Senta braucht bald eine Brille. Die Schule besteht jetzt aus einem 15-Zoll-Bildschirm. Vor Unterrichtsbeginn gab's Bildschirm, danach wieder Bildschirm und zwischendurch zur Abwechslung: Bildschirm. Jeder Tag ist gleich. Eine gleichförmige, gleichartige, gleichbleibende Masse. Niemand stellt dem anderen ein Bein oder kotzt sich im Pausenflur mit gesenkter Stimme über die LehrerInnen aus. Ein stetes Starren auf schwarze Kacheln im stillen Kinderzimmer ist Alltag geworden.
Senta ist 14 und geht auf die Mörike-Schule im Stuttgarter Süden. Online-Unterricht kommentiert sie mit einer Mischung aus Indifferenz und Abneigung. Doch manchmal, da wird sie sehr deutlich. "Das ist einfach extrem scheiße", sagt sie und klickt auf ihrem Laptop herum, bis sich nach kurzer Zeit eine Übersicht öffnet. Sportunterricht – digital. "Wir sollen jonglieren lernen und am Ende ein Video davon hochladen", erklärt Senta und führt einen Finger Richtung Stirn, um den Vogel zu zeigen. Sie geht in die achte Klasse. Meistens, erzählt sie, stand sie etwa fünf Minuten vor dem Unterricht auf. Laptop an, etwas digitale Präsenz zeigen, dann was anderes machen. Mama dränge sie nun aber dazu, zumindest eine Stunde vorher aufzustehen. Die Kameras hätten nur wenige SchülerInnen an, erzählt sie. Das hält Senta eigentlich für eine gute Idee – "dann ist man mehr drin".
Lehrkräfte hassen diesen Trick
Der Schminktisch hat kein Mitspracherecht. Er wurde zweckentfremdet, dient nun als Arbeitsplatz der 14-Jährigen, wenn sie am Digitalunterricht teilnimmt. Ab fünf nach acht in der Früh soll sie fürs Leben lernen. Oft bis in den Nachmittag. "Am meisten fuckt mich ab, keinen geregelten Tagesablauf mehr zu haben", erzählt Senta. Sie kramt ihr Handy hervor und zeigt etwas. Es ist ein "Störsound", ein Ton also, der eine schlechte Internetverbindung in Online-Konferenzen imitieren soll. Sowas finden Jugendliche auf dem sozialen Netzwerk "TikTok". Damit konnte sie sich eine Weile wegschummeln – bis der Rest der Klasse auch damit anfing und die Lehrkräfte Wind davon bekamen.
2 Kommentare verfügbar
W. Rauch
am 18.05.2021Ja, das hört man nun öfter. Lieber Präsenz- als Onlineunterricht, digital schön und recht, aber? Na klar, die Pandemie ist kein Kindergeburtstag. Wir alle hätten uns etwas anderes gewünscht. Mich beschleicht das Gefühl, dass am Ende des Notstandes,…