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Streit um Freiburger Weihnachtsmarkt

Klima versus Glühwein

Streit um Freiburger Weihnachtsmarkt: Klima versus Glühwein
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In Freiburg will ein Klimacamp nicht für den Weihnachtsmarkt weichen. Die Stadtverwaltung hält nichts von symbolischen Aktionen und spricht von konkretem Handeln. Doch beim Blick auf ihre Taten bröckelt das Image der "Green City".

Mitten im Sommer wird in Freiburg über den Winterbeginn gestritten. Im Mittelpunkt steht der Weihnachtsmarkt, der sich in den vergangenen Jahren immer weiter ausgedehnt hat und zuletzt 1,2 Millionen Besucher:innen anlockte. Jetzt aber droht eine Störung im seligen Betriebsablauf. Schon seit Juli 2022 stehen Zelte auf dem Rathausplatz. Sie gehören zum Klimacamp, das wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise einfordert, den Protest in die Freiburger Innenstadt tragen will und unter dem Motto "Wir campen, bis ihr handelt" steht. Dabei wollen sie so lange auf dem Rathausplatz bleiben, "bis die politischen Entscheidungsträger*innen endlich unsere Lebensgrundlagen schützen". Allerdings gaben die Camper:innen den innerstädtischen Platz vor dem historischen Freiburger Rathaus Ende 2022 noch brav frei, damit dort ohne Einschränkungen Glühwein getrunken werden konnte.

Dieses Jahr zeigen die Aktivist:innen weniger Entgegenkommen. Sie wollen die Zelte nicht abbauen, ohne dass die Stadt auf Forderungen eingeht. Der sozial-ökologische Notstand solle ausgerufen werden. Und sie verlangen "einen konsistenten Plan, einen mit Zahlen hinterlegten Transformationspfad, wie wir das selbstgesteckte Ziel der Klimaneutralität bis 2035 erreichen", sagt Tobias Kurzeder beim Gespräch im Salon des Guten Lebens, einem Zelt des Freiburger Klimacamps. An der Zeltwand hängt ein Bild Stuttgarts, das eine Innenstadt mit vielen begrünten Fassaden und Dächern und ohne Autos zeigt. Noch ist das keine Wirklichkeit, sondern eine Visualisierung von Plänen. Doch solchen grünen Innovationsgeist vermissen die Aktivist:innen in der Green City Freiburg.

Dabei ist die Stadtverwaltung hier bemüht, das Bild einer ökologisch vorbildlichen Kommune zu pflegen. Neben dem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, habe man "einen viele Millionen schweren Klimaschutzfonds ins Leben gerufen", kümmere sich "um die Zukunft der Mobilität", baue das Fernwärmenetz aus "und noch vieles mehr". Entsprechend selbstbewusst heißt es aus dem Rathaus: "Wir setzen beim Klimaschutz auf konkretes Handeln statt auf symbolische Aktionen wie einen Notstand auszurufen." In diesem Sinne erfolgt auch die unmissverständliche Ankündigung, sofern das Klimacamp nicht freiwillig umzieht, eine Räumungsverfügung vor Gericht erstreiten zu wollen.

Klimaschutzfonds für den Kfz-Verkehr

Das konkrete Handeln der örtlichen Politik hinterlässt aber durchaus Fragezeichen, zum Beispiel im Mobilitätsbereich – nicht nur weil die Bundesstraße 31 zur unterirdischen Stadtautobahn ausgebaut werden soll (Kontext berichtete). Kürzlich brachte der Freiburger Gemeinderat zum Beispiel die Sanierung der Bahnhofsgarage auf den Weg. Es handelt sich dabei um ein Parkhaus mit drei Parkdecks direkt am Bahnhof. Die bisher veranschlagten Kosten betragen 9,5 Millionen Euro und entsprechen damit etwa den gesamten Ausgaben für den Fuß- und Radverkehr in Freiburg über den Zeitraum von drei Haushaltsjahren.

