Sebastian Gorka, Trump-naher "Breitbart"-Autor, hat letzte Woche bei uns in Stuttgart gesprochen. Ziemlich gruselig.
Ja, genau. Mit dieser Realität müssen die Amerikaner jetzt leben. Aber bei aller Unsicherheit entwickelt sich auch eine ungeheure Kraft der Zivilgesellschaft, ein ungeheuer starkes Verantwortungsbewusstsein, Kreativität und Miteinander, ein Gesellschaftsgefühl. Ich habe Menschen aus allen möglichen Staaten kennengelernt. Aus New York, von der Ostküste, der Westküste, aus Minneapolis, Michigan, Menschen mit einer solchen Würde, mit Neugierde, Klugheit und Offenheit. Das ist sehr, sehr beeindruckend. Wie sie dort kämpfen, wie die Amerikaner Zivilgesellschaft leben und stärken, das ist in höchstem Grade bewegend und inspirierend.
Klingt sehr leidenschaftlich. Die "New York Times" hat vor ein paar Tagen über Ihr Konzert in der Carnegie Hall geschrieben, Sie spielten in Extremen, so, wie die Welt gerade ist. Unterschreiben Sie das?
Ich spiele nicht so, weil sich die Welt so darstellt, ich bin einfach ein geradliniger und offener Mensch auf der Bühne. Ich spiele auf Basis dessen, was der Komponist mir vorgibt, er zeigt mir den Weg. Aber Musik drängt ins Leben. Ich meine, was ist das für ein wahnsinniges Kunstverständnis, vor allem in der Musikwelt, alles immer mit einem Fernglas nach hinten zu deuten? Am Ende bin ich der Mensch da auf der Bühne und natürlich bewegt mich, was auf der Welt passiert.
Wie nehmen Sie die gerade wahr, die Welt?
Das ist schwer zu beantworten. Eine Zeitlang haben mich politische Entwicklungen sauer gemacht. Ich habe mich darauf fokussiert, ein Gegen zu formulieren, die Stimme gegen etwas zu erheben. Aber das ständige Dagegensein ermüdet mich. Wissen Sie, zwischen zehn und 15 Prozent der Wahlbevölkerung können sich vorstellen, AfD zu wählen.
Die können sich das nicht nur vorstellen, die tun das auch.
Ja, I get it. Ich hab's verstanden. Im Umkehrschluss heißt das aber, 85 Prozent tun es nicht. 85 Prozent! Diese 85 Prozent zu stärken, ist mittlerweile viel wichtiger für mich. Ein Für zu formulieren ist besser, als sich ständig an etwas abzuarbeiten. Man verliert das wesentliche aus den Augen. Es sind 85 Prozent, das ist eine überwältigende Mehrheit.
Auf einem Konzert in Brüssel haben Sie ein flammendes Plädoyer für Europa gehalten. "Lasst uns stark bleiben, zusammenstehen und für Menschlichkeit kämpfen – and now, over to Beethoven." Wie kam es dazu?
Ich habe eine Stunde geschlafen in der Nacht, ich war vorher in London mit Freunden zusammen, die unglaublich leiden unter dieser Brexit-Entscheidung. Und dann war diese Wahl in den USA und Trump Präsident. Ich saß im Zug nach Brüssel und mir kam es in diesem Moment echt hoch. Ich saß da an diesem kleinen Tisch und hab das einfach runtergeschrieben.
Und in dieser Rede die Frage formuliert: Was tut eigentlich meine Generation gegen den Rechtsruck? Ihre Antwort haben Sie sich gleich selbst gegeben: Zuschauen, wie die Populisten die Deutungshoheit übernehmen. Was wünschen Sie sich von Ihrer Generation?
Sigmar Gabriel hat 2009 eine Rede gehalten, als er den SPD-Vorsitz übernommen hat. Er hat damals zwei Sätze gesagt, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Es geht mir nur um den Inhalt, nicht, ob er das umgesetzt und eingelöst hat. Er hat gesagt, wir müssen dahin gehen, wo es stinkt, wo es riecht und kracht. Dahin, wo das Leben ist. Das fand ich beeindruckend. Ich kann nicht die ganze Zeit einfach nur sagen, 'ach Gott, ich bin so frustriert wegen der ganzen Rechten'. Geh auf die Straße, sag deine Meinung! Man kann sich die ganze Zeit darüber aufregen, dass nur die Doofen in die Politik gehen. Na, dann tritt halt in eine Partei ein! Dieses unheimlich respektlose Draufhauen auf Politiker, wenn ich das höre, ich krieg die Krise.
Man könnte sagen, Sie haben gut reden, Sie sind ein bekannter Pianist ...
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Rolf Steiner
am 15.02.2017