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Krawallnacht und Erinnerungskultur

Einfach mal mahnen

Krawallnacht und Erinnerungskultur: Einfach mal mahnen
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Auf der Messe "Retro Classics" in Stuttgart waren kürzlich nicht nur polierte Oldtimer zu bestaunen, sondern auch ein bei der sogenannten Krawallnacht im Juni 2020 demoliertes Polizeiauto – ausgewiesen als "Mahnmal". Eine merkwürdige Idee.

Der Begriff "Mahnmal" tummelt sich noch gar nicht so lange in der deutschen Sprache, und er ist auch nicht ganz unkontrovers. So wehrte sich etwa der Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel in einem Interview 2005 gegen das Wort, und ganz besonders gegen seine Verwendung für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Die Bezeichnung komme "aus der Sprache der Nazis und der Kommunisten", so Jäckel damals, "die nannten ihre Denkmäler, die man früher nie anders genannt hatte, Mahnmale." Gemahnt würden säumige Steuerzahler und Kinder, "der mündige Bürger soll denken, und deswegen plädiere ich für die Bezeichnung Denkmal", sagte Jäckel.

Seine Auffassung hat sich nicht ganz durchgesetzt, der Begriff blieb, und es sei auch dahingestellt, ob man Jäckels Argumentation in allen Verästelungen folgen muss. Denn Denkmäler waren lange nur dazu da, positive Geschichtsbilder (oder eher Geschichtskonstruktionen) zu vermitteln, Reiterstandbilder wie das von Kaiser Wilhelm I. in Stuttgart sollten neben der Erinnerung an eine große historische Figur als nationale Identifikationsorte dienen.

Erst nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs tauchte dann langsam der Begriff des Mahnmals auf, der spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere, neue Funktion hatte: An etwas eben nicht Positives in der Geschichte mahnend zu erinnern, auf dass sich dies möglichst nicht mehr wiederhole. Mahnmale "haben die Funktion, im Namen eines Kollektivs (meist einer Nation) an schmerzhafte historische Ereignisse – wie militärische Verluste und Niederlagen, vor allem aber an deren Opfer zu erinnern", formuliert es die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas auf einem Arbeitsblatt. "Mahnmale unterscheiden sich von anderen Gedenkzeichen durch einen zusätzlichen, moralisch weitergehenden Anspruch. Sie richten an ihre Adressaten nicht nur die Aufforderung, der Opfer zu gedenken, sondern die vorausgegangenen Ereignisse selbst als Mahnung oder Appell aufzufassen, die sich im Prinzip an die Menschheit als Ganzes richten."

Ganz schön hohe Anforderungen und Ansprüche, mögen sich die Leserin und der Leser da denken, entsprechend finden sich im öffentlichen Raum weit weniger Mahnmale als Denkmale. In Stuttgart etwa das für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Stauffenbergplatz, eines für die NS-Zwangsarbeiter der Firma Daimler und noch eine Handvoll weitere, die sich allesamt auf Verbrechen der Nazi-Dikatur und Folgen des Zweiten Weltkriegs beziehen. Bis vor kurzem zumindet.

Obacht, Mahnmal-Inflation

Denn auch sprachlich scheinen, wir haben ja Zeitenwende, die Kaliber momentan selbst bei mäßig historischen Anlässen immer größer und die Verwendung des Mahnmal-Begriffs inflationär zu werden. So wurde jüngst das Kupferdach, das ein Unwetter im Juli 2021 vom Dach des Stuttgarter Opernhauses fegte und pittoresk zusammenknäuelte, bereits zum "Mahnmal gegen die Klimakrise", wie es Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) formulierte. Und vom 21. bis 24. April war bei der Messe "Retro Classics" ein weiteres neues Mahnmal zu besichtigen, das auf ein nur wenig weiter zurückliegendes Ereignis verwies.

Der Ort mochte zunächst erstaunen: Die "Retro Classics" sind eine Art Wohlfühl-Event für im Gestern schwelgende Autonarren, bei der angeblich "weltgrößten Messe für Fahrkultur" gibt es jede Menge polierte Oldtimer zu sehen. Zum Programm gehörte dieses Jahr auch eine Sonderschau "Historische Polizei-Sonderfahrzeuge" des Polizeimuseums Stuttgart. Als besonders seltenes Exponat wurde vorab der Radpanzer TM170 beworben, auch bekannt als "Sonderwagen 4", der zu RAF-Zeiten regelmäßig bei der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim zu sehen gewesen sein soll. Doch nicht etwa dieses historische Fahrzeug wurde per Texttafel als Mahnmal ausgewisen, sondern ein Polizei-Kleinbus, Typ Mercedes Vito 115 CDi, Baujahr 2009, aber schon in aktueller Blaulackierung, und mit zerdepperten Scheiben und Dellen. Er sei "noch kein Oldtimer", lässt die extra für die "Retro Classics" erstellte Texttafel wissen, "aber doch bereits ein stummer, mahnender Zeitzeuge". Ein Zeitzeuge der Nacht zum 21. Juni 2020, die als "Krawallnacht" bekannt wurde, und in deren Verlauf er demoliert wurde. Diese Nacht, so heißt es auf der Tafel weiter, sei "ein vorläufiger Höhepunkt einer Entwicklung der letzten Jahre, die zu denken gibt."

Nun gibt es an jener Nacht wenig zu beschönigen. Rund 400 Jugendliche marodierten damals durch Stuttgarts Einkaufsmeile, zerdepperten Scheiben, klauten Zeug, kickten einen Polizisten, warfen, so sagt es der Innenminister, Pflastersteine auf einen Rettungswagen, und im Getümmel wurde auch ein Student schwer verletzt. Inakzeptables Verhalten, keine Frage.

