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Die neue Achse des Teuren

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Stuttgarter Einzelhandel als Zweiklassensystem? Während Millionen in die neuen Einkaufszentren strömen, geht die kaufkräftige Kundschaft abseits der Massen shoppen. Im Herzen der City etabliert sich rund um die Stiftskirche ein Luxus-Ladenquartier — unterdessen beginnt in der Einkaufsmeile Königstraße der Ausverkauf.

In Stuttgart geht es derzeit rauf und runter. Gefühlsmäßig, zumindest was den Einzelhandel betrifft. Erfolgsmeldungen wechseln mit Hiobsbotschaften. Unter bundesweiter Beachtung gingen vor Kurzem fast zeitgleich zwei neue Shoppingmalls an den Start. Mit Pauken und Trompeten eröffnete am 23. September das Gerber am Südwestrand der Innenstadt. Am 9. Oktober folgte das Milaneo im Europaviertel auf der gegenüberliegenden City-Seite. Der Eröffnungsreigen, der mit einer gewaltigen Investitionssumme von zusammen mehr als 750 Millionen Euro einhergeht, richtet das Einzelhandelsgefüge der gesamten Region neu aus. Mit einem Schlag wuchs die Verkaufsfläche in der Stuttgarter Innenstadt um 70 000 auf rund 570 000 Quadratmeter. 280 neue Läden gibt es in den neuen Konsumtempeln, in denen sich seither die Kundschaft drängt. Allein eine Million Menschen strömten innerhalb der ersten Handelswoche ins Milaneo. Der Ansturm hielt auch in den zurückliegenden Herbstferien an. Schon an den Stadtgrenzen warnten Verkehrsleittafeln, dass die 1200 Stellplätze der Milaneo-Garage belegt sind, und rieten, auf Bus und Bahn umzusteigen. Vergeblich: Tagelanger Parksuchverkehr trieb die Anwohner des angrenzenden Wohngebiets im Stuttgarter Norden auf die Barrikaden.

Ganz anders die Stimmung in der Königstraße. In der Einkaufsmeile der Schwabenmetropole, der traditionsreichen Eins-a-Lage in der Landeshauptstadt, herrscht so etwas wie Ausverkaufsstimmung. Während  in den neuen Shoppingcentern die Läden hipper Modemarken geradezu überrannt werden, soll das Karstadt-Kaufhaus in der oberen Königstraße im Juni 2015 schließen. Das gab der in wirtschaftlichen Turbulenzen steckende Kaufhauskonzern kürzlich bekannt. 230 Mitarbeiter werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Wenige Tage später verkündeten Radio-Spots die Geschäftsaufgabe eines weiteren Filialisten. Bis Ende Januar 2015 lässt sich beim Herrenausstatter Eckerle, wenige Meter hinterm Karstadt, Luxusmode für den Mann zu stark reduzierten Preisen ergattern. Derzeit betreibt das Münchner Unternehmen bundesweit elf Ladenhäuser.

Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden

Tritt nun ein, wovor Kritiker der neuen Einkaufszentren schon vor Jahren warnten? Nämlich, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann und dass sich der Stuttgarter Einzelhandel durch die rasante Verkaufsflächenzunahme zwangsläufig selbst kannibalisiert? Laut Berechnungen des Maklers Colliers International Stuttgart binden Gerber und Milaneo eine Kaufkraftsumme zwischen 300 und 350 Millionen Euro jährlich. Das ist immerhin ein Zehntel der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft der Stadt.

Auf Kontext-Nachfrage betont zumindest Herrenausstatter Eckerle, dass man Stuttgart nicht für immer den Rücken kehren wolle. Was sich im Radio wie ein endgültiger Ausverkauf anhört, ist tatsächlich nur ein zeitweiliger Verkaufsstopp. "Wir eröffnen im Herbst 2015 einen neues Ladengeschäft in unmittelbarer Nähe", sagt Einkaufsleiter Christian Schütz. Das neue Domizil wird in der Stiftstraße, einer kleinen Seitenstraße zur Einkaufsmeile, eröffnet. "Wir expandieren dort sogar auf 1600 Quadratmeter Verkaufsfläche", betont Schütz. An der bisherigen Adresse sind es 500 Quadratmeter weniger. "Wir glauben an den Standort Stuttgart. Aber die Entwicklung auf der Königstraße geht in die falsche Richtung", begründet Schütz den Umzug.

Aus seiner Sicht zum "Trading down", wie es im Branchensprech heißt. Anders gesagt: zu immer mehr preisgünstiger Massenware auf Kosten höherwertiger Angebote. "Die Königstraße ist eine attraktive Straße für den Kommerz", umschreibt Schütz die Entwicklung. Filialketten und Billigmarken finden in der teuersten Lage Stuttgarts ausreichend Kundschaft. Luxusboutiquen und Markenfachgeschäfte ziehen sich dagegen zurück. In kleinere Seitenstraßen, insbesondere rund um die Stiftskirche. "Hier entsteht eine Einkaufsachse für eine Kundschaft, die Premiumqualität und erstklassige Beratung schätzt", so Schütz.

