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Kontext-Sommerserie

Flucht auf den Mars

Kontext-Sommerserie: Flucht auf den Mars
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Während wir hier in Stuttgart vor uns hinbrüten, hat es auf dem Mars gerade etwa -60 Grad. Allein, dass wir diese Information überhaupt haben, ist faszinierend. Seit Sommer 2021 gurkt Perseverance, der neueste Mars-Rover der Nasa, auf dem roten Planeten herum. Damit die Welt hier unten die da oben besser versteht.

Manchmal, wenn eine Mission gut geklappt hat, macht "Perseverance" ein Selfie. Nachdem der Rover erfolgreich einen Stein namens Rochette angebort hat zum Beispiel. Dann dreht sich der Roboterarm mit Kamera zum Körper, surr, klick, Selfie vom Mars.

Perseverance ist der jüngste Mars-Rover der Nasa. Und wenn er Bilder schickt oder Videos, bin ich immer wieder fasziniert. Sind das Skelette?!, fragt die Internet-Gemeinde dann aufgeregt angesichts irgendwelcher Mars-Formationen. Ne, Steinstruktur. Oder da, ein Gesicht?! Ne, auch Stein. Und ist das nicht ein Eingang?? Leider nur optische Täuschung. Rätselraten mit der US-Weltraumbehörde.

Ja, natürlich. Raumfahrt war schon immer hochpolitisch. Und eine Verlängerung irdischer Verhältnisse ins All, was meistens eher nicht schmeichelhaft ist für uns Erdenmenschen. Waren es zu Zeiten der Boomer und des Kalten Kriegs zwei Systeme, die sich gegenseitig beweisen mussten, wer der schnellere auf den Mond ist, erleben wir jetzt die Kapitalisierung des Weltalls. Die Raumfahrt, die mal eine Sache von Regierungen war, ist so stark mit privaten Unternehmen verflochten, dass sie ohne dieses Kapital wohl eingehen würde. Hauptakteure sind der Gründer des Versandriesen Amazon, Jeff Bezos, und Tesla-Twitter-Obertroll Elon Musk, der den Mars besiedeln will. So gesehen die perfekte Charakterisierung unserer Zeit.

Der Mars beruhigt die Nerven

2022 war das Jahr, in dem so viele Satelliten in den Orbit geschossen wurden wie nie zuvor. Derweil sausen rund um die Erde 30.000 Weltraumschrott-Teile über zehn Zentimeter, die kleineren nicht mitgezählt. Demnächst, lese ich, steht Space Mining an, der Abbau von Bodenschätzen auf Asteroiden. Klingt jetzt schon nach Streit. Menschen machen eigentlich immer und überall Probleme.

Sommer-Softness

"Macht doch mal was Leichtes", hören wir immer wieder in unserer Wochenkonferenz. Was Schönes, Nettes, was zum Schmunzeln! Die Welt, sie sei doch schon übel genug. Also haben wir die Kontext-Sommerserie ins Leben gerufen. Über die großen Ferien schreiben unserer Autor:innen Geschichten, die sie schon immer mal schreiben wollten. Absurdes, Herzerwärmendes oder Nachdenkliches über zarten Blütenstaub, fremde Planeten und seltenes Federvieh. Die einzige Vorgabe der Redaktion: Das Thema muss leicht und fluffig daherkommen, wie Capri-Eis in einer lauen Sommerbrise. Voilà, hier Folge 4.  (red)

Folge 1: Geschlagene Zeilen
Folge 2: Der zarte Duft von Kiefernpollen
Folge 3: Ein Lurch wie ein Land

Perseverance habe ich entdeckt, als der Ukraine-Krieg begann und die Nachrichtenlage kaum ein Atemholen zugelassen hat. Auf unserem Nachbarplaneten dagegen geht es ruhig zu. Keine Probleme, die uns betreffen. Nichts, was man selbst verändern könnte oder müsste. Stein und Staub bis zum ockerfarbenen Horizont, egal wie weit man in welche Richtung auch immer gehen würde. In unserer völlig überfüllten Welt, wo noch ein winziges Quadratmillimeterchen Platz mit Einfamilienhäusern oder mindestens Werbung zugepflastert wird, kaum vorstellbar. Wie es sich wohl anfühlt auf dem Mars zu stehen? 

Leicht jedenfalls. Die Schwerkraft ist geringer als auf der Erde – wer hier 70 kg wiegt, wiegt dort gerade mal 30. Sein Durchmesser ist halb so groß wie der unseres Planeten, die Atmosphäre ist dünn. Einsenoxyd färbt den Mars rostrot. Zwei kleine Monde umkreisen ihn, ein Mars-Tag ist 40 Minuten länger als ein Tag bei uns. Sein höchster Berg, Olympus Mons, ist zweieinhalb mal höher als der Mount Everest. Irgendwann sollen dort bekanntermaßen Menschen hin, spätestens dann ist es vorbei mit der Beschaulichkeit.

