Sonntag, Naturfreundehaus Fuchsrain in Stuttgart: Sven ist da, 32, Geoinformatiker mit türkisfarbenem Feinstrickpullover und Wildlederschuhen. Joachim aus Freiburg, 56 dreiviertel, ehemaliger Marinesoldat mit Anker-Tattoo auf dem Unterarm, U-Boot-Erfahrung und veritabler Aussteigervergangenheit. Und Wolfgang, ehemaliger Verwaltungsangestellter. Mit 57 hat er angefangen, Esperanto zu lernen, heute ist er um die Siebzig mit grauem Sakko und gelb-blau gestreifter Krawatte. Er sitzt am Tisch gegenüber von Inge aus Aalen, Sozialarbeiterin und nebenbei Mitarbeiterin einer der größten Esperanto-Bibliotheken weltweit, eine zackige, farbenfrohe Frau, auf deren Busen ein großer metallener Stern hin und her wippt. Er ist das Symbol der Esperanto-Bewegung. Er hängt auch als Fahne links an der Wand. Grün wie die Hoffnung – "Espero", fünfzackig, weil die Erde fünf Kontinente zählt, auf weißem Grund, für den Frieden.
Esperanto ist eine Plansprache. Erfunden von Ludwig Lazarus Zamenhof, einem Juden, geboren in Bialystok im Osten Polens, 50 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt, in einer Stadt, in der in wechselseitigem Misstrauen Juden, Polen, Russen, Deutsche und Weißrussen lebten. "Ein empfindsamer Charakter", schrieb Zamenhof Ende des 19. Jahrhunderts, "fühlt in einer solchen Stadt mehr als irgendwo sonst das schwere Unglück der Sprachvielfalt." Damals war er elf und entschlossen, sobald erwachsen, diesem Übel auf den Zahn zu fühlen und eine Sprache zu erfinden, die die Welt friedlich vereint.
Unter dem Eindruck der Judenpogrome in Moskau und Warschau publizierte er am 26. Juli 1887 seine Esperanto-Fibel. Die Wörter bestehen zu einem Großteil aus unveränderlichen Wortelementen, die aus dem Lateinischen, Griechischen, aus dem Russischen, Englischen oder Deutschen entlehnt sind und variabel zu Sätzen und neuen Worten kombiniert werden können. Es gibt nur 16 grammatische Grundregeln, gesprochen wird wie geschrieben, Substantive enden auf o, Verben auf i, Adjektive auf a. Esperanto ist einfach zu lernen, weil weniger komplex als gewachsenen Sprachen, sagen seine Anhänger. Es habe kaum Ausnahmen, sei oft herleitbar, zumindest mit ein klein wenig sprachlicher Vorbildung.
"Esperanto ist etwas für Verrückte"
Zamenhofs Buch umfasste 40 Seiten. Es erschien zuerst auf Russisch. Dann auf Polnisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch und Jiddisch. Er trat alle Rechte an seiner Erfindung ab und schenkte der Menschheit eine universelle Sprache, die alle recht schnell lernen und recht schnell verstehen konnten. Seitdem gibt es Esperanto. Verfügbar im Open-Source-Verfahren, wer immer möchte, kann es lernen. Im Internet sogar umsonst.
"Esperanto ist bunt wie die Welt", sagt Wolfgang.
"Esperanto ist logisch", sagt Sven.
"Esperanto ist eine Vision!", sagt Joachim, der Aussteiger, der sich aus ein paar Beeren und Zweigen eine veritable Suppe kochen kann.
Rund 20 Esperantisten, ein paar Kinder und ein kleiner Hund sitzen da im Naturfreundehaus Fuchsrain um eine elektronischen Orgel bei Kaffee und Tee und dem Monatstreffen des Esperanto-Bunds Baden-Württemberg. Sie erklären Szenen aus Bilderbüchern, fassen Texte zusammen, decken Memory-Kärtchen auf und beschreiben, was sie darauf sehen.
11 Kommentare verfügbar
Nikol
am 05.09.2016