Die Achse des Teuren zieht sich inzwischen  von der Kronprinzstraße quer zur Königstraße bis zum Nobelkaufhaus Breuninger. Auf diesem Weg findet die kaufkräftige Kundschaft alles, was das Herz an einem Shoppingtag begehrt: von exklusiver Mode über individuelle Wohnaccessoires bis zu feinen Lebensmittel in der traditionsreichen Stuttgarter Markthalle. Wenn im Herbst 2016 das "Dorotheen Quartier" am Karlsplatz eröffnet – das Lifestyle-Unternehmen Breuninger investiert darin rund 200 Millionen Euro –, wird sich das Angebot für die betuchte Klientel in der Stuttgarter City weiter vergrößern.

Karstadt geht, Bogner kommt

Stuttgarts City-Managerin Bettina Fuchs sieht die Entwicklung gelassen. Eine räumlich getrennte Zweiklassengesellschaft im Einzelhandel befürchtet sie nicht. "Es ist grundsätzlich gut, wenn sich Cluster mit ähnlichem Marken- und Sortimentangebot wie in der Stiftstraße bilden", sagt sie. Dies sei attraktiv für Städte, die wie Stuttgart auch immer häufiger kaufkräftige ausländische Gäste begrüßen können. "Araber und Asiaten, die in Stuttgart medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, nutzen ihren Aufenthalt auch, um hier Markenwaren einzukaufen", nennt Fuchs einen Zukunftsmarkt. Von Verhältnissen wie in der Münchener Maximilianstraße oder Frankfurts Goethestraße, wo fast nur noch der Geldadel entlang der zahlreichen Luxusläden flaniert, könne in Stuttgart keine Rede sein.

Auch die Gefahr, dass die Königstraße weitere renommierte Namen verliere, sieht sie nicht. Es habe schon immer Eins-a- und Eins-b-Lagen gegeben, was auch so bleiben werde. "Das beste Gegenbeispiel ist die Neueröffnung von Bogner", so Fuchs. Die Luxus-Sportbekleidungsmarke eröffnete Mitte Oktober ihren Stuttgart-Shop in der Königstraße 54. Zum Grand Opening kam auch Unternehmerlegende Willy Bogner. "Ein Laden in den neuen Shoppingcentern kam für mich nicht in Frage", verriet er hiesigen Medien. "Stuttgart ist wichtig für uns", versicherte Bogner, "hier gibt es viele sportliche Menschen, und die Kaufkraft ist stark."

Inzwischen brodelt im Stuttgarter Talkessel die Gerüchteküche, was aus dem aufgegebenen Karstadt-Kaufhaus wird. Der neue Karstadt-Eigentümer René Benko preist das Objekt an der Ecke König- und Schulstraße bereits über seine Immobilienholding Signa an: "Der Standort bietet Potenzial für Filialisten, welche nach innerstädtischen Flächen suchen, die aufgrund des Flächenmangels in den letzten Jahren nicht bedient werden konnten", heißt es auf der "Prime Selection"-Internetseite des Unternehmens. Für die Gewerkschaft Verdi und letztlich auch für alle Kaufhausmitarbeiter ist damit klar, was dem Karstadt-Haus zum Verhängnis wurde: seine Top-Lage, mit der künftig noch mehr Rendite erzielt werden soll. Obwohl das Warenhaus schon bisher einen relativ hohen Anteil seines Umsatzes als Mietzins an Signa ablieferte. "Hier saniert sich der Immobilienbesitzer Benko auf dem Rücken der Stuttgarter Belegschaft", empört sich Bernhard Franke, Verdi-Landesfachbereichsleiter für Handel.

Die Zukunft sieht bislang nur in Gedankenspielen rosig aus. Branchenkenner vermuten, dass die unteren Etagen des aufgegebenen Karstadt-Domizils zu einer Mini-Shoppingmall mit attraktiven Markenfilialisten umfunktioniert, während die oberen Etagen zu repräsentativen Büros umgebaut werden. Derzeit bleibt es Spekulation. In einem sind sich alle Experten einig: Ein längerer Leerstand an dieser Stelle wäre katastrophal für das Renommee von Stuttgarts traditionsreicher Einkaufsmeile.


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16 Kommentare verfügbar

  • Jupp
    am 12.11.2014
    Antworten
    @Herr Becker
    Da sind wir zwei in vielen Punkten ganz nah beinander.
    Wir schätzen Wald und Wiesen. Daher freue ich mich, dass durch S21 ca. 9000 Wohnungen entstehen ohne solch wertvolle Flächen zu zerstören.
    Und Sie haben auch erkannt, dass eine Landesmesse viele Besucher anlockt und dies dazu…
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