Schon in den Sechzigerjahren hat die Sowjetunion erste Mars-Missionen begonnen und Sonden ins All geschickt, die am Mars vorbeifliegen sollten. Die erste, die erfolgreich dort landete, war 1976 der Mars-Orbiter Viking 1 der Nasa. Es folgten mehr oder minder erfolgreich der Beagle der Briten, ein Gefährt wie eine Schildkröte, dessen Panzer sich zu Solarpanels ausklappen ließ. Dann gab es Spirit, Opportunity, Curiosity, die Europäische Raumfahrtagentur Esa schickte in Zusammenarbeit mit Russlands Roskosmos Schiaparelli auf den roten Planeten, flach wie eine Pizza, mit Hubbeln und Boppeln an der Oberfläche, wie silbrig glänzende Tomaten. Am 14. Mai 2021 landete Zhurong aus China, ein Rover wie ein großes Insekt, kurz zuvor hatte Perseverance auf dem Mars aufgesetzt. Jetzt, wo ich hier schreibe und Sie hier lesen, bewegt Perseverance sich langsam über den roten, steinigen Boden auf einem Planeten, der so weit weg ist, dass ein menschliches Gehirn die Entfernung nicht fassen kann. Und der Rover fährt. Jetzt. In diesem Moment.

Nach Blut, Schweiß und Tränen: klappt‘s

Gebaut wurde er in eigens entwickelten Reinräumen von Menschen in Ganzkörperanzügen, mit Gesichtsmasken und Klebestreifen um die Handgelenke, die Handschuhe und Overall verbinden, um den Rover frei von irdischen Keimen zu halten.

Die Rakete mit Perseverance an Bord ist am 30. Juli 2020 von Cape Canaveral gestartet. Sieben Monate ist sie geflogen, 480 Millionen Kilometer weit. Mit einer unfassbaren Geschwindigkeit von 21 Kilometern in der Sekunde ist sie durch den Weltraum gerast, durch Vakuum, Nichts, absolute Leere.

Und dann die Landung am 18. Februar 2021, Mars, Nordhalbkugel. Funksignale brauchen elf Minuten von uns bis dorthin, also musste Perseverance komplett autark landen, ohne Hilfe von der Erde. Per Drohne wurde der Rover die letzten Meter langsam an Drahtseilen auf den Boden abgelassen, um nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Marsstaub ist hartnäckig und setzt sich fest in Ritzen und Instrumenten.

Es gibt eine Doku, die den Moment der Landung eingefangen hat. Corona zwang auch die Nasa ins Homeoffice. Da sitzen 2021 also dutzende Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen vor den Bildschirmen, die jahrelang an dieser Mission mitgearbeitet haben. Und dann: klappt alles. Was muss das für ein grandioser Moment sein. Einer der Mitarbeitenden sitzt im Film alleine vor dem Bildschirm. "Ich will jemanden drücken!", ruft er mit Tränen in den Augen. Was für ein Erfolg. Und was für eine Vorstellung: Ein Gefährt fliegt eine so lange Strecke auf einen fremden Planeten, auf der Erde programmiert, in Wüsten getestet, tausende Male optimiert, Blut, Schweiß, Tränen, und dann: ein einziger Versuch ... Millionen Kilometer entfernt. Irre.

Kurz darauf sendet Perseverance die ersten Bilder. Und: Töne! Vom Mars! Zu hören ist das Rauschen des Winds und der Rover. Das eigene Ohr gefühlt auf einem anderen Planeten. Jetzt, wo ich das hier hinschreibe, kommt es mir so unspektakulär vor. Aber wie kann es ein, dass wir hier sitzen auf unserer Erde, und dann sehen wir Fotos und Videos, hören Audios von so verdammt weit weg aus einer völlig anderen Welt, die nichts zu tun hat mit unserer. Wie klein wir sind. Wie unwichtig.

Auf der Suche nach den Zutaten für das Leben

Die Marsatmosphäre ist sehr dünn, der Luftdruck so niedrig, dass der Planet kaum Wärme der Sonne speichern kann. Am Äquator kann es auch mal 20 Grad haben, aber nachts wird es mit bis zu minus 80 Grad bitterkalt. Es gibt Sandstürme auf dem Mars und laue Lüftchen, vereiste Polkappen. Im Sommer bilden sich manchmal Wolken aus Eis, leuchtend weiße zarte Bänder am Himmel mit einem seidigen Schimmer an den Rändern.

