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Kontext-Sommerserie

Der zarte Duft von Kiefernpollen

Kontext-Sommerserie: Der zarte Duft von Kiefernpollen
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Aus natürlichen Substanzen wie Blütenstaub, Reis und Milch schafft Wolfgang Laib Kunstwerke, die so ungewöhnlich sind wie seine Biografie. Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt nun eine große Retrospektive auf sein Gesamtwerk.

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Sommer-Softness

"Macht doch mal was Leichtes", hören wir immer wieder in unserer Wochenkonferenz. Was Schönes, Nettes, was zum Schmunzeln! Die Welt, sie sei doch schon übel genug. Also haben wir die Kontext-Sommerserie ins Leben gerufen. Über die großen Ferien schreiben unserer Autor:innen Geschichten, die sie schon immer mal schreiben wollten. Absurdes, Herzerwärmendes oder Nachdenkliches über zarten Blütenstaub, fremde Planeten und seltenes Federvieh. Die einzige Vorgabe der Redaktion: Das Thema muss leicht und fluffig daherkommen, wie Capri-Eis in einer lauen Sommerbrise. Voilà, hier Folge 2.  (red)

Folge 1: Geschlagene Zeilen.

Das gelbe Quadrat scheint zu leuchten. Als ob die Sommersonne hereinschiene. Doch in den innersten Raum des Kubus, die Herzkammer des Stuttgarter Kunstmuseums, dringt kein Tageslicht. Das hellgelbe Quadrat auf dem Boden ist weder von Spots effektvoll angestrahlt, noch handelt es sich um ein Pigment von besonderer Leuchtkraft. Wolfgang Laib hat Blütenstaub von Kiefern auf dem Boden ausgesiebt. Und das wirkt, als hätte einer das Sonnenlicht angeknipst in dem ansonsten leblosen, elektrisch beleuchteten Raum.

Blütenstaub ist etwas mehr als ein Pigment. Blütenstaub und Milch, sagt Laib in dem vom Kunstmuseum zu seiner Ausstellung in Auftrag gegebenen Film, seien die "Essenz des Lebens": Ohne Blütenstaub könnten sich Pflanzen nicht vermehren, und ohne Pflanzen gebe es keine Tiere und Menschen. Milch ist die erste Nahrung aller Säugetiere, auch des Menschen. Milch hat Laib in seinen "Milchsteinen" verwendet: den ersten Kunstwerken, die er ausgestellt hat, zuerst 1976 in der Stuttgarter Galerie Müller-Roth.

Schon bald machten seine Arbeiten die Runde um die ganze Welt: 1979 stellte er erstmals in New York aus und lernte dort seine Frau Carolyn kennen, eine Restauratorin asiatischer Kunst; 1982 war er sowohl auf der Documenta als auch auf der Biennale von Venedig und stellte ab 1989 auch in Japan aus, wo er 2015 den Praemium Imperiale erhielt, den "Nobelpreis der Künste". Die Retrospektive im Kunstmuseum (seine erste Einzelausstellung in Stuttgart seit 1989) zeigt Werke aus allen Schaffensperioden. Darunter auch einen Milchstein.

Ein Stockwerk voller Reishäufchen

Laibs Milchsteine sind rechteckige weiße Marmorplatten mit einem kleinen, millimeterhohen Rand. Vorsichtig gießt er Milch hinein, bis sich diese aufgrund der Oberflächenspannung leicht über den Rand erhebt. Dass es sich um zwei ziemlich konträre Materialien handelt, ist optisch kaum zu erkennen. Im Kunstmuseum werden die Milchsteine allerdings nur einmal im Monat befüllt, jeweils für einen Tag, und dann wieder gereinigt. Bei der sommerlichen Hitze würde die Milch sonst schnell sauer werden und unangenehm riechen.

Eine gewisse Duftnote gehört aber auch zu anderen natürlichen Substanzen, die Laib in seinen Kunstwerken verarbeitet: sehr zart bei den Kiefernpollen, kräftiger bei Bienenwachs oder den tausenden kleinen Reishäufchen, die auf der gesamten obersten Etage des Kubus den Boden bedecken. In diesem "Reisfeld" stehen weiter hinten drei große, mit burmanischem Lack rot oder schwarz gestrichene treppenförmige Skulpturen.

