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Die Corona-Zeche

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Wieder war es ein Demo-intensives Wochenende in der Protesthauptstadt: Im Stuttgarter Schlossgarten formierte sich ein Krisenbündnis für den Kampf um eine gerechtere Zukunft. Und bei den Corona-Rebellen auf dem Cannstatter Wasen mischt nun auch seine königliche Majestät, der Lichtkristallverkäufer Thomas Hornauer, mit.

Für die Kulturschaffenden legte sich der Autor und Flaneur Joe Bauer einmal mehr ins Zeug. Er kritisierte, dass "Kunst und Kultur für die herrschende Politik nicht systemrelevant sind." Deshalb werden sie "wie ein Freizeitvergnügen behandelt". Doch aus Theatern und Galerien entstehe etwas, das für unser Leben und den kritischen Blick auf die herrschenden Verhältnisse notwendig sei: "Kultur ist unverzichtbar im Kampf gegen Unterdrückung", sagte er unter großem Beifall der 300 KundgebungsteilnehmerInnen. Gegen eine Politik der Ungerechtigkeiten müsse man sich wehren wie ein Opernchor: mit unterschiedlichen Stimmen für ein gemeinsames Ziel. Das verlangt Koordination und ein Bewusstsein vom Ganzen. Es tut sich etwas in Stuttgart, so Bauers Fazit.

Die Ska-Band "No Sports" sorgte für heitere, aber auch kämpferische Stimmung. Die Transparente forderten "Schutzschirm für Menschen statt für Kredite" oder "Management abbauen, nicht die Belegschaft – Solidarität mit den Eberspächer Kollegen". Unter diesem Transparent stand Sidar Carman vom DIDF (Föderation Demokratischer Arbeitervereine): "Der Mensch und seine Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt stehen." Die Krise lege die Mängel des herrschenden Systems offen. Angesichts der schwersten Rezession seit Jahrzehnten, die bereits mit Wucht den Arbeitsmarkt getroffen hat, dürfe man nicht "zu ungleichen Verhältnissen" zurückkehren. Carman betonte, dass man sich für "solidarische Perspektiven starkmachen muss". Das ginge nur ohne "Trennung und Ausgrenzungen", gemeinsam von unten und mit allen Beschäftigten. Denn, so Carman, "die Erfahrung aus der letzten Banken- und Finanzkrise zeigt, dass der Staat wieder einmal das Kapital und die ökonomisch-politischen Regelwerke rettet."

Das machte auch Alexander Münchow (Landesbezirkssekretär NGG-Südwest) deutlich, der die skandalösen Zustände in der Fleischindustrie anprangerte und sagte: "Wir sollten nicht so viel Mitleid mit den Kapitalisten haben." Sie seien bislang die Profiteure der Krise, wie die milliardenschweren Rettungsprogramme, die Aushebelung von Arbeitsgesetzen und die Debatte um die Aufhebung des Mindestlohns zeigten. Heute sei es wichtiger denn je, die Gewerkschaften für kommende Auseinandersetzungen zu stärken. Man müsse auch sprechen über das riesige Vermögen der Reichen, woher es kommt und dass es sich auch in Krisenzeiten vermehrt (hier gibt es seine Rede in voller Länge zum Herunterladen).

Die Kundgebung im Schlossgarten setzte der Tyrannei des Privatwohls vom Wasen die Vernunft des Gemeinwohls entgegen. Auch hier wurden die pandemiebedingten Eingriffe des Staates in wesentliche Freiheitsrechte problematisiert, allerdings unter Berücksichtigung der realen Gefahr des Virus und unter Rücksichtnahme auf die Schwachen. "Diese Veranstaltung", so eine Demonstrantin, "bietet Lösungen. Sie orientiert sich an der Wissenschaft, nicht an Verschwörungstheorien."

Zum Schluss der Kundgebung wurde das eilig geklebte Transparent beklatscht, das Solidarität mit dem Willi-Bleicher-Haus bekundete. Am Samstagvormittag hatte die rechtsextreme Identitäre Bewegung auf dem Vordach des DGB-Hauses ein Banner aufgehängt, das die Gewerkschaft beschuldigte, an dem Angriff auf ein Mitglied der rechten Gewerkschaft Zentrum Automobil mitverantwortlich zu sein. Der DGB stellte Strafanzeige.

Seine Majestät auf dem güldenen Thron

Zählten die Stuttgarter Corona-Rebellen einst 10.000 MitstreiterInnen auf dem Cannstatter Wasen, waren es am vergangenen Samstag (30.5.) nur noch rund 300. Vor wenigen Wochen hatte Demo-Organisator Michael Ballweg noch verkündet, dass das Freiheitsvirus ausgebrochen sei und der Widerstand nun exponentiell wachsen werde. Neu hinzugekommen ist zumindest Thomas Hornauer, früher Eigner eines Fernsehsenders (B.TV), diverser Sex-Hotlines und esoterischer TV-Shows und heute Inhaber eines Lichtkristallzentrums (Kontext berichtete).

Seine "Königliche Majestät" (Eigenbezeichnung) aus Plüderhausen saß auf einem goldenen Thron, montiert auf einem Anhänger, und sagte, dass er es gut fände, wenn auf dem Wasen mal "nicht gesoffen", sondern für gute Ernährung geworben werde. Außerdem sei ihm langweilig. Michael Ballweg, ebenfalls gesunder Lebensweise verpflichtet, wie er dem Schweizer Privatsender QS 24.tv erzählte, saß derweil auf dem Boden und daddelte auf seinem Smartphone. Einen Tag danach fand sich der Gründer von "Querdenken 711", der eigentlich zurücktreten wollte, auf der Stuttgarter Theodor-Heuss-Straße ein, um die Anwesenden zu ermuntern, "alle kleine Querdenker" zu sein. Auch diese Demonstration verlief friedlich. 


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