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Volker Lösch in Stuttgart

Fidesz oder nicht Fidesz?

Volker Lösch in Stuttgart: Fidesz oder nicht Fidesz?
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 Fotos: Jens Volle 

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Die Rechten sind auf dem Vormarsch: auch in Ungarn, den USA, in Österreich, in Deutschland. In einem temporeichen Stück im Stuttgarter Theater Tri-Bühne zeigte Regisseur Volker Lösch mit ungarischen und österreichischen Jungschauspieler:innen, was das bedeutet.

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Achtzehn Schauspieler:innen stürmen auf das Publikum zu, bleiben als geschlossene Wand dicht vor der ersten Reihe stehen. Sie brüllen die Zuschauer:innen an, anderthalb Stunden lang, auf Ungarisch, Englisch und Deutsch. Sie bewegen sich schnell. Keinen Augenblick lang gibt es Gelegenheit sich zurückzulehnen, zu reflektieren. Alles geht Schlag auf Schlag.

Das entspricht der Art und Weise, wie Viktor Orbán Ungarn umgekrempelt hat. Justiz, Medien, Kultur, alle Bereiche der Gesellschaft hat er zügig unter seine Kontrolle gebracht. Niemand kann sich entziehen. Es entspricht auch der Arbeitsweise von Volker Lösch, der in Stuttgart aus seinen acht Jahren am Staatstheater in guter Erinnerung geblieben ist. Chorisches Sprechen, hohes Tempo, explizit politisches Theater: Das sind seine Markenzeichen.

Nun hat er sich an Elfriede Jelineks "Am Königsweg" gemacht. Premiere war im März in Salzburg mit Absolvent:innen der Schauspielschule Mozarteum, an der Tri-Bühne war es nur drei Mal zu sehen – alle Aufführungen waren ausverkauft. Vielleicht auch, weil Lösch der Montagsdemo einen Besuch abgestattet und die Aufführungen angekündigt hatte. Dort ist der freischaffende Regisseur ein gern gesehener Bekannter: als Schnellsprecher, als Miterfinder des Schwabenstreichs, als Gründer des Bürgerchors.

"Am Königsweg" hat Lösch ursprünglich gemeinsam mit Absolvent:innen aus Salzburg entwickelt: vier Regiestudent:innen und achtzehn Schauspieler:innen, ein kompletter Jahrgang. Wie er das am Mozarteum seit 2010 alle zwei Jahre macht. Hier in Stuttgart, kommt die Hälfte der Beteiligten aus Budapest und zwar von der FreeSZFE, 2020 gegründet, nachdem Orbán die staatliche Universität für Theater und Film (SZFE) an eine Stiftung in der Hand eines Parteigängers übertragen hat. Da die Student:innen an der freien Hochschule keinen anerkannten Abschluss machen können, sind fünf europäische Hochschulen eingesprungen, darunter die Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg und das Mozarteum in Salzburg.

Und die Bürger:innen machen willig mit

In der ersten Szene von "Am Königsweg" gibt Baris Özbük aus Budapest mit Mitra und Bischofsstab den Zeremonienmeister. Die Leute sollen den neuen König wählen, den Vorkämpfer. "Glauben Sie ihm nicht", ruft ein Bürger namens Lenz dazwischen, er sei ein Lügner. "Der immer die Wahrheit sagt", psalmodiert der Zeremonienmeister und fragt in die Runde: "Gefällt Ihnen die Welt, in der Sie leben?" "Nein!" rufen die Bürger:innen. "Do you want to change the world?" Da jubeln sie: "Ja!" Lenz bleibt allein, die Masse schwimmt mit.

Jelinek schrieb das Stück, nachdem Donald Trump zum ersten Mal gewählt wurde. "Jelinek ist ideal, weil man ihre Stücke fleddern darf", sagt Lösch, der gern Stücke fleddert, also rauspickt, was ihm ins Konzept passt. Als der König gewählt ist, tanzen alle ausgelassen auf der Bühne: "Let's make the country great again." Bei Trump hieß es "America". Um zu kennzeichnen, dass es in der Aufführung um Ungarn und auch Österreich geht, haben Lösch und Mitregisseur:innen alle Schauspieler:innen aufgefordert, ihre eigenen Erfahrungen zu schildern.

"Oberflächlich betrachtet, ist es wie in einem normalen Land", beobachten Lisbet und Valerie, "doch jeden Tag passiert etwas Absurdes und Beschämendes." Sie sprechen immer zu zweit, zuerst auf Ungarisch, dann auf Englisch. "Ich habe angefangen, Fahrrad zu fahren, weil ich es nicht länger ertragen konnte, in der Straßenbahn zu sehen, wie es den Leuten von Tag zu Tag schlechter geht."

"Ich arbeite sieben Tage die Woche", wiederholen Baris und Lisbet auf Englisch, was Gergö und Timi soeben gesagt haben. "Früher, wenn du einen Job angeboten bekommen hast, hast du dich gefragt: Ist es ein guter oder ein schlechter Job? Heute fragst du dich: Fidesz oder nicht Fidesz?" Orbáns Partei dominiert alles. Auch die Österreicher:innen kommen zu Wort. "Die FPÖ- Erfolge machen mir Angst", bekennt Lisbet. "Konkrete Angst, wenn eine antidemokratische, rechte Nazipartei in Salzburg mit über 25 Prozent mitregiert", ergänzt Ben. "Ich fühle mich hilflos im Kampf gegen die Rechten", gesteht Frida. "Der Gedanke ans Auswandern kommt mir in letzter Zeit häufiger", meint Hongji – ähnlich wie Amadeus und Maite aus Ungarn.

