Auf dem Marktplatz vor dem Stuttgarter Rathaus war es voll – und laut. Sehr viele S-21-Gegnerinnen und -Gegner waren an diesem 28. Juli mit Töpfen, Deckeln, Trompeten und allem möglichen Schlagwerk gekommen, um genau um 19 Uhr 60 Sekunden lang Lärm zu machen; einen Lärm, der auch im Sitzungssaal des Rathauses und vor allem im Büro des damaligen Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster zu hören sein sollte und wohl auch zu hören war. Dieser Schwabenstreich, so hatten Volker Lösch und ich uns das gedacht, sollte von da an jeden Tag in ganz Stuttgart zu hören sein. Warum haben wir das inszeniert und wie kam es dazu?
Der Juli 2010 war der Beginn des heißen Demonstrationssommers vor den unsäglichen Ereignissen in den kommenden Monaten: dem schwarze Donnerstag und der als "Schlichtung" bezeichneten Farce. Dazu der "Schlichterspruch" von Heiner Geißler, der gar kein Richter war und seinen politischen Freunden einen letzten Gehorsamsdienst erwies – und sich später darüber ärgerte, dass keine seiner im Spruch formulierten Bedingungen erfüllt wurde, wohl wissend, dass sie gar nicht erfüllbar waren.
In den Wochen vor dem ersten Schwabenstreich hatte ich mir immer wieder überlegt, wie sich die Bürgerinnen und Bürger, die S 21 als das sahen, was es war – eine geradezu phantastische Fehlplanung –, Gehör verschaffen könnten. Gehört wurden die Argumente gegen das Projekt, die sich inzwischen alle ausnahmslos als wahr herausgestellt haben, von den Verantwortlichen nämlich nicht. Im Gegenteil: Mit Verunglimpfungen und Beschimpfungen von deren Seite sollte "Ruhe" hergestellt werden, das alles garniert mit Werbesprüchen zur glorreichen Zukunft des Bauwerks, deren Realitätsgehalt gleich Null war.
Mit Volker Lösch, den ich erst durch den Protest gegen Stuttgart 21 kennengelernt hatte, besprach ich die Idee. Täglich, so schlug ich vor, sollte so lange um 19 Uhr für eine Minute Lärm gemacht werden, bis die Verantwortlichen uns anhören würden. Wir waren sicher, dass wir sie durch die Kraft der Argumente zur Umkehr würden bewegen können – was für ein Irrtum im Rückblick.
Zwei Minuten hätten zu weh getan
Der Schwabenstreich sollte überall ausgeführt werden: auf Gehwegen, in den Straßenbahnen, vor dem Landtag, auf Kreuzungen, aus den Fenstern, wo auch immer. Nach dem Vorbild der argentinischen Bevölkerung, die 2002 mit leeren Töpfen, Löffeln, Deckeln und anderem Lärm verursachenden Geschirr auf die Straße ging, um gegen die Regierung zu protestieren. Ursprünglich hatten wir an zwei Minuten Lärm gedacht, aber Volker Lösch, erfahren in solchen Dingen, hat das dann mit mir ausprobiert, und es stellte sich heraus, dass dies doch zu lang wäre – es würde den Ausführenden mehr weh tun als den Adressaten. Am 26. Juli, zwei Tage vor der Premiere, riefen wir zum ersten Schwabenstreich auf.
6 Kommentare verfügbar
Helga Stöhr-Strauch
am 02.08.2020was für ein Zufall: Erst gestern plauderte ich mit meinem Nachbarn hier in Brandenburg. Wir sprachen über Stuttgart, die extreme Hitze im Südwesten und über die zubetonierte, einstmals sehr schöne Stadt. Er, ein rüstiger Mittachtziger, der nicht viel über uns weiß, meinte: "Das habt…