Zu seiner ersten Stuttgarter Veranstaltung hat das Bündnis Verkehrswende am vergangenen Freitag Klaus Amler eingeladen, der als Projektträger die Studie verantwortet hat. Sie beruht auf einem breiten Konsens: Experten aus 17 wissenschaftlichen Instituten wählten aus sechs eingereichten Konzepten das geeignetste aus. 19 Interessenvertreter, unter anderem aus Automobilindustrie und -verbänden, Verkehrsunternehmen und Arbeitnehmervertretern, waren an der Entwicklung der drei Szenarien beteiligt, denen allen die Prämisse zugrunde liegt: Deutschland will die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen. Die zentrale Frage lautet: Wie könnte nachhaltige Mobilität im Jahr 2030 und im Jahr 2050 aussehen?
Alle drei Szenarien gehen davon aus, dass sich der Elektroantrieb und das autonome Fahren durchsetzen. Im ersten Szenario behält weiterhin jeder sein Privatauto. Im zweiten nimmt die Sharing-Ökonomie deutlich zu. Das dritte Szenario geht dagegen von einer grundlegenden Erneuerung der Mobilitätskultur aus: mit autofreien Quartieren; einer starken Konzentration aller Funktionen – also Wohnen, Arbeiten und Einkaufen – auf das Quartier; und der Umwidmung von Straßenraum zugunsten von Fußgängern und Radfahrern. Die Basis der Mobilität ist dabei der öffentliche Verkehr, unterstützt durch die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen (Ridesharing).
Aufgrund des elektrischen Antriebs kann kaum überraschen, dass in allen drei Szenarien wenig Luftschadstoffe anfallen, aber der Stromverbrauch hoch ist. Bei fast allen anderen Kriterien, von den Treibhausgasemissionen bis hin zur Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, hat das dritte Szenario die Nase vorn. Es gibt nur ein Problem: Beschäftigung und Umsatz in der Mobilitätswirtschaft gehen noch deutlicher zurück als in den anderen Fällen.
Allerdings ist ein Rückgang ohnehin programmiert. Zur Herstellung eines elektrischen Antriebsstrangs werden weniger Arbeitskräfte benötigt als im Fall des Verbrennungsmotors. Zudem hält der Elektromotor deutlich länger. Wenn autonomes Fahren die Regel wird, gehen Arbeitsplätze für Bus- und Taxifahrer verloren. Ob es soweit kommt und wann, darüber gibt es zwar verschiedene Meinungen, doch die Studie geht nun einmal davon aus. Der Einsatz von Robotern und die Verlagerung der Produktion in andere Länder tragen weiter zum Arbeitsplatzabbau bei. Daimler und andere Hersteller sind längst auch an anderen Standorten, etwa in Osteuropa, tätig.
Es ist also mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass sich die Zahl der Beschäftigten im Mobilitätssektor im Sinkflug befindet, sogar ohne Verkehrswende. Aber auch, dass eine Verkehrswende notwendig ist, um die Pariser Klimaziele zu halten. Vor diesem Hintergrund gibt es zwei Alternativen: Eine Old School, sagt Amler, verfährt nach der Devise: Augen zu und durch. Eine New School wolle dagegen versuchen, den Wandel zu gestalten. Vertreter beider Richtungen gebe es in der Automobilindustrie, aber auch in den Gewerkschaften.
Was also, wenn kaum noch jemand ein Privatauto benötigt, wie dies Helsinki anstrebt? Wenn sich, wie Amler vorrechnet, die gesamten Mobilitätsleistungen in der Region Stuttgart statt mit 1,5 Millionen mit 18 000 Fahrzeugen bewältigen lassen: Werden dann Zehntausende gut bezahlter Daimler-Arbeiter zu Hartz-4-Empfängern? Das sagt die Studie nicht. Aber man kann es auch anders betrachten: Wer kein Privatauto braucht, spart jeden Monat einige hundert Euro. Dieses Geld kann er für andere Dinge ausgeben. Damit entsteht Raum für neue Angebote – und damit auch Arbeitsplätze. Ganz so schwarz muss man den Beschäftigungsrückgang im Mobilitätssektor also nicht sehen, er eröffnet auch neue Chancen.
Die schlimmsten Dreckschleudern sind Flugzeuge
Klimawandel geht alle an. Jeder kann sein Teil zur Verkehrswende beitragen, zum Beispiel, indem er auf Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe verzichtet. "Ökologisch am schlimmsten ist der Luxus des Fliegens", unterstreicht Amler und verweist auf CO2-Rechner im Internet: "Ich fliege nicht mehr." Aus seiner Sicht ist der Feind nicht etwa ein Konsortium von Autoindustrie und Bundesregierung, wie es Grottian etwas holzschnittartig darstellt. Denn Amler habe mit Fahrzeugtechnikern der Hochschule Esslingen gesprochen, ebenso wie mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers. "Es gibt Leute in der Wirtschaft", betont er, "die wollen mit mir diese Studie diskutieren." Wenn der Strategiedialog dazu dient, lässt sich dagegen wenig einwenden.
4 Kommentare verfügbar
Kornelia .
am 19.07.2018Ich bin echt für eine Reduzierung der Lebenserwartung wieder auf 30.... Dann werden nicht jene "plötzlich" wendehalsig zu Managern ihrer eigene desaströsen Fehler!
Eine alte Garde gibt sich das Image eines Neuen Denkens und wertet damit das…