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Walderhalt am Oberrhein

Mit Spaten und Machete

Walderhalt am Oberrhein: Mit Spaten und Machete
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Die Amerikanische Kermesbeere, eine imposante Staude mit hübschen Blütenkerzen und Fruchtständen, wird seit Jahrhunderten in europäischen Parks und Gärten angepflanzt. Am Oberrhein verwildert die wärmeliebende Pflanze und verdrängt heimische Vegetation.

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Die Rheinebene mit ihren kargen und durchlässigen Sandböden ist, wie man so sagt, "klimatisch begünstigt". Hier ist der Klimawandel an heißen Sommertagen unmittelbar spürbar. In den Dürrejahren 2018 bis 2020 begannen die Grundwasserpegel südlich von Heidelberg und Mannheim zu sinken, gleichzeitig starben in den Kiefernforsten der Hardt großflächig Bäume ab. Entsprechend holen Forstleute mehr Holz aus dem Wald, als es dem Plan entspricht.

In den entstandenen Lücken findet die Kermesbeere, die auch direkte Sonne verträgt, reichlich Platz. Saftig grün sprießen die Triebe aus den Wurzelknollen, während um sie herum die Krautschicht verdorrt und Baumgerippe kahle Äste in den Himmel strecken. Offensichtlich kommt das Gewächs mit den extremer werdenden Bedingungen besser zurecht als die pflanzliche Konkurrenz. Wo sie dichte Bestände bildet, verdrängt die Pflanze die heimische Vegetation und verhindert, dass sich der Wald durch Keimlinge natürlich verjüngt.

Jedes Jahr werden die Wurzeln kräftiger und ihre Ausläufer länger. Im Winter zieht sich die Pflanze komplett ein und treibt im Frühjahr mit zusätzlichem Trieb neu aus. Sie kann drei Meter hoch und sehr ausladend werden. Die Früchte – jede enthält zehn Samen – werden von Vögeln und anderen Tieren verbreitet.

Der Kermesbeere geht's im Kollektiv an den Kragen

Der Sandhäuser Klaus Frohn war der erste, der sich der massiven Ausbreitung mit Spaten und Machete entgegenstellte. Statt länger zuzusehen, wollte der Bürger das Übel an der Wurzel packen. Doch bald hatte er genug davon, dies allein zu tun. Er brachte Anschläge mit seinem Kontakt an Bäumen an und bat um Hilfe. Die Resonanz war überwältigend. Mit Peter Schimass und Norbert Wilkens gründete er 2020 die regionale Aktionsgemeinschaft Hardtwald.

Im Frühjahr 2021 luden sie in Absprache mit der Forstverwaltung Interessierte zu einer Aktion in Hockenheim ein, führten in das Thema ein und zeigten, wie der Kermesbeere am effektivsten beizukommen ist: Entscheidend sei nicht, das ganze Wurzelwerk auszugraben. "Es reicht, den oberen Teil abzustechen", erläuterte Wilkens, zerteilte mit dem Spaten diagonal eine Knolle und zeigte die Knospen, die gerade am Austreiben waren. Er legte die Wurzel anschließend auf einen Baumstumpf, damit sie nicht mit dem Boden in Berührung kommt. Da die Pflanze Giftstoffe enthält, riet er den Teilnehmenden, Handschuhe zu tragen.

Zu denen, die aufmerksam zuhörten, gehörte auch Michael Kassautzki. Mit Aktiven der Bürgerinitiative Pro Waldschutz organisiert er seitdem in Sandhausen regelmäßige Aktionen. Die Gruppe trifft sich im Wochenturnus, um gemeinsam ein Stückchen Wald von dem Gewächs zu befreien. Einige Mitglieder haben "Patenschaften" für einzelne Parzellen übernommen und bemühen sich, die vielen Triebe in Schach zu halten, die nach dem ersten Durchgang erneut sprießen. Eine Sisyphusarbeit. Ab und an meldet sich eine Gruppe, um mit Hand anzulegen: der örtliche Diakon mit seinen Firmlingen, die Volkshochschule oder ein Team der nahe gelegenen Softwareschmiede SAP.

