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Ausländerbehörde in Stuttgart

"Als hätte ich nicht existiert"

Ausländerbehörde in Stuttgart: "Als hätte ich nicht existiert"
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Den Urlaub verpassen, weil das Bürgerbüro zu lange braucht für einen neuen Pass? Lästig. Doch wegen einer überlasteten Behörde seinen Job verlieren oder sogar abgeschoben werden? Bittere Realität für Kund:innen der Stuttgarter Ausländerbehörde.

Vor fast sieben Jahren ist Dolores Veledar-Peric aus Bosnien-Herzegowina weggegangen. Seitdem lebt sie mit ihrer Familie in Stuttgart. "Und bis heute ist es das gleiche, was ich in der Ausländerbehörde in Stuttgart erlebe", erzählt sie entrüstet. "Man erreicht niemanden, kriegt keine Infos und selbst die Mitarbeitenden wirken so, als wüssten sie nicht, wo man Informationen herkriegt."

Veledar-Peric sitzt bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse eines Cafés und trinkt Cappuccino. Die 44-Jährige hat ihre Haare zur Seite gekämmt, um ihren Hals hat sie ein Seidentuch gelegt, farblich abgestimmt auf ihr Kleid und den roten Lippenstift. Es ist ihr ein Anliegen, über die Erfahrungen zu sprechen, die sie und viele andere in der Eberhardstraße 39 gemacht haben, wo ein Büro der Stuttgarter Ausländerbehörde sitzt.

Sie und ihr Mann lernen sich in Bosnien kennen, in den noch frischen Spuren des Krieges in den 1990ern. Er verlässt das Land für die Arbeit, geht erst nach Ungarn, dann nach Kanada. Sie bleibt in dieser Zeit zurück, will ihre Heimat zunächst nicht verlassen. Doch irgendwann hält auch sie es nicht mehr aus: "Korruption, Xenophobie, Homophobie, schon damals war der Nationalismus groß. Das wollten wir nicht mehr erleben". Die beiden möchten gemeinsam ein Kind großziehen, ihm eine andere Zukunft bieten. Ihre Wahl fällt schließlich auf Deutschland, hier erhoffen sie sich ein Leben ohne unsichtbare Hürden und Stigmatisierung.

Veledar-Peric ist ausgebildete Krankenschwester, Kunstlehrerin und hat eine Weiterbildung in Gruppentherapie. Seit drei Jahren arbeitet sie für die NGO Elvan Âlem, dort ist sie verantwortlich für ein Projekt, dass Migrant:innen aus der LSBTTIQ+-Community bei der Integration unterstützt. Dolores Veledar-Peric blickt streng, wenn sie spricht, ihre Körperhaltung ist gerade. Doch während sie über die Ausländerbehörde berichtet, lehnt sie sich aufgewühlt nach vorne.

"Regelmäßig kommen meine Klient:innen auf mich zu und erzählen mir, dass sie niemanden auf der Ausländerbehörde erreichen. Sie fragen mich dann, ob ich ihnen helfen kann. Aber nicht mal, wenn wir uns als NGO an die Behörde richten, kriegen wir eine Antwort. Und wenn man hierherkommt, muss man lange warten und steht dann vor der Tür, aber kommt nicht weiter. Wie erreicht man die Menschen hier?", fragt sie und deutet mit dem Kopf Richtung Behörde.

Kein Minderheitenproblem

Fast die Hälfte aller Stuttgarter:innen haben eine Migrationsgeschichte, sie alle müssen in die eine Behörde, deren Büros in der Schmalen-, Jäger- und eben Eberhardstraße angesiedelt sind. Dort erleben sie: Überlastung, Diskriminierung, Existenzängste. Trotzdem konzentriert sich die öffentliche Wahrnehmung meistens auf die Probleme in den Bürgerbüros.

