebook-Account Nädeles gesperrt oder vollständig gelöscht worden. Nädele gab an, die Beiträge würden derzeit "rechtlich geprüft".

Den Gemeinderatsfraktionen und dem Bürgermeister ließ er eine eidesstattliche Erklärung zukommen, nachdem der Autor dieses Artikels in einer Kolumne im "Steinlachboten" am 7. Dezember 2024 über einen im September stattgefundenen Stammtisch der AfD berichtete, bei welchem Nädele anwesend gewesen sein soll. Er "distanziere sich ausdrücklich von diesem Artikel. Und erkläre nach bestem Wissen und Gewissen eidesstattlich, dass er an diesem Stammtisch nicht anwesend war", schreibt Nädele. In der Kolumne stand: "Ein Mitbürger, der die rechte Szene beobachtet, hatte mir Fotos von der Zusammenkunft zukommen lassen, screenshots entnommen aus der Homepage des Abgeordneten Heß." Im Publikum, schrieb ich, sitze eben jener Mann, über den gerade im Gemeinderat abgestimmt worden war. Eindeutig zu identifizieren: mit Kurzhaarfrisur, in charakteristischer Körperhaltung. Als Ehrenkommandant genehmigt, obwohl das öffentlich zugängliche Facebookprofil die Besorgnis einer "fortschreitenden Radikalisierung" begründe, so ein Experte des Deutschen Feuerwehrverbands.

Der Betroffene kommt nicht

Die Debatte geht weiter, die AfD hat eine neuerliche Versammlung angekündigt, nach den Weihnachtsfeiertagen war der Nehrener Bahnhof übersät mit Aufklebern rechtextremer Herkunft à la: "Dein Opa war kein Verbrecher", verziert mit dem Porträt eines stahlhelmbewehrten Wehrmachtssoldaten. Kommentar einer Nehrenerin: "Man muss sich ja schämen fürs Dorf!" Der Fall des Ehrenkommandanten Nädele ist ein kleines Beispiel für die massiv um sich greifende Rechtsentwicklung.

Während der Jahreshauptversammlung der Feuerwehr am vergangenen Wochenende war der zu Ehrende dann überraschend nicht anwesend. Der Mehrheitsbeschluss des Gemeinderats, den vormaligen Kommandanten Rüdiger Nädele in den Stand eines Ehrenkommandanten zu versetzen, wurde also nicht umgesetzt, ohne dass ein Grund dafür genannt wurde. Bürgermeister Betz, der daran erinnerte, dass die Feuerwehr kein Verein sei, sondern eine "Pflichtaufgabe der Gemeinde", appellierte immerhin, jedoch sehr allgemein, an die Feuerwehrangehörigen, bei ihren "Posts" auf die Inhalte zu achten, zumal wenn sie in Uniform getätigt würden. Man trage Verantwortung für das Ansehen der Gemeinde, solle nicht übereinander reden und tolerant miteinander umgehen. Das gelte für alle, die etwas schrieben, ob es sich um Leserbriefe im Tagblatt handele oder um Artikel von Journalisten. Befremdlich, wie man es fertigbringen kann, niveaulose Entäußerungen der Unanständigkeit und Menschenverachtung mit den schriftlichen Zurückweisungen derselben in einen Topf zu werfen. Gras wird nach diesem Beschwichtigungsversuch jedenfalls nicht über die Sache wachsen.

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