Noch ein Problem: die Spätblühende Traubenkirsche

Hell mag es nicht nur die Kermesbeere, sondern auch die Spätblühende Traubenkirsche, die zwischen Baumstümpfen und kahlen Kiefern prächtig gedeiht. In Deutschland wurde das Gehölz im späten 19. Jahrhundert im Rahmen sogenannter Fremdländerversuchsanbauten getestet und mancherorts bis in die 1950er-Jahre gepflanzt, um danach als Neophyt, also nicht heimische Pflanze, mühsam und oft erfolglos bekämpft zu werden. Anders als in Nordamerika, wo die Traubenkirsche als Waldbaum wertvolles Holz liefert, wächst sie hierzulande meist strauchförmig und breitet sich teils unkontrolliert aus. Forstwissenschaftler verweisen darauf, dass sie sich nur durch schattentolerante Baumarten wie Buche, Hainbuche und Linde verdrängen lasse.

Auch heute hegt die Forstwirtschaft hohe Erwartungen an fremdländische Baumarten. Nordamerikanische Roteichen und Douglasien werden schon länger gepflanzt. Jetzt wird besonders im Mittelmeerraum nach "klimastabilen Alternativbaumarten" gesucht. Sie sollen nicht nur die schwächelnden Kiefern und Fichten ersetzen, sondern nach Möglichkeit die Buche gleich mit. Die "Mutter des Waldes" findet in der Region vor allem als Brennholz Verwendung. Dabei gestalten sich Aufforstungen unter den widrigen Bedingungen der Hardt schwierig. In den zahlreichen Wuchshüllen um Sandhausen sind die gesetzten Pflänzchen schon lange vertrocknet.

Braucht der Wald vor allem Ruhe?

Einen anderen Ansatz verfolgt der streitbare Speyerer Diplom-Forstwirt und Forstwissenschaftler Volker Ziesling. Mit der Bürgerinitiative Waldwende jetzt! kämpft er im Oberrheinischen Tiefland für ein Umdenken bei der Waldbehandlung im Klimawandel. Sein Credo: "Der Patient Wald braucht Ruhe!"

Die Holzproduktion sei auf den armen Böden der Region ein Verlustgeschäft, rechnet der Forstwirt vor und warnt davor, den Waldboden mit seinem Wurzelwerk mit schweren Erntemaschinen zu zerfahren. Besser sei es, die Bäume wachsen zu lassen und abgestorbene Stämme im Wald zu lassen, wo sich das Holz mithilfe verschiedenster Organismen langsam zersetzt und zur Grundlage für die nächste Waldgeneration wird.

Klima- und Artenschutz, Schutz des Grundwassers, des Bodens, Naherholung, Brennholzversorgung, Holzproduktion – laut Ziesling sind die Anforderungen an den Wald enorm und kaum in Einklang zu bringen. Der Wald gehöre nicht den Förstern, sondern den Bürgerinnen und Bürgern, sagt der Aktivist und ermuntert diese, sich breiter zu informieren und mit dem Gemeinderat die vorrangigen Ziele für ihren Wald zu definieren.

Volker Ziesling macht klar: "Den Begriff 'Waldumbau' kann ich nicht akzeptieren. Er unterstellt, ich könnte als Förster die Prozesse im Wald nach Belieben steuern. Doch wenn ich Baumarten aus dem Kaukasus oder aus Nordamerika einführe, importiere ich ein ganzes Ökosystem. Das kann unvorhersehbare Folgen haben." Als Beispiel nennt er das Falsche Weiße Stängelbecherchen, das in Asien als harmloser Blattpilz die dort heimischen Eschenarten besiedelt. Der Pilz wurde mit importierten Eschenpflanzen nach Europa eingeschleppt und verursacht hier ein dramatisches Eschentriebsterben.

BI Waldvision Nußloch macht dem Gemeinderat Dampf

Tatsächlich beschäftigt der schlechte Zustand des Waldes viele. Auf Anregung Zieslings haben sich örtliche Initiativen gegründet, die zu Vorträgen und Waldbegehungen einladen und den Verantwortlichen Druck machen. So auch in Nußloch. Der dortige Buchenwald wächst in Hanglage auf fruchtbarem Lößboden, ist über das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 geschützt und steht im Vergleich sehr gut da. Ein größerer forstlicher Eingriff, bei dem vor allem ältere Bäume gefällt wurden, rief die Initiative Waldvision Nußloch auf den Plan, die seitdem die kommunale Waldpolitik kritisch begleitet.