"Wir müssen endlich begreifen: die Situation bei der Ausländerbüro ist kein Minderheitenproblem. Und einer internationalen Stadt wie Stuttgart unwürdig", sagt Petra Rühle, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat. Als Mitglied der "Task Force Bürgerbüros und Ausländerbehörde" versucht sie daran zu arbeiten, dass sich die Situation verbessert. Doch das Hauptproblem ist immer noch nicht gelöst: Es fehlt Personal.

Auf Kontext-Anfrage schreibt die Stadt: "In der Ausländerbehörde gibt es rund 157 Stellen, knapp 48 Stellen sind Stand Juni 2023 unbesetzt. Außerdem sind aktuell ca. 15 Aushilfen in der Ausländerbehörde eingesetzt." Dass das zu Überforderung und Stillstand führt, verwundert nicht. Auch wenn man eine ehrgeizige Personalkampagne fahre, gestalte sich die Gewinnung von neuem Personal für die Stadt schwierig, denn "bei der Personalgewinnung macht sich leider der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst bemerkbar", so ein Sprecher der Stadt. "Hinzu kommt, dass die Stellen bei der Ausländerbehörde seitens der Bewerberinnen und Bewerber nicht immer attraktiv wahrgenommen werden (Stichworte: Verantwortungsvolle Tätigkeit in der Eingriffsverwaltung, eingeschränkte Möglichkeiten des mobilen Arbeitens). Selbst wenn die Stellen dann besetzt werden können, muss berücksichtigt werden, dass aufgrund der komplexen Rechtsmaterie die Einarbeitungszeit lang ist." Erst nach sechs bis zwölf Monaten erreichen neue Mitarbeitende die "Grundqualifikation einer Sachbearbeitung" in der Ausländerbehörde, die vollständige Einarbeitung könne schon mal bis zu zwei Jahre dauern. Stand jetzt konnte die Stadt seit dem Arbeitsbeginn der Task Force nur neun Stellen nachbesetzen.

Struktureller Rassismus?

Zeit, die die meisten Migrant:innen nicht haben. "Ich erinnere mich noch genau an eine Situation bei der Behörde, vor knapp einem Jahr. Ich hatte einen Termin, um endlich die Situation mit meiner Daueraufenthaltsgenehmigung zu klären", erzählt Veledar-Peric. "Ich hatte alle Formulare ausgefüllt und abgeschickt. Ich musste nur noch auf einen Termin warten. Mich hat dann eines Abends, ziemlich spät, eine Frau von der Ausländerbehörde angerufen. Sie war superunfreundlich und warf mir vor, ich hätte meinen Termin verpasst – von dem ich aber nichts wusste! Zwei Wochen später konnte ich dann den Termin nachholen, wieder bei der gleichen Mitarbeiterin. Ich habe sie dann gefragt: 'Können Sie mir mal die Mail-Adresse zeigen, die Sie von mir haben?' Und natürlich war die Adresse falsch, mein Name wurde einfach falsch aufgeschrieben. Das kann nicht sein."

Dolores Veledar-Peric hatte damals Glück, ihre Aufenthaltsgenehmigung wurde noch rechtzeitig bewilligt. Wenn das nicht passiert wäre, hätte sie ihre Arbeit verlieren können, unter anderen Bedingungen sogar ausreisen müssen. Ein Problem, dass viele Stuttgarter:innen haben. Laut Stadt besteht aktuell ein Rückstau von rund 1.500 nicht ausgestellten Aufenthaltstiteln, bis vor kurzem waren es sogar noch knapp 8.500.

Die Folgen eines solchen Rückstaus können, anders als bei den Bürgerbüros, drastisch sein: Bei der Ausländerbehörde geht es nicht um einen verpassten Urlaub oder eine Parkgenehmigung, die auf sich warten lassen, sondern um echte Existenzen.

"Der Prozess ist so kompliziert und dauert so ewig, das allein ist ein psychisches Trauma für die Menschen hier", erzählt Veledar-Peric. Viele ihrer Klient:innen aus der LSBTTIQ+-Community erlebten in ihren Heimatländern Verfolgung und Gewalt. Traumata, die durch die empathielose Behandlung auf der Behörde immer wieder getriggert werden, sagt die studierte Lehrerin und Krankenschwester.