In Österreich ist es auch nicht toll

"Ungarn, Österreich, so groß ist der Unterschied erschreckenderweise nicht", kommentiert Lösch. Wichtig war ihm, dass die jungen Theaterleute ihre eigene Situation einbringen: "Wie man sich fühlt." Die Korruption. Das Versagen der Linken. "Wo sind die linken und menschenfreundlichen Narrative", fragt Ben, "die die Menschen dort abholen könnten, wo ihre Angst, Wut und Vorurteile sie heute zu den Rechten treiben?"

"In Niederösterreich aufgewachsen habe ich das Gefühl, dass das rechte Gedankengut statt immer wiederzukehren eher durchgehend da ist", reflektiert Valerie. "Wie eine Art Klangteppich. Ich schäme mich für Österreich, das überwiegend rassistisch, sexistisch, homophob und nationalistisch auf mich wirkt. Ich habe Angst davor, dass es für Immigrant:innen noch schwerer wird als damals in der Schule, wo gefragt wurde: Kommt er ins Gymnasium oder ist das ein Türke?‘"

"Die Mehrheit der Menschen in Ungarn will nicht die Wahrheit, sie will Stabilität", skandieren Maite, Valerie und Frida. "Die Nachrichten der öffentlichen Medien sind ohne glaubwürdige Quellen, selbsternannte Experten stützen alles", fügen Hongji, Amadeus und Baris hinzu. "Was kann man machen, um die Leute davon abzubringen?", fragen Lisbet, Timi und Ben. "Wie können wir sie überzeugen vom kollektiven demokratischen Denken?"

Für die Stuttgarter Aufführung haben die Ungar:innen ein paar zusätzliche Teile geschrieben, um die Situation ihres Landes vor Augen zu führen. "In Ungarn privatisiert die Regierung das Vermögen des Landes", sagt Emese auf Ungarisch. Lisbet übersetzt. "Unqualifizierte, aber loyale Menschen werden in hohe Ämter berufen", fahren Adrian und Natalja fort: "Das System weiß genau, wen es bedienen muss. Sie schaffen mit falschen Versprechungen eine ländliche Wählerschaft." "In Ungarn ist der Sexismus auf dem Vormarsch", ärgert sich Maite, "das Patriarchat hat Hochkonjunktur. 'Der Platz der Frau ist in der Küche!' Ein Horror." "Salzburg ist schön, aber nicht für Menschen, die Lederhosen und Heteronormativität ablehnen", schleudert Lisbet dem Publikum entgegen. "Seit der letzten Wahl im April ist auch in meinem Studienort eine rechte Partei als zweitstärkste Kraft in der Regierung."

Am Ende steigen die ungarischen Schauspieler:innen über die Stuhlreihen ins Publikum und erzählen, was sich an ihrer früheren Universität für Theater und Film Budapest, der SZFE, ereignet hat: "Die Regierung hat uns die Universität entrissen und in eine private Einrichtung verwandelt." "Der neue Vorsitzende des Kuratoriums Attila Vidnyánszky verglich die protestierenden Studierenden und Lehrenden mit Terroristen." "Aber dann geschah es. Wir besetzten die Universität und erklärten, dass wir die neu eingesetzte Leitung nicht hereinlassen würden."

Hoffnung auf Theaterbühnen

Für Lösch ist es beispielhaft, wie die Studierenden sich gewehrt haben, auch wenn sie wegen der Corona-Maßnahmen schließlich die Besetzung abbrechen mussten. Seine Rolle in dem Stück sieht er eher als Moderator. "Die jungen Leute sind gewöhnt, im Kollektiv zu arbeiten", erklärt er. "Sie sollen sich ruhig ausprobieren. Ich achte nur darauf, dass das Stück nicht auseinanderfällt, und greife nur ein, um einen Ausweg aufzuzeigen, wenn sie sich einmal verrannt haben."

"Meine ganze Klasse verließ die Universität. Alle meine Lehrenden haben gekündigt", erzählt Baris. Zu diesen Lehrenden gehörte László Bagossy, heute Intendant des Theaters Tri-Bühne. "Jetzt haben wir keinen stabilen, institutionellen Hintergrund mehr", schildert Hongji die Lage. "Wir proben, wir arbeiten, wir schaffen, wo wir können. In Kellern, in Klassenzimmern, in den Wohnungen der anderen. Und in unserer Freizeit verdienen wir Geld." "Auf dieser Grundlage", so Lisbet, "haben wir den Verein FreeSZFE gegründet, nachdem wir die Universität verließen."Das Publikum in Budapest wird Mitte November ein anderes Ende sehen: Orbán wird vom Saulus zum Paulus, entschuldigt sich und verspricht, sich für Demokratie, Frauenrechte, Kultur und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dafür bedankt sich das Volk, also die Absolvent:innen, und am Ende heißt es laut Programmheft: "Der Kulturkampf ist beendet. Das politische Establishment mischt sich nicht in die Kunst ein, aber die Kunst ist mutig und aktiv in der Politik."


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