In ihrem zweiten Langzeitprojekt widmet sich Woog der Vogelwelt direkt vor der Haustür: im Stuttgarter Schlossgarten und seinen Gewässern. Hier beobachtet sie seit 2002 die Graugänse und ihre Reproduktionserfolge. Für Ergebnisse seien große Zeiträume notwendig. Mit Hilfe ehrenamtlich engagierter Mitarbeiter:innen werden die Graugänse mit Ringen versehen, die regelmäßig abgelesen werden. Mittlerweile geben 170.000 Datenätze Aufschluss über die Population, Verteilungsmuster und Lebensraumnutzung der Graugänse. "Als ich hier 2000 begann, gab es gerade mal ein Dutzend wilder Graugänse im Schlossgarten. Heute sind es zwischen 250 und 350." Interessanterweise wachse die Population von Gänsen nicht ins Unendliche, sondern levele sich irgendwann aus. Der Bruterfolg einzelner Tiere verändere sich mit dem Anwachsen der Population: Ist eine bestimmte Zahl erreicht, bekommen sie weniger Junge. Bei den Stuttgarter Graugänsen stagniere die Population seit 2010. Und interessant: Just 2010 haben Nilgänse zum nachweislich ersten Mal in Stuttgart erfolgreich gebrütet. Die ursprünglich aus Ägypten stammenden Wasservögel werden seitdem von Woog und ihrem Team mitgezählt.
Heute leben zwischen 150 bis 200 Nilgänse in Stuttgart. Lange sei es so gewesen, dass es pro Park-Gewässer nur ein Nilganspaar mit Jungen gegeben habe. Seit diesem Jahr werde diese Zahl erstmals überschritten. Für Woog ein Zeichen dafür, dass Nilgänse eine gar nicht so aggressive Art sind, wie immer angenommen wird – weder Artgenossen gegenüber noch den Graugänsen. "Nilgänse sind halt kecker. Sie verteidigen ihre Jungen sehr stark. Aber meistens sitzen sie nur friedlich da und machen nichts. Ich habe auch schon Graugänse gesehen, die kleine Rehpinscher gejagt haben und ihnen in den Schwanz gebissen haben."
Jaja, die Nilgänse. Nicht gerade sehr beliebt diese Art. "Jedes Jahr dasselbe", bestätigt Woog, "Notalarm am Max‐Eyth‐See! Weil die Nilgänse dort die Wege vollkoten und sich alle beschweren. Aber die Leute vergessen jedes Jahr, dass das nur von Mitte Mai bis Mitte Juni so ist." Alle Enten und Gänse seien dann flugunfähig, weil sie in der Mauser seien und alle ihre Flugfedern abwerfen. "Sie müssen dann natürlich in der Nähe des Wassers bleiben", erklärt Woog, "um schnell vor ihren Feinden fliehen zu können. Wenn der Räuber kommt, geht die Gans ins Wasser." Und in der Nähe des Wassers seien nun mal eben auch die Gehwege. Könne die Gans wieder fliegen, ziehe sie sich wieder auf die Wiesen zurück, und dann interessiere sich niemand mehr für ihre Verdauung. "Das haben wir wissenschaftlich genau untersucht: Während der Mauser liegt der Kot auf den Wegen, in der restlichen Zeit verteilt er sich im Park."
Der Waschbär mag Nilganseier sehr
Woog bezweifelt auch, dass die Nilgans eine invasive Art ist, wie gerne behauptet wird. "Als invasiv gelten Arten, die drohen, andere Arten zu ersetzen", erklärt sie, "und zwar nicht nur auf der Ebene eines Sees, sondern einer ganzen Region oder eines ganzen Landes." Aber das sei bei der Nilgans nicht der Fall. Selbst wenn sie im Schlossgarten sämtliche Stockenten vertreiben würde, was sie nicht tue, sei dies noch lange kein Grund, sie als invasiv zu bezeichnen. "Weil es ja noch genug Stockenten in Deutschland gibt."
Auch bei den Nilgänsen beobachtet Woog im Übrigen eine Abnahme des Nachwuchses. Noch vor wenigen Jahren brüteten sie acht Junge aus. Heute sind es nur noch drei oder vier. Ist die Panik vor der Ausbreitung der Nilgans also übertrieben? "Im Grund genommen ja", sagt Woog. "Graugänse bleiben. Aber Nilgänse sind stark vernetzt, fliegen viel herum und auch mal weit weg." Und weil sie sich gerne in Gruppen versammeln, entstehe der Eindruck, sie seien besonders viele. "Anders als etwa der Neckar ist der Park eine befriedete Zone", erklärt sie. "Hier darf nicht abgeschossen werden. Gänse sind nicht blöd, sie gehen dahin, wo weniger Jagddruck ist."
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