"Wir kriegen sehr viele Briefe von Migrant:innen, die uns ihre furchtbare Situation schildern. Es ist einfach nur noch zum Heulen", sagt die Linken-Stadträtin Johanna Tiarks über die Situation der Behörde. "Man hat die Ausländerbehörde mit ihren jahrelangen Hilferufen einfach ignoriert und so gelassen, wie es eben ist. Für mich ist das struktureller Rassismus, der sich in diesem Vorgehen zeigt." Ein harter Vorwurf. Immerhin versuche die Task Force auch für die Ausländerbehörde Verbesserungen zu erwirken, sagt Petra Rühle. Aber auch sie weiß, dass "bei der Ausländerbehörde alles zusammenläuft", auch weil hier bundesdeutsches Migrationsrecht gelte, auf das die Stadt wenig einwirken könne. "Die Menschen können ihre Anliegen nicht online erledigen, sondern müssen persönlich vor Ort vorsprechen", ärgert sich die grüne Stadträtin. Eine Ausrede kann das trotzdem nicht sein, denn "noch immer gibt es keine Möglichkeit, Termine online zu vereinbaren, die Wartezeiten sind lang. Und wenn man zum Beispiel kein Dringlichkeitsfall ist, kann man wieder nach Hause gehen." Und das hängt eben mit dem fehlenden Personal zusammen und der Wichtigkeit, die die Stadt der Behörde gibt.

Kein Willkommen in der Behörde

Darum wäre es für die Stadträtin Rühle ein erstes Zeichen, wenn die Stadt den Namen der Behörde ändern würde. "Wir sollten sie viel eher Willkommensbehörde nennen, statt Ausländerbehörde. Damit geht ein ganz anderes Selbstverständnis einher", sagt die Grüne. Doch würde das wirklich etwas ändern, bei den rund 100 Mitarbeitenden in der Behörde, bei den Menschen, die in den meterlangen Schlangen um ihre Existenz und Zukunft fürchten? Könnte die Stadt diesem Namen überhaupt gerecht werden?

Dolores Veledar-Peric hat ihren Cappuccino ausgetrunken. Vom Café aus schaut sie rüber zur Ausländerbehörde. Vereinzelt kommen Menschen mit Papiermappen unter den Armen heraus. Noch immer blickt sie streng über die Straße. Wobei es vielmehr Enttäuschung ist, die in ihren Augen liegt: "Mir hat die Ausländerbehörde immer das Gefühl vermittelt, dass ich wertlos bin, dass ich mein Leben gelöscht habe, ich bin jetzt einfach hier, ohne Erfahrungen, ohne Erinnerungen, ohne alles. Und dann spürt man, dass man in Schubladen gesteckt wird. Für viele ist es dann sehr schwer, überhaupt weiterzumachen, es weiter zu probieren. Du versuchst irgendwas, du erreichst nichts und das immer wieder", reflektiert sie.

Auch wenn sie manchmal gute Erfahrungen gemacht hat und mit netten Mitarbeitenden der Behörde zu tun gehabt hat, bleibt trotzdem vor allem ein Gefühl zurück: "Es heißt immer: Wir sind in Deutschland alle gleich. Aber wenn dann jemand kommt mit einer anderen Hautfarbe, einem 'komischen' Namen, dann ist der 'anders'?", sagt Veledar-Peric. "Warum machen wir das? Das ist Diskriminierung!"


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4 Kommentare verfügbar

  • Reinhold Papesch
    am 28.07.2023
    Antworten
    Den Aussagen des Beitrags kann ich mich als seit ca. 8 Jahren tätiger Flüchtlingsbegleiter weitgehend anschließen.

    Mit den MitarbeiterInnen habe ich dabei eher gute Erfahrungen gemacht. Das Problem scheint mir eher, dass diese eine teilweise rassistische Bundespolitik zu exekutieren haben,…
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