"Zikkurat" nennt Laib die mittlere, beidseitig ansteigende Treppe: nach den babylonischen Tempelbergen und Herrschersitzen, von denen er einige im Alter von 18 Jahren auf Reisen der Familie in den Irak gesehen hat. Sein Vater, Gustav Laib, Arzt in Biberach, hatte in den 1960er-Jahren eine Ausstellung tantrischer Kunst gesehen. Die geometrischen Formen erinnerten ihn an den abstrakten Maler Piet Mondrian. Seitdem wollte er nach Indien. Tantra ist ein Wort aus dem Sanskrit und bezieht sich auf eine bestimmte Richtung des Hinduismus und Buddhismus. 1965 reiste die Familie zunächst in die Türkei: nach Konya, in die Stadt des muslimischen Mystikers Dschalāl ad-Din Rūmi, des Begründers des Sufi-Ordens der tanzenden Derwische. Weitere Reisen in den Irak, Iran, Afghanistan und Indien sollten folgen.

Laibs Biographie ist so ungewöhnlich wie seine Kunst. Nach der Kindheit in Metzingen zog seine Familie in die Nähe von Biberach. Der Vater hatte einen jungen Schweizer Architekten, der am Bau der Ulmer Hochschule für Gestaltung beteiligt war, mit einem modernen, flach gedeckten, rundum verglasten Wohnhaus beauftragt, in dem der Künstler noch heute wohnt. In der ländlichen Umgebung Oberschwabens muss dieses Haus damals gewirkt haben wie ein vom Himmel gefallener Meteorit.

Weißer Marmor mit Milch

Anders als andere Jugendliche, die 1968 achtzehn Jahre alt waren, rebellierte Laib nicht gegen seinen Vater, im Gegenteil. Zusammen besuchten sie Kunstausstellungen, wo immer es ging. Zurück aus der Türkei räumte der Vater, beeindruckt vom Leben einfacher Leute dort, sämtliche Möbel aus ihrer Wohnung. Laib schrieb sich in Tübingen für ein Medizinstudium ein. Als sein Vater 1972 in Südindien ein halbes Jahr an einem Hilfsprojekt der Gandhigram-Stiftung von Schülern Mahatma Gandhis mitwirkte, brachte er von dort das Thema seiner Doktorarbeit mit: "Untersuchungen zur Trinkwasserhygiene im ländlichen Südindien".

Seine Dissertation hat Laib noch geschrieben. Doch als er zurück kam, stürzte er sich zuerst in eine künstlerische Arbeit: In einem zeitaufwendigen Prozess bearbeitete er einen Findling aus schwarzem Granit, bis dieser die ovale Form eines Brahmanda hatte: ein Weltenei. Die Entscheidung für die Kunst war gefallen. Auch wenn Laib heute sagt: "Eigentlich bin ich Arzt geblieben." An der modernen Medizin stört ihn, dass sie nur mit dem materiellen Körper zu tun hat. Ihn interessiert mehr. Ihn interessiert das Ganze.

Die Idee, weißen Marmor mit Milch zu kombinieren, habe er aus Südindien mitgebracht, gesteht Laib. Insbesondere der Jainismus, eine religiöse Richtung, die zur selben Zeit wie der Buddhismus entstand, imponiert ihm. Die Jainas, Vegetarier und Pazifisten, begnügen sich mit dem Lebensnotwendigen. Milchopfer gibt es bei ihnen ebenso wie bei den Hindus. Das monatliche Befüllen von Laibs Milchstein scheint ebenfalls eine rituelle Dimension zu haben. Der Unterschied ist: Es handelt sich um ein Kunstwerk.

Laibs Vater sammelte auch Werke von Künstlern der Ulmer Hochschule für Gestaltung, unter anderem von Josef Albers: ein ehemaliger Bauhaus-Schüler und -Lehrer, der in der NS-Zeit in die USA emigriert war. "Hommage to the Square" heißt dessen berühmteste Werkreihe: eine Huldigung an das Quadrat. Dass Quadrate Kunst sein können, war für Laib von Kindesbeinen an klar. "Kunst ist das Wichtigste auf der Welt", behauptet er im Film: "Oder nicht?"

