Ob Antwerpener Bartzwerg oder Bergischer Schlotterkamm, von der Appenzeller Spitzhaube und dem Österreicher Sulmtaler über den Westfälischen Totleger bis hin zum Isländischen Landnahmehuhn: An schillernden Namen herrscht in der Welt der Geflügelrassen nun wirklich kein Mangel. Doch ist darunter einer, der so seltsam ist, dass er beinahe schon etwas unglaubwürdig klingt: Ja, das Deutsche Reichshuhn gibt es wirklich und ernsthaft, es lebt auch im Jahr 2023 unter dieser Rassebezeichnung fort. Hat die AfD also ihr ideales Maskottchen gefunden?
Einer, der über fünf Jahrzehnte seines Lebens der Reichshuhnzucht gewidmet hat, ist Dieter Helm. Er stellt klar, dass die Nazis mit der Namensvergabe nichts zu tun hatten, im Gegenteil. 2006 vertraute der Thüringer der "Welt" an, dass das Reichshuhn noch aus der Kaiserzeit stamme. In der Kindheit habe er von einem Offizier gelesen, der "ein robustes Huhn in den Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot gezüchtet" hat. Weil der Offizier aber, so schildert es Helm, "von den Nazis als Sozialdemokrat verunglimpft wurde", hätten sie seine Hühner in der NS-Zeit verboten. Auch die DDR wollte seinen Angaben zufolge nichts von Reichshühnern wissen, "aus ideologischen Gründen". Also habe er die Eier zum Ausbrüten über die Grenze schmuggeln lassen.
So schön die Geschichte klingt: Eine vertiefende Recherche fördert keine Erkenntnisse darüber zutage, dass das Deutsche Reichshuhn tatsächlich im antifaschistischen und antikommunistischen Widerstandskampf aktiv war. Beim Offizier, der auf die Idee kam, zur Stärkung der nationalen Identität ein Reichshuhn zu erzüchten, handelt es sich um den Hauptmann Wilhelm Cremat, einen echten Tausendsassa, vielleicht der letzte da Vinci. Sein "Lehrbuch zur Nutzgeflügelzucht" umfasst 731 Seiten, aber er schrieb auch über "Wortschatz und Phraseologie der russischen Sprache" oder militärstrategische Methoden zur Befestigung von Schlössern und Burgen. Seine medizinische Expertise wollte Cremat der Welt nicht vorenthalten. So erschien sein Werk über die weißen Blutkörperchen als "Erreger sämtlicher Krankheiten" im Verlag der Nutzgeflügelzucht, außerdem 1912: "Krebs und Tuberkulose: Die Lösung ihres Problems und die Heilung mit einfachen Mitteln".
Reichshuhn vom Reißbrett
Eine Infobroschüre der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung präzisiert allerdings: "Um 1900 wurde im deutschen Kaiserreich auf Anregung des Hauptmannes Cremat beschlossen, ein deutsches Nationalhuhn zu züchten." Kein Wort davon, dass es Cremat selbst gelungen ist. Insgesamt lässt die Quellenlage zu wünschen übrig. So beschreibt der mehrfach preisgekrönte Autor und Lyriker Wulf Kirsten in einem Buch von 1984, wie die Kleinstadt Kleewunsch schon seit altersher "als eine Hochburg der Rassegeflügel- und Rassekaninchenzucht" gegolten habe. Zudem seien es höchste Erwartungen, die an den jungen Drogeristen Karl Hafermalz gestellt worden sind, wegen dessen "überdurchschnittlicher Züchterbegabung".
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