Laibs Vater sammelte auch Werke von Künstlern der Ulmer Hochschule für Gestaltung, unter anderem von Josef Albers: ein ehemaliger Bauhaus-Schüler und -Lehrer, der in der NS-Zeit in die USA emigriert war. "Hommage to the Square" heißt dessen berühmteste Werkreihe: eine Huldigung an das Quadrat. Dass Quadrate Kunst sein können, war für Laib von Kindesbeinen an klar. "Kunst ist das Wichtigste auf der Welt", behauptet er im Film: "Oder nicht?"
Rund um Laibs Haus bei Biberach ist es ruhig. Das größte Ereignis ist der Wandel der Jahreszeiten. Vielleicht sechs Wochen im Frühjahr sind die Wiesen gelb von blühendem Löwenzahn. Schon 1977 begann Laib, den Blütenstaub zu sammeln: eine Tätigkeit, die viel Geduld erfordert, ihn aber noch mehr eintauchen lässt in die Natur. Nicht mehr als ein, zwei Gläschen kommen in einer Saison zusammen. Bei Kiefern ist es etwas mehr, und er kann die Blüten im Stehen erreichen, statt den ganzen Tag auf dem Boden zu kauern.
Die "Stadt des Schweigens"
Dass er seit mehr als 40 Jahren dasselbe tut, stört Laib nicht. Immerfort neue Ideen zu produzieren, ist nicht sein Anspruch. Gleichwohl verlangt die Aufmerksamkeitsökonomie der Kunstwelt, dass eine Ausstellung etwas Neues zu bieten hat. Laib hat seine "Türme des Schweigens", meterhohe Wachs-Stelen, um weitere Skulpturen zu einer "Stadt des Schweigens" erweitert. "Wissen Sie, was Türme des Schweigens sind?", fragt er. Anhänger des Zarathustra im alten Persien legten ihre Toten auf die Dachterrassen runder Türme, wo sich die Geier über sie hermachten. Die Anhänger dieser Religion, die Parsen, leben heute zumeist in Bombay, fügt der Künstler hinzu.
Laib hat seine Werke vor Ort selbst arrangiert. Sie treten dadurch in einen Dialog mit der Architektur, setzen den Kubus des Kunstmuseums in ein neues Licht: vor allem das Reisfeld ganz oben und das Kiefernpollen-Quadrat im Zentrum. Umgekehrt ist das Kunstmuseum bemüht, nicht nur abstrakte Formen vor den Besucher:innen auszubreiten, sondern ihnen auch den Künstler und seine Welt näherzubringen.
Dazu dient der Film, der nach der Premiere im Rahmen des Sommerfestivals des geplanten Haus für Film und Medien nun auch in der Ausstellung zu sehen ist. Und die Zeichnungen und Fotos, die dicht an dicht die Wände in einem Raum des Museums bedecken. Schwarz-Weiß-Fotos, die Laib auf seinen Reisen angefertigt hat: ein hinduistischer Tempel etwa oder eine Opfergabe auf einem Stein in einem Reisfeld.
Zwölf große Zeichnungen zeigen weiße Dreiecke – wie Zipfelmützen – auf crèmefarbenem Papier. Sie beziehen sich auf den Gesang des Milarepa von den zwölf Glückseligkeiten des Yoga. Jetsün Milarepa war ein Yogi der tantrischen Richtung des Buddhismus, der von 1040 bis 1123 im Tibet lebte. Ein weiterer Bezugspunkt für Laib – wie Rumi, wie die Religion der Parsen, aber auch der Heilige Franziskus oder der chinesische Philosoph Lao Tse, dessen Buch "Tao te king" ihm bereits in jungen Jahren der Biberacher Landschaftsmaler Jakob Bräckle nahebrachte, der einzige Freund der Familie.
Der Beginn von etwas anderem
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