Rund um Laibs Haus bei Biberach ist es ruhig. Das größte Ereignis ist der Wandel der Jahreszeiten. Vielleicht sechs Wochen im Frühjahr sind die Wiesen gelb von blühendem Löwenzahn. Schon 1977 begann Laib, den Blütenstaub zu sammeln: eine Tätigkeit, die viel Geduld erfordert, ihn aber noch mehr eintauchen lässt in die Natur. Nicht mehr als ein, zwei Gläschen kommen in einer Saison zusammen. Bei Kiefern ist es etwas mehr, und er kann die Blüten im Stehen erreichen, statt den ganzen Tag auf dem Boden zu kauern.

Die "Stadt des Schweigens"

Dass er seit mehr als 40 Jahren dasselbe tut, stört Laib nicht. Immerfort neue Ideen zu produzieren, ist nicht sein Anspruch. Gleichwohl verlangt die Aufmerksamkeitsökonomie der Kunstwelt, dass eine Ausstellung etwas Neues zu bieten hat. Laib hat seine "Türme des Schweigens", meterhohe Wachs-Stelen, um weitere Skulpturen zu einer "Stadt des Schweigens" erweitert. "Wissen Sie, was Türme des Schweigens sind?", fragt er. Anhänger des Zarathustra im alten Persien legten ihre Toten auf die Dachterrassen runder Türme, wo sich die Geier über sie hermachten. Die Anhänger dieser Religion, die Parsen, leben heute zumeist in Bombay, fügt der Künstler hinzu.

Laib hat seine Werke vor Ort selbst arrangiert. Sie treten dadurch in einen Dialog mit der Architektur, setzen den Kubus des Kunstmuseums in ein neues Licht: vor allem das Reisfeld ganz oben und das Kiefernpollen-Quadrat im Zentrum. Umgekehrt ist das Kunstmuseum bemüht, nicht nur abstrakte Formen vor den Besucher:innen auszubreiten, sondern ihnen auch den Künstler und seine Welt näherzubringen.

Dazu dient der Film, der nach der Premiere im Rahmen des Sommerfestivals des geplanten Haus für Film und Medien nun auch in der Ausstellung zu sehen ist. Und die Zeichnungen und Fotos, die dicht an dicht die Wände in einem Raum des Museums bedecken. Schwarz-Weiß-Fotos, die Laib auf seinen Reisen angefertigt hat: ein hinduistischer Tempel etwa oder eine Opfergabe auf einem Stein in einem Reisfeld.

Zwölf große Zeichnungen zeigen weiße Dreiecke – wie Zipfelmützen – auf crèmefarbenem Papier. Sie beziehen sich auf den Gesang des Milarepa von den zwölf Glückseligkeiten des Yoga. Jetsün Milarepa war ein Yogi der tantrischen Richtung des Buddhismus, der von 1040 bis 1123 im Tibet lebte. Ein weiterer Bezugspunkt für Laib – wie Rumi, wie die Religion der Parsen, aber auch der Heilige Franziskus oder der chinesische Philosoph Lao Tse, dessen Buch "Tao te king" ihm bereits in jungen Jahren der Biberacher Landschaftsmaler Jakob Bräckle nahebrachte, der einzige Freund der Familie.

Der Beginn von etwas anderem

Texte aus solchen Weisheitslehren, die Laib etwas bedeuten, zusammen mit kleinen Abbildungen von ihm und seiner Kunst sowie Fotos, die er selbst oder bereits sein Vater auf ihren Reisen angefertigt haben, versammelt eine zur Ausstellung erschienene Publikation in handlichem Format. Die Weltreligionen Islam, Buddhismus, Christentum, Jainismus stehen den deutschen Romantikern und Friedrich Nietzsche gegenüber.

"The Beginning of Something Else" lautet der Titel des Buchs wie der der Ausstellung im Kunstmuseum: der Beginn von etwas anderem. "You Will Go Somewhere Else" heißt eine der ausgestellten Arbeiten: Boote aus Wachs auf einem hohen Gestell aus Holz. Nicht nur in der griechischen Mythologie sind Schiffe wie der Nachen des Charon ein Symbol für die "letzte Reise" des Menschen nach seinem Tod. Anders als manche religiösen Texte gibt Laib nicht vor zu wissen, wohin diese Reise führt.


Die Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart läuft bis 5. November, geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, freitags bis 20 Uhr. Der Milchstein wird befüllt am 20. August, 17. September, 1. Oktober und 22. Oktober, jeweils um 11 Uhr.


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