Kiefernsterben und invasive Pflanzen stellen Lichtwaldkonzept in Frage

Im regionalen Waldschutzgebiet Schwetzinger Hardt will die Forstliche Versuchsanstalt (FVA) insgesamt 180 Hektar in einem rollierenden System zu "Lichtwald" umwandeln. Das Konzept sieht vor, mithilfe von Auflichtungen, Kiefernverjüngung und Beweidung lichte Waldstrukturen zu schaffen. Dabei sollen Lebensräume für seltene und lichtliebende Pflanzen- und Tierarten entstehen. Dichterer Bewuchs mit höherem Buchenanteil wird gezielt zurückgedrängt. Die entsprechende Rechtsverordnung wurde 2013 erlassen, zu einer Zeit, als die Dramatik des Klimawandels und das Problem der invasiven Pflanzen noch nicht so präsent waren wie heute.

In der Zwischenzeit haben sich die Kiefernforste von allein gelichtet. Und die Waldweide wird zu einer aufwändigen Angelegenheit, wenn vor jedem Weidegang die giftige Kermesbeere entfernt werden muss.

Durch Klimawandel und Auflichtungen erwärmen sich Forstflächen und nähern sich dem Stadtklima an. Der Götterbaum, sonst auf städtischen Brachflächen zu finden, drängt nun auch immer stärker in den Wald. Der Baum stammt aus Asien, war lange nur Ziergehölz in Parks und hat sich – bedingt durch den Klimawandel – zu einer der hundert problematischsten invasiven Arten in Europa entwickelt. (heb)

Anders als der Forst führt Waldvision beobachtete Schäden nicht auf mangelnde Eignung der Baumart, sondern auf die Öffnung des Waldes zurück: "Buchen sind lichtempfindlich und reagieren mit Sonnenbrand der Rinde und Blattnekrose", erklären die Aktiven in einer Stellungnahme. Die Lichtung führe zu erhöhter Temperatur im Waldinneren, trockne den Waldboden aus und führe damit zu den bekannten Trockenheitsschäden. Die Buche sei bis in den Süden und Osten Europas verbreitet, wo die Bäume sich an ein trockeneres und wärmeres Klima natürlich angepasst haben.

Die Bürgerinitiative hat eine klare Position: Damit der Gemeinderat nicht allein auf die Beratung durch den Förster angewiesen ist, der dann mit der Umsetzung seiner eigenen Vorschläge beauftragt wird, wünscht sie sich eine Zertifizierung durch unabhängige Dritte – entweder nach dem Standard Forest Stewardship Council (FSC) oder dem des Öko-Verbands Naturland.

Tatsächlich kam ein Beschluss für FSC zustande. Bei diesem Standard wird auf Kahlschläge, Bodenbearbeitung und großflächigen Anbau nicht-heimischer Baumarten verzichtet. Doch seit einem Vor-Audit, bei dem die Prüfgesellschaft das Einführen nicht heimischer Baumarten kritisierte, liegt die Zertifizierung auf Eis.

Nur noch 20 Prozent nicht heimische Bäume

Ähnliche Konflikte gibt es im Staatswald, der seit 2014 über den FSC-Standard zertifiziert ist. Demnach darf ForstBW gebietsfremde Arten nur dann einbringen, wenn sich gezeigt hat, "dass invasive Auswirkungen kontrolliert" und "effektive Maßnahmen zur Schadensminderung" angewandt werden können. Auch soll der Anteil nicht heimischer Baumarten 20 Prozent nicht übersteigen.

Die Öko-Standards schränken die "Baumeister des Waldes" ein. Baden-Württembergs zuständiger Minister, Peter Hauk, sagte bei einer Waldbegehung in Heidelberg: "Bei FSC muss auch eine Bewusstseinsänderung kommen, sonst müssen wir als Land aussteigen."

Eine Patentlösung für den Erhalt der Trockenwälder am nördlichen Oberrhein ist nicht in Sicht. Die Interessen und Vorschläge von Forstwirtschaft und Naturschutzvereinigungen gehen dabei offenbar auseinander. Und das Risiko eines massiven Biodiversitätsverlusts durch Einführung gebietsfremder Baumarten wird von offizieller Seite kaum diskutiert.


Transparenzhinweis: Die Autorin ist Mitglied der Initiative Pro Waldschutz und beteiligt sich an den Aktionen zur Eindämmung der Amerikanischen Kermesbeere in Sandhausen.


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1 Kommentar verfügbar

  • ElHongo
    am 08.11.2023
    Antworten
    Danke, gut zu wissen wie man diese Kermesbeeren loswird!

    Bisschen Musik dazu? https://www.youtube.com/watch?v=WrT-TQTLoiw

    "Salad" ist der maximal dümmste Fehler; eigentlich heißt Kermesbeereneintopf "Sallet", und man muss das Zeug mehrmals abbrühen, damit es essbar wird. Als Salat kann es…
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