Schauen wir also erstmal auf die nächsten vier Jahre. Was sind denn die drei Topthemen für Sie?
MDE: Mein Schwerpunkt wird die Daseinsvorsorge sein und da ganz klar die Mobilitätswende, mehr bezahlbarer Wohnraum, Bildungsgerechtigkeit und eine gute Gesundheitsversorgung.
KB: Im Kern haben wir drei lange Linien für die nächsten vier Jahre. Daseinsvorsorge, öffentliche Investitionen, wie Maren gesagt hat. Zweiter Punkt: die Transformation der Industrie, Nachhaltigkeit und Beschäftigungssicherung. Wir wollen die Industriebasis in Baden-Württemberg erneuern, aber nicht abschaffen. Wir wollen verhindern, dass Transformation Verlagerung, Standortschließungen und Tarifflucht bedeutet. Dazu gehört auch, dass Gewerkschaften sich kritisch der Wachstumsfrage stellen müssen, deswegen wollen wir auch mit Umweltverbänden und Fridays for Future die Konflikte, die es zwischen Ökonomie und Ökologie gibt, produktiv bearbeiten. Die Menschen bei Fridays for Future sind interessiert daran, was wir sagen, und die sagen uns: Unterschätzt das nicht mit der ökologischen Dringlichkeit. Und der dritte Punkt ist die Frage, wie Digitalisierung uns verändert. Schauen wir das Beispiel große Plattformen an. Die werden unheimlich reich und auf der anderen Seite bauen sie oft auf ein Netz von Billigarbeitern. Das fängt bei der Essenzulieferung an. Wer war von uns zuletzt bei der Bank? Nein, viele machen das mit der App.
MDE: Weil wir das müssen, weil die Bank ihre Filiale dichtgemacht hat.
KB: Ja, aber es gibt ja auch neue Internetbanken. Und da gibt es starke Bestrebungen gegen Betriebsräte. Da wird nach dem Motto gearbeitet: kostenloses Müsli, aber Mitbestimmung verweigert. Das darf nicht das Kennzeichen dieser neuen Bereiche sein. Das fängt bei jedem Amazon-Auslieferungslager an, das ist die Frage bei Tesla in Brandenburg. Entstehen da mitbestimmungsfreie Zonen? Digitalisierung und Digitalfirmen brauchen Mitbestimmung, Tarifverträge und die Beschäftigten dort klare Rechte.
In Ihrer Rede haben Sie gesagt, Herr Kretschmann soll bei Arbeitgebern mehr für Tarifbindung werben. Sind Sie zufrieden mit elf Jahren grünem Ministerpräsidenten?
KB: Wir sind mit dem Ministerpräsidenten in einem offenen und kritischen Austausch. Ich wünsche mir, dass unsere Forderungen, die auch im Koalitionsvertrag stehen – die Ausbildungsgarantie, eine stärkere Tarifbindung –, jetzt auch umgesetzt werden. Es finden sich im Koalitionsvertrag gute Ansätze, die müssen aber umgesetzt werden. Um Ihre Frage prägnant zu beantworten: Wir sind im Austausch, wenn der Ministerpräsident stärker auf uns hören würde, würde mich das mehr freuen.
MDE: Natürlich sind wir in manchen Punkten näher bei der SPD, aber es besteht ein guter Austausch mit der grünen Fraktion und mit der grünen Partei. Ich würde sagen, man lernt voneinander. Und es gibt ja auch viele Schnittmengen.
Ist die Klassenfrage noch eine Frage für den DGB?
KB: Gewerkschaften sind genau deshalb entstanden. Es gibt viele Sozialwissenschaftler wie Oliver Nachtwey und Nicole Mayer-Ahuia, die die Klassenfrage neu stellen und sich auf der Höhe der Zeit mit der Spaltung der Gesellschaft und der Arbeitsgesellschaft beschäftigen. Die einen werden reicher – siehe Plattformökonomie –, die anderen hängen in prekären Jobs oder Hartz IV fest. Entscheidend ist, dass wir Beschäftigte und unsere Mitglieder so ansprechen, wie sie wahrgenommen werden wollen. Dass es Spaltung und Ungerechtigkeiten gibt, steht außer Frage. Und natürlich wissen wir, wo wir herkommen und in welcher Gesellschaft wir leben.
MDE: Und dass wir große Anhänger der Umverteilung von Reichtum und Vermögen sind, gehört zu unseren Kernforderungen.
Eine Frage, die mich persönlich sehr interessiert und ich nutze jetzt die Chance, sie den beiden neuen DGB-Vorsitzenden zu stellen: Wann kommt die Vier-Tage-Woche?
KB: Arbeitszeiten sind oft zu lang, die tatsächlichen übersteigen die tariflich vereinbarten. In der Metallindustrie haben wir tariflich die 35-Stunden-Woche. Wir haben aber auch viele Bereiche, in denen die Arbeitszeiten nicht reguliert werden, wo viel mehr als diese 35 Stunden gearbeitet wird. Ich finde diese 35 eine vernünftige Norm und setze mich für mehr Tarifbindung mit kürzeren Arbeitszeiten ein. In der Metallindustrie haben wir die verkürzte Vollzeit bis auf 28 Wochenstunden sowie die Wahloption auf acht freie Tage bei Kinderbetreuung, Pflege und Schichtarbeit durchgesetzt. Beschäftigte wollen heute Arbeitszeitsouveränität, daran arbeiten wir. Ich kann mir eine Arbeitswoche vorstellen, wo wir vier Tage arbeiten und einen Tag für Weiterbildung und Qualifizierung nutzen. Das halte ich für einen vernünftigen Vorschlag auch für die Transformation, um eine richtige Qualifizierungsoffensive hinzubekommen.
Schauen wir nach Island, das die Vier-Tage-Woche einführt oder nach Spanien, wo es jetzt einen Versuch dazu geben soll – das geht Ihnen zu weit?
MDE: Ich glaube, wir müssen erstmal die Tarifbindung stärken, höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten voranbringen. Dann können wir über weitere Schritte sprechen.
Transparenzhinweis: Gesa von Leesen ist Mitglied der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), die zur Gewerkschaft Verdi gehört.
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