Herangekarrt für ostentatives Entsetzen

Zu denken gab nach dieser Nacht aber auch ihre mediale Begleitung: "Statt einzuordnen hat in der Medienberichterstattung aber vor allem die Übertreibung Konjunktur", schrieb für Kontext damals Johanna Henkel-Waidhofer, Begriffe wie "Schlachtfeld", "Blutspur" oder "bürgerkriegsähnliche Zustände" seien bar jeder Grundlage gebraucht worden, "jetzt steht das sensationslüsterne Zerrbild der Aufarbeitung im Weg."

In diesem Sinne Teil einer zweifelhaften Presseinszenierung war auch jener beschädigte Polizeiwagen: Als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kurz nach den Krawallen nach Stuttgart gekommen war, um sich ein Bild von den Folgen zu machen, war von Spuren der Zerstörung "kaum noch etwas festzustellen", wie Kontext damals schrieb. "Weil aber die Bilder zur Botschaft passen müssen, wurde für den Pressetermin ein demoliertes Polizeiauto aufgefahren, das Seehofer und Kollegen vor versammelter Fotografenschar mit ostentativem Entsetzen in Augenschein nehmen konnten."

An diese mediale Instrumentalisierung soll der ausgestellte Polizeibus allerdings nicht mahnen. Die Texttafel des Polizeimuseums weist eher auf einen Kessel Buntes des Verdrusses: "Gaffer behindern Rettungskräfte (…), Rettungswagen und Feuerwehrfahrzeuge werden angehupt oder gar beiseite gefahren (…), Einsatzkräfte werden beleidigt, mit Gegenständen beworfen, Polizisten massiv tätlich angegriffen, Personen verletzt, Fahrzeuge zerstört oder in Brand gesetzt. Und das oft unter dem Gegröle umstehender aber ansonsten untätiger Schaulustiger."

Bedenkliche Vorfälle das alles, bedenkliche Entwicklungen, aber eben auch alles sehr unterschiedliche Entwicklungen, die sehr unterschiedliche Ursachen haben, die wohl kaum alle auf einen Nenner zu bringen sind. Soll nun die "Krawallnacht" eine Art Kulminationspunkt, ein Symbol all dieser unterschiedlichen Tendenzen sein?

So genau weiß man es dann offenbar auch noch nicht. "Ursachen, gesellschaftliche Hintergründe und Entwicklungen, strafrechtliche Folgen oder gesetzgebende Folgen müssen eingehend wie umfassend beleuchtet und kritisch erörtert werden, es gilt, besonnen zu reagieren", heißt es reichlich vage weiter im Erklärtext. Wobei all das, also eine Analyse der Ursachen, gesellschaftlicher Hintergründe und Entwicklungen, genau das sein sollte, was einer historischen Einordnung normalerweise vorausgeht. Ohne eine solche Analyse ist schwer zu bestimmen, an was denn mahnend erinnert werden soll.

"Geschichte beginnt morgen"

Ob sich der Polizeihistorische Verein viel Zeit für eine historische Einordnung nimmt, daran lässt eine Antwort von dessen Vorsitzendem Michael Kühner gegenüber der "Stuttgarter Zeitung" Zweifel aufkommen: Dass die "Krawallnacht" erst zwei Jahre zurückliege, spreche nicht gegen das Erinnern an sie, denn: "Geschichte beginnt morgen." Ein Satz, der bei Historikern für einige Tage Kopfzerbrechen reichen dürfte.

Nun ist Erinnern das eine, einen als historisch erachteten Gegenstand gleich zum Mahnmal zu erklären, etwas anderes. Warum wurde gerade dieser Begriff, der meist für die Erinnerung an große Kollektivverbrechen wie die des Nationalsozialismus gebraucht wird, gewählt? Auf Kontext-Anfrage weist Kühner in einer schriftlichen Antwort darauf hin, dass die "exzessiven Explosionen von Gewalt in der Stuttgarter Krawallnacht" Ereignisse waren, "die bundesweit Schlagzeilen lieferten" und "verstörend und erschreckend für viele Bürgerinnen und Bürger" waren. Daher sei für den Polizeihistorischen Verein "dieses zerstörte Fahrzeug ein Zeitdokument Stuttgarter (Polizei-)Geschichte". Und das Wort "Mahnmal" lasse sich, so Kühner, "meines Erachtens nicht nur ausschließlich im Kontext nationalsozialistischer Opfer oder anderer geschichtlich bedeutender Vorkommnisse verwenden, sondern als 'Denkmal, das etwas im Gedächtnis halten soll, von dem zu hoffen ist, dass es sich nicht wieder ereignet.' (Duden)." Und daher hält Kühner den Begriff in Zusammenhang mit der Krawallnacht "für durchaus verwendbar".

So weit gefasst, mögen dann ruhig noch ein paar Mahnmale folgen. Wir hätten ein paar Vorschläge: ein Mahnmal für zurückgefahrene Präventionskonzepte, ein Mahnmal für die Opfer von Racial Profiling, für rechtes und rassistisches Gedankengut bei der Polizei, ein Mahnmal für Betroffene schwer nachvollziehbarer und menschenunwürdiger Abschiebungen. Mal mahnen wird man wohl noch dürfen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Thomas Albrecht
    am 02.05.2022
    Antworten
    Manchmal ist die beste Reaktion, etwas zu ignorieren. Meine herzliche Einladung geht an die Polizei, miteinander zu sprechen. Nur so werden wir besser miteinander auskommen, zugunsten einer funktionierenden Demokratie.
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