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Fluch der Karibik: Razzias Rückkehr

Fluch der Karibik: Razzias Rückkehr
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Es ist ein bisschen wie mit Filmreihen, die schon eine oder zwei Fortsetzungen zu viel hatten und mit den neuesten Episoden nur noch abstruser werden. Keine Sorge, hier geht es nicht um den sechsten Fluch der Karibik. Doch ganz als wäre eine Drehbuch-Autorin krampfhaft bemüht, einer Cash-Cow ihren letzten Tropfen abzupressen, nimmt auch die Arbeit der Karlsruher Staatsanwaltschaft langsam dadaistische Züge an. Die Jagd nach einem Phantom scheint nach mittlerweile sechs Jahren zur Obsession geworden zu sein. Aber der Reihe nach.

Nach dem G-20-Gipfel 2017 in Hamburg hat Kontext wiederholt über dessen Folgen berichtet. Neben diversen Artikeln über Polizeigewalt oder Aktivist:innen, die für Krawalle in Sippenhaftung genommen werden sollen, lag ein Schwerpunkt auf den kuriosen Blüten, die das Verbot des Portals "linksunten.indymedia" trieb. Von Anfang an legte die Staatsgewalt bei der Strafverfolgung ein hohes Maß an Kreativität an den Tag. So handelte es sich bei "linksunten.indymedia" laut Innenminister Strobl um die "wichtigste Plattform des gewalttätigen Linksextremismus" in Deutschland. Verboten wurde diese Plattform aber nicht als Medium, sondern als Verein, von dem zuvor niemand wusste, dass er existiert. Also konstruierte das Bundesinnenministerium selbst einen solchen, um den informellen Zusammenschluss verbieten zu können, ohne sich mit den kniffligen Fragen der Pressefreiheit herumquälen zu müssen.

Im Zusammenhang mit dem Verbot gab es 2017 eine Razzia im linken Freiburger Kulturzentrum KTS sowie in Privatwohnungen fünf mutmaßlicher "Vereinsmitglieder". Doch der Tatverdacht ließ sich nicht ausreichend erhärten, es kam nie zu einer Gerichtsverhandlung. Am 12. Juli 2022, nach fünf Jahren intensiver Arbeit, stellte die Staatsanwaltschaft ihr letztes Ermittlungsverfahren wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung" aus Mangel an Beweisen ein. Bis hierhin noch nicht allzu blamabel, abgesehen davon vielleicht, dass es den Ermittlungsbehörden trotz vereinter Bemühungen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz nicht gelang, eine beschlagnahmte Festplatte zu entschlüsseln.

Doch so ganz mit leeren Händen dazustehen ist ja auch nicht schön, und zumindest an mangelndem Eifer soll die Aufklärung nicht scheitern. So berichtete der Journalist und Kontext-Autor Fabian Kienert für den freien Sender "Radio Dreyeckland" über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die mutmaßlichen Betreiber und beendete seinen Bericht mit der lapidaren Bemerkung: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Weil besagte Archivseite verlinkt war, stand für die Staatsanwaltschaft fest: Kienert habe sich "als Sprachrohr in den Dienst" der verbotenen Vereinigung gestellt und die Berichterstattung sei "nur vorgeschoben" zur "Verdeckung der Absicht, zugunsten der mit dem Verbot belegten Vereinigung Propaganda zu treiben". Grund genug für noch mehr Hausdurchsuchungen und eine Anklage gegen Kienert.

Dem Landgericht Karlsruhe war das zu blöd. Die Richter:innen hielten es für offensichtlich, dass der angeklagte Sachverhalt "unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar" sei. Die Kammer prüfte dabei, ob man eine Vereinigung, die es nicht mehr gibt, überhaupt unterstützen kann, und kam zu dem Resultat: nein, kann man nicht. Auf Anfrage des FDP-Landtagsabgeordneten Nico Weinmann konnte auch das baden-württembergische Innenministerium keine Aktivitäten des verbotenen "Vereins" seit 2017 benennen.

Das Landgericht Karlsruhe wollte daher eigentlich gar nicht über die Anklage gegen Kienert verhandeln, muss es nun aber doch, weil die Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung erfolgreich Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt hat. Von diesem einen Etappensieg womöglich etwas übermotiviert, machte sich die Karlsruher Staatsanwaltschaft vergangene Woche daran, direkt die nächsten Razzien zu initiieren: Und zwar gegen exakt jene fünf Personen, bei denen es schon vor sechs Jahren Hausdurchsuchungen gab, weil sie als Betreiber der verbotenen Plattform verdächtigt worden sind – ohne dass damals die erhofften Beweise festgestellt werden konnten. Was nun als Erkenntnisgewinn zu erwarten ist? Eine Redensart, die fälschlicherweise Albert Einstein zugeschrieben wird, besagt: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."


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1 Kommentar verfügbar

  • Philipp Horn
    am 09.08.2023
    Antworten
    Wenn sie sich doch auch mit dem gleichen Eifer um die braune Bruht kümmern würden.
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