Forschende haben in der Nähe des Mars-Äquators in der Vergangenheit mal eine vulkanische Landschaft entdeckt, wie runzelige Haut mit in sich gedrehten wunderschönen Schnecken-Formen. Es gibt auf dem Mars vier Kilometer hohe Klippen! Einst muss es einen riesigen Fluss gegeben haben, mit 10.000-mal so viel Wasser wie der Amazonas heute führt. Der Mars war mal ein feuchter Planet, zu der Zeit, als sich auf der Erde gerade Leben entwickelte. Warum also ist nur auf unserem Planeten Leben entstanden und nicht auf dem roten?

Um das zu erforschen, gibt es Perseverance. Der Rover soll Chnops finden. Heißt wirklich so: Chnops. Ein Akronym für die sechs wichtigsten Elemente: Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor und Schwefel, die Zutaten für das Leben.

Der Rover ist im Jezero-Krater gelandet, einem alten Meteoritenkrater, in dem vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren mal ein großer See gewesen sein muss. Aus den Bergen drumherum ergossen sich Flüsse in den See, deshalb versprechen sich die Forschenden in den Tonmineralen und Karbonaten eines Flussdeltas versteinerte Mikroorganismen zu finden. Mit seinem Bohrer am Arm bohrt der Rover also Löcher in Boden und Steine, um Proben zu entnehmen, die er in Behälter verschließt und auf dem Boden liegen lässt. In der Hoffnung, dass eine geplante nächste Mission sie zur Erde bringt.

Perseverance in Daten

Die Entwicklung von Perseverance hat 2,2 Milliarden Euro gekostet. Der Rover ist eine Tonne schwer, er hat 23 Kameras, manche so stark, dass sie ein Sandkorn auflösen können. Eine Wetterstation, Radar, einen Roboterarm mit fünf Gelenken und Steinbohrer sowie Ultraviolett- und Röntgen-Spektrometer, die Sedimente in ihre Bestandteile zerlegen. Fünf Kilo Plutonium sorgen für Strom und laden zwei Lithium-Ionen-Batterien, überschüssige Wärme wärmt einen Wasserkreislauf, der die Elektronik in den kalten Nächten schützt. (ana)

Perseverance kann aus der dünnen Luft auf dem Planeten Sauerstoff extrahieren. Moxie (Mars Oxygen In-Situ Resource Utilization Experiment) heißt das Gerät, ein toastergroßes Teil im Inneren des Rovers. Und es funktioniert! Hochskaliert auf Kühlschrank-Größe, könnte es zumindest ein paar Menschen kurze Zeit versorgen. Wie abgefahren das ist!

Und dann hat Perseverance noch eine kleine Drohne dabei, Ingenuity, ein solarbetriebener Mini-Hubschrauber mit zwei kleinen Kameras. Keiner wusste zuvor, ob die Drohne in der Marsatmosphäre fliegt. Denn wenn sie zu dünn ist, ist der Auftrieb zu schwach. Zwei Kohlenfaserrotoren, die sich 3000-mal in der Minute drehen, sollten es richten. Gewicht: fast nichts. In einem Fernseh-Interview wurde eine Ingenieurin der Drohne gefragt, ob sie zufrieden sei mit ihrem Fluggerät. Die Frau erzählt, wie sie getüftelt, gemessen, gerechnet und getestet haben, Jahre, damit dieses Ding zumindest theoretisch in die Luft geht. Und dann ist es tatsächlich das erste Mal auf dem Mars gestartet. Schnurgerade abgehoben, super Landung. "Es ist einfach perfekt austariert!", erzählt die Ingenieurin voller Begeisterung.

Vor ein paar Tagen ist einer der Flüge mit dem Drohnen-Helikopter nicht so gelungen wie gedacht, und die Wissenschaftler:innen starteten einen außerplanmäßigen Testflug. Auch davon gibt es ein Video. Die Drohne steht auf dem Boden, die Beinchen vorwitzig in den Sand gestützt. Plötzlich beginnen die Rotoren sich zu drehen, immer schneller und schneller, dann hebt der Mini-Hubschrauber ab, fliegt hin und her und setzt wieder auf dem Marsboden auf. Millionen Kilometer entfernt. Und ich kann zuschauen. Irre. Was für ein schöner Eskapismus.


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1 Kommentar verfügbar

  • Manfred Korn
    am 23.08.2023
    Antworten
    Flucht auf den Mars
    Abgesehen vom etwas laschen Stil ein umfassender Artikel! Vielen Dank für die nette Zusammenstellung der Geschehnisse auf dem Mars. Ich verfolge die Projekte seit langem, da mich Raumfahrtthemen seit meiner Jugend begleiten und ich im Beruf teilweise teilnehmen konnte. Es ist…
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