Der alternative Verkehrsclub VCD Südbaden hatte sich im Vorfeld der Entscheidung für eine Umwandlung in eine Fahrradgarage ausgesprochen und forderte die Gemeinderäte dazu auf, die Sanierung nicht abzunicken. Genau das allerdings geschah. Lediglich die linke Fraktion "Eine Stadt Für Alle" enthielt sich bei der entsprechenden Abstimmung. Immerhin gibt es den Auftrag an die Stadtverwaltung, im Zuge der Sanierung "eine Teilnutzung der Tiefgarage für Fahrräder, insbesondere auch für das Abstellen und Laden von Lastenrädern, E-Rädern und Fahrrädern mit Anhängern, zu prüfen und ggf. umzusetzen".

Wie diese Prüfung ausfallen wird, hat die Freiburger Stadtverwaltung bereits durchklingen lassen. Die Zugangsrampen, die eine Steigung von 13 Prozent aufweisen, seien zu steil, um das Gebäude für Fahrräder zu nutzen. Man befürchtet Haftungsansprüche bei Unfällen, heißt es aus dem Rathaus. Der VCD verweist allerdings auf die Rampe, die an der noch recht neuen Freiburger Unibibliothek ins unterirdische Fahrradparkhaus führt. Ergebnis: Diese Rampe, die das Land Baden-Württemberg zu verantworten hat, ist zwei Prozent steiler als die Zugänge der Bahnhofsgarage.

Fabian Kern, Geschäftsführer des VCD Südbaden, erklärt, dass das Parkhaus mit Ausnahme von wenigen Samstagen in der Regel nicht ausgelastet sei. Freie Abstellmöglichkeiten für Fahrräder sind rund um den Freiburger Hauptbahnhof hingegen eine Seltenheit, um die "Abstellen verboten"-Schilder der Deutschen Bahn kümmere sich niemand. Obwohl die teure Sanierung der Bahnhofsgarage vermutlich einzig und allein dem motorisierten Kfz-Verkehr zugutekommt, fließen auch noch Gelder aus dem von der städtischen Pressestelle hervorgehobenen Klimaschutzfonds in das Projekt. 40.000 Euro gibt es dafür, dass im Parkhaus Leuchtstoffröhren durch LED-Lichter ersetzt werden.

Von Autos dominierte Fahrradstraße

Ist die Freiburger Zukunft der Mobilität denn ansonsten ein leuchtendes Beispiel für eine echte Verkehrswende? Da könnte man wieder auf den Konflikt rund um den Freiburger Weihnachtsmarkt zurückkommen. Das Klimacamp schließt nämlich einen Umzug während des Marktes nicht komplett aus, selbst wenn der sozial-ökologische Notstand nicht ausgerufen werden sollte. Die Aktivist:innen schlagen vor, Zelte, Infotafeln und Solaranlagen auf einer Seite der Rempartstraße aufzubauen. Diese Straße überqueren täglich Tausende von Studierenden, um von mehreren Universitätsgebäuden zur Mensa und zurückzugelangen. Seit Längerem setzen sich klimapolitische und studentische Gruppen dafür ein, dass sie von Autos befreit wird, auch um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

So gab es dann auch einen längeren Verkehrsversuch, der die Fahrradstraße in eine Richtung komplett für den Autoverkehr sperrte. Aus Sicht der Stadt Freiburg ist dieser Versuch allerdings gescheitert. Sie führt die Rückstaus aus zwei weiteren Parkhäusern in der Rempartstraße auf die Einbahnstraßenregelung zurück. Seitdem diese wieder aufgehoben wurde, das zeigen Zahlen vom Fuß- und Radentscheid und des VCD, ist der Kfz-Verkehr erneut die dominierende Verkehrsart in der Straße, die eigentlich als Fahrradstraße ausgewiesen ist.

Die Freiburger Stadtverwaltung lehnt eine Verlagerung des Klimacamps während des Weihnachtsmarktes dorthin ab, weil die Rempartstraße dafür "vor der Mensa für rund sieben Wochen gesperrt werden müsste. Da die Auswirkungen dieser Sperrung auf die Verkehrssituation – auch im Hinblick auf die Erreichbarkeit der Innenstadt in der Vorweihnachtszeit und die Lage der Parkhäuser in der Rempartstraße – zu erheblich sind, ist dieser Vorschlag nicht umsetzbar".

Heilige Konsumorgie

Somit scheint es tatsächlich auf eine gerichtliche Auseinandersetzung hinauszulaufen. Denn die von der Stadtverwaltung ins Spiel gebrachten alternativen Örtlichkeiten lehnt wiederum das Camp-Plenum ab. Der Platz der alten Synagoge habe keinen Bezug zu den Forderungen, der Platz vor dem neuen Rathaus im Stadtteil Stühlinger sei zu abgelegen, "um einen intensiven Austausch mit der Bevölkerung zu erreichen".

Dass solch ein Austausch mit der Bevölkerung stattfindet, selbst wenn die Zelte im Alltag eher nicht von einer größeren Zahl an Aktivist:innen bevölkert sind, zeigt sich, wenn man am Rathausplatz ist. Immer wieder bleiben Passant:innen stehen und betrachten die Infotafeln. Auf ihnen wird gegen die geplante Stadtautobahn als "Klima Killer" protestiert und gegen die weitere Abholzung des Dietenbachwaldes. Bei einem Wettbewerb für die Gestaltung des neuen Stadtteils hat ausgerechnet der Plan gewonnen, der am meisten Wald kosten würde. Scientists Rebellion informiert über "spür- und sichtbaren Klimawandel" und seine Auswirkungen auf Flora und Fauna in Baden-Württemberg.

Es finden auch zufällige Gespräche wie am vergangenen Donnerstag statt, als ein älteres Paar sich dem Infozelt näherte. Die Frau drückte ihre Sorge um den Weihnachtsmarkt aus. Dieser sei wichtig für die Menschen in Freiburg und die Tourist:innen, beim Klimacamp seien sie doch wenige. Der Angesprochene im Infozelt reagierte prompt, sie müsse sich keine Sorgen machen, denn der Weihnachtsmarkt sei doch heilig. Er war wohl nicht über die Plenumsbeschlüsse des Camps informiert. Denn darin heißt es: "Der Freiburger Weihnachtsmarkt ist Teil eines immer stärker kommerzialisierten Weihnachtsfestes, das sich zunehmend von seinem religiösen Kern entfernt. Der stark steigende Konsum großer Mengen alkoholischer Getränke und der Party-Charakter des Freiburger Weihnachtsmarktes belegen diese Entwicklung."

Die Ankündigung einer Abbauverfügung vom 8. November bis zum 25. Dezember beantwortete das Klimacamp also per Anwaltsschreiben, das eine erzwungene vollständige Räumung des Rathausplatzes als rechtswidrig bezeichnet. Die juristische Auseinandersetzung in Freiburg könnte auch eine bundesweite Relevanz haben, gibt es doch wenig Rechtsprechung, die auf Dauer angelegte Protestcamps in den Blick nimmt. 2022 erklärte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil zum Klimacamp gegen den Kohleabbau im Rheinland: "Auf eine gewisse Dauer angelegte Protestcamps wie das in Rede stehende Klimacamp sind als Versammlungen durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit geschützt, wenn sich aus der Gesamtkonzeption des Veranstalters nach objektivem Verständnis ein auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter kommunikativer Zweck ergibt." Es schränkt aber ein – und darauf beruht die Hoffnung der Stadt Freiburg, Recht zu bekommen –, je länger eine "solche Versammlung dauern soll, desto höheres Gewicht erlangen Rechte Dritter und öffentliche Belange, die durch das Camp beeinträchtigt werden können".

Was hat nun Vorrang? Die Tradition des Glühweintrinkens oder eine von vielen Protestmaßnahmen gegen das Verheizen des Planeten? Darüber werden wohl die Gerichte urteilen müssen. Auf das Angebot des Klimacamps, sich zu verkleinern und in den Weihnachtsmarkt zu integrieren, will die Stadt Freiburg offenbar nicht eingehen. Insgesamt weist der Markt inzwischen über 130 Stände auf, die sich längst weit über den Rathausplatz ausgebreitet haben. Der Weihachtmarkt soll störungsfrei wie gewohnt, eben ganz normal stattfinden. Ein Klimacamp, das darauf hinweist, dass es solche "Normalität" mit der Klimakatastrophe bald nicht mehr geben könnte, behindert den Eskapismus.


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2 Kommentare verfügbar

  • a.menz
    am 14.08.2023
    Antworten
    Herr Karl Heinz Track,
    bitte ! Lesen Sie von Lion Feuchtwanger : Die Geschwister Oppermann. Danke. Insgesamt sollten für ALLE seine Bücher zur